Am 15. Dezember war Esperanto-Gedenktag. Gefeiert wird am Geburtstag des Esperanto-Schöpfers Ludwik Zamenhof, einem polnischen Arzt. 1887 stellte er auf seinem 19. Geburtstag die Idee seiner Welthilfssprache vor. Er wollte damit im praktischen Sinne die Verständigung zwischen den Völkern fördern. In seinen Wohnorten Bialystok (damals russisch) und später Warschau lebten Polen, Russen, Litauer, Deutsche und Juden. Die ethnische und sprachliche Vielfalt führte zu Streit und sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen. Zamenhof glaubte, dass eine universelle Kunstsprache, die keinen Bezug zu einzelnen Staaten oder Ethnien hat, größere Resonanz findet als Nationalsprachen und dass sie Sprachbarrieren und Ghettobildung überwinden könne..
Es gibt noch einen Zweiten Esperanto-Gedenktag, den 26. Juli. An diesem Tag des Jahres 1889 stellte Zamenhof sein Buch „Unua Libro“ vor, das erste in Esperanto geschriebene Buch. Zuvor hatte er die Grundlagen von Esperanto erarbeitet und dabei drei Ziele herausgestellt: 1. Die Sprache muss sehr leicht und spielend zu erlernen sein. 2. Jeder, der die Sprache erlernt hat, muss sie sofort zum Verkehr mit anderen Nationalitäten benutzen können. 3. Die Sprache soll ein Mittel sein, die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden und sie zu ermuntern, von Esperanto als einer lebenden Sprache Gebrauch zu machen.
Esperanto ist geprägt durch eine einfache und leicht verständliche Grammatik und ein Vokabular, dessen Wortschatz auf den romanischen, germanischen und slawischen Sprachen und einigen Worten Altgriechisch basiert. Auch die Grammatik ist (vielleicht unbewusst) nach europäischen Vorbildern gestaltet. Das ist angenehm für Leute aus dem europäischen Sprachraum, während Personen aus anderen Kontinenten im Nachteil sind. Kritiker meinen daher, dass Esperanto für Menschen, die keine germanische, romanische oder slawische Sprache sprechen, nicht leichter zu erlernen ist als natürliche germanische, romanische oder slawische Sprachen.
Es gibt nur eine Deklination und eine Konjugation und keine unregelmäßigen Verben. Die Grammatik hat nur sechzehn Grundregeln, Ausnahmen gibt es nicht. Verwendet werden die Buchstaben des lateinischen Alphabets, ergänzt durch slawische Sonderzeichen, z.B. für <sch>. Jeder Buchstabe hat nur eine Aussprache, und die Betonung eines Wortes liegt stets auf der vorletzten Silbe. Die Grammatik ist so simpel wie irgendmöglich. Lernen muss man nur die unveränderlichen Wortstämme. Diese werden dann mit vorangestellten oder angehängten Buchstaben oder Silben modifiziert.
Der Lernaufwand ist recht gering. Bei Bedarf erwirbt man Grundkenntnisse bereits in einem Wochenende-Intensivkurs. Hier ein Beispiel: Ausgehend vom lateinischen pater heißen der Vater Patro und die Mutter Patrino. Der Plural wird durch ein angehägtes <j> gebildet. Patroj sind also die Väter und Patrinj die Mütter. Ein vorangestelltes <ge> bezeichnet die beide Geschlechter. Gepatroj sind demnach die Eltern (Emanzipation und Gendern kannte Zamenhof nicht). Alle Substantive enden auf o, Verben auf i und Adjektive auf a. <Esperanto> ist „ein Hoffender“ (so hatte Zamenhof sich mal selbst bezeichnet).
Zeitweise ist Esperanto auf staatlichen Widerstand gestoßen. Autoritäre Regierungen sahen – wahrscheinlich wegen der grenzüberschreitenden Aktivitäten von Esperanto – in Welthilfssprachen eine Gefahr. So war Esperanto sowohl in der Sowjetunion wie in Nazi-Deutschland verboten, führende Anhänger/innen wurden verfolgt.
Als künstlich geschaffene Sprache hat Esperanto verständlicherweise keinen regionalen Rückhalt, keine Bevölkerung, keine Ethnie und daher auch keine eigene Kultur. Seine Kultur ist kosmopolitisch. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Erinnerungen, Ehrungen und Anwendungen, die die Bedeutung von Esperanto unterstreichen.
So haben Polen und Kroatien Esperanto 2014 bzw. 2019 als immaterielles Kulturerbe anerkannt. In Ungarn wird eine staatlich anerkannte Esperanto-Sprachprüfung angeboten. Und die dortige Akademie der Wissenschaften hat festgestellt, dass Esperanto eine lebende Fremdsprache ist. In China gibt es ein Esperantomuseum mit 700 qm Ausstellungsfläche. Die Stadt Herzberg in Niedersachsen führt den Beinamen „Esperantostadt“, weil dort seit vielen Jahren esperantobezogene Kongresse und andere Veranstaltungen stattfinden.
Vielfach haben Esperanto-Anhänger für die Benennung von Objekten nach Zamenhof oder Esperanto gesorgt. So gibt es in München, in Bad Kissingen und in Berlin-Neukölln einen Esperantoplatz, stets an Orten, die einen Bezug zu Esperanto haben. Ebenfalls in Berlin besteht ein Zamenhofplatz. Eine Vielzahl von Straßen ist nach Esperanto benannt, so in Dresden, Hattingen, Karlsruhe, Linz, Mannheim, Rüsselsheim, Schwelm, Stuttgart, Wuppertal und Wien; in Warschau gibt es eine Zamenhof-Straße. 1936 und 1938 wurden neu entdeckte Asteroiden auf Esperanto und Zamenhof getauft.
Es gibt Bücher, Lieder und andere Musik, Radiosendungen und Millionen Internetseiten in Esperanto. Regelmäßig erscheinen Zeitungen auf Esperanto; jährlich werden etwa 100 Bücher in dieser Sprache veröffentlicht. Google und andere Internetdienstleister bieten ihr Angebot auch auf Esperanto an. China und der Vatikan senden viermal wöchentlich kurze Esperanto-Mitteilungen; China nutzt Esperanto zur Verbreitung chinabezogener Nachrichten im Internet. Auch bei Wikipedia ist Esperanto vertreten und zwar mit rund 350.000 Beiträgen.
Ein Blick auf die Verbreitung und Nutzung von Esperanto birgt so manche Überraschung. 1922 scheiterte ein Vorschlag einiger Staaten im Völkerbund, Esperanto in Schulen zu unterrichten. Schon 1889 erschien eine erste Esperanto-Zeitschrift; ab 1898 wurden Esperanto-Landesverbände gegründet und 1908 der Esperanto-Weltbund. Derzeit gibt es mehr als 70 Landesverbände und jährliche internationale Kongresse, organisiert vom Esperanto-Weltverband mit Sitz in Rotterdam.
Esperanto wird immer wieder an die technische und gesellschaftliche Entwicklung angepasst und durch neue Worte ergänzt. Diese werden in der Regel aus den ursprünglich für Esperanto genutzten Sprachen übernommen. Seit 1950 gibt es das Bemühen, eine Esperantowährung einzuführen, den <Stelo>. Die Erfolge sind bescheiden.
In vielen größeren Städten gibt Esperanto-Vereine oder Institute, außerdem besteht ein internationales Netzwerk, das Reisenden eine kostenlose Unterkunft bietet. Da die Sprache eint, gibt es immer wieder Reisegruppen mit Teilnehmenden aus verschiedenen Ländern. Überraschend ist, dass es in Staaten wie China, Brasilien, dem Iran und Tansania besonders große Gruppen von Esperanto-Kundigen gibt. Es gibt sogar Esperanto-Muttersprachler/innen. Häufig sind es Kinder von Eheleuten, die sich über Esperanto kennengelernt haben und sich in dieser Sprache verständigen.
Esperanto ist nicht die von Zamenhof erhoffte weltumspannende Verkehrssprache geworden, aber bis heute die Plansprache mit der weitaus größten Verbreitung. Es gibt keine Region auf der Welt, wo vorrangig Esperanto gesprochen wird. Esperanto Sprechende sind jedoch in über 130 Ländern vertreten. Schätzungen gehen davon aus, dass es mehrere Millionen Menschen gibt, die Esperanto gelernt haben. Das sind mehr als bei manchen Nationalsprachen. Einige Hunderttausend wenden Esperanto regelmäßig an.
Esperanto ist weder Amtssprache geworden noch anerkannte Minderheitensprache, wie z.B. das Friesische oder Sorbische in Deutschland. In einem Kleinststaat hätte es beinahe geklappt: 1816 entstand das unabhängige Gebiet Neutral-Moresnet, weil sich die Anrainerstaaten Belgien, Niederlande und Preußen (später Deutsches Reich) auf nichts anderes einigen konnten. So entstand ein Kleinststaat mit 3,4 km² und zunächst nur 256 Einwohner/innen, der bis 1919 Bestand hatte. Ab 1907 gab es dort eine Gruppe von Esperanto-Anhängern, die aus Neutral-Moresnet den ersten Esperanto-Staat bilden wollte. Zunehmend fanden Veranstaltungen auf Esperanto statt, und die Kneipenbesitzer begannen, ihre Lokale mehrsprachig auszuschildern. Der Erste Weltkrieg beendete diese Absichten.
Esperanto hat sich also nicht als offizielle, international anerkannte Sprache durchgesetzt. Diese Rolle hat Englisch eingenommen. Dessen Dominanz beruht vor allem auf der Kolonialzeit Großbritanniens und auf der Bedeutung der USA. Die begrenzte Bedeutung von Esperanto liegt zudem daran, dass es nicht an Schulen gelehrt wird, dass Lernen für viele Leute ein vermeidbarer Aufwand ist und dass es politisch nicht gefördert wird.
Irgendwie ist die weltweite Verbreitung von Englisch zu bedauern. Englisch muss man gleich zweimal lernen: Erstens: wie heißt das auf Englisch. Und zweitens: wie spricht man das aus. Denken wir mal an cash, wash und large. Oder an bush, bus und burger. Französisch ist auch nicht viel besser, wenn man an die Ausspracheregeln denkt und daran, dass manchmal der letzte Teil eines Wortes nicht mitgesprochen wird. Italienisch oder Spanisch wären viel besser geeignet gewesen: Da lernt man die Ausspracheregeln in fünf Minuten.
Ein Wissenschaftler hat berechnet, welche Ungerechtigkeit durch die Vorherrschaft einer Nationalsprache entsteht. Für Englisch wurden 20 bis 25 Mrd. €/a ermittelt. Und die sprachlichen Normen werden stets durch die Muttersprachler bestimmt – zu deren Vorteil. Insofern ist die Verwendung von Esperanto zumindest ein Beitrag zur Gerechtigkeit. Allerdings: Solange natürliche Sprachen weltweit verbreitet sind, gibt es keinen zwingenden Grund, wegen der internationalen Verständigungsfähigkeit Esperanto zu lernen.
Neben Esperanto gibt es noch weitere Welthilfssprachen, auch Plansprachen genannt. Bereits 1665 wurde eine panslawische Sprache vorgestellt, sie sollte die Kommunikation zwischen den Angehörigen verschiedener slawischer Sprachen zu erleichtern. Einen vergleichbaren Ansatz gab es auch für die germanischen Sprachen. Beide Versuche blieben erfolglos.
Im 19. Jahrhundert wurde eine Vielzahl von Plansprachen vorgestellt, insgesamt soll es rund 1000 Ansätze gegeben haben. 1858 erschien la langue simplifiéé, 1958 Universalgot, und 1879 schuf Johann Martin Schleyer Volapük (vol bedeutet Welt und pük heißt Sprache). Volapük verbreitete sich rasch, auch weltweit, selbst in China und Japan. Viele Medien und Wissenschaftler unterstützten das Projekt. Allerdings war Volapük nicht leicht zu lernen. Zwar stammten die meisten Worte aus europäischen Sprachen, wurden jedoch stark verändert. Auf den Jahreskongressen gab es bald Auseinandersetzungen, weil eine Vereinfachung von Wortschatz und Grammatik gefordert wurde. Schleyer berief sich jedoch auf sein Urheberrecht und lehnte dies ab. Dennoch fanden Reformen statt, letztlich gab es drei Varianten von Volapük. Viele Anhänger einer Plansprache wechselten zu Esperanto. Etwa ab 1900 wurde Volapük bedeutungslos.
Bereits 1817 hatte der Franzose Francois Sudre nach vierzigjähriger Arbeit die Plansprache Solresol entwickelt, eine Weltsprache auf musikalischer Grundlage. Allerdings hat Solresol eine umständliche Grammatik, und sein willkürliches Vokabular verlangt intensives Gedächtnistraining. Der Wortschatz bietet dem Lernenden kaum Bezugspunkte zu anderen, bereits bekannten Sprachen. Er basiert auf den Tonsilben da re mi fa sol la und si. Häufig gebrauchte Wörter bestehen aus einer, zwei oder drei Silben/Noten, zum Beispiel si = ja, do = nein, doredo = „Zeit“, dorela = Jahr, doresi = „Jahrhundert“. Speziellere Begriffe werden aus vier oder fünf Silben gebildet.
Das Besondere an Solresol ist, dass man sich nicht nur sprechend, sondern auch singend, pfeifend, mit Flöten oder sonstigen Musikinstrumenten verständigen kann. Schreiben kann man in Buchstaben- oder Notenschrift oder einem eigenem Solresol-Silbenalphabet. Man kann die einzelnen Tonsilben auch durch Zahlen ersetzen oder mit unterschiedlichen Farben oder Handzeichen darstellen. – Fünfzig Jahre lang war die Sprache ziemlich populär, obwohl sie nie praktisch verwendet wurde.
Die Plansprache Ido wurde 1907 aufgrund einer Übereinkunft auf der Pariser Weltausstellung von 1900 auf der Basis von Esperanto entwickelt. Sie ist einfacher und internationaler, zudem stärker am Romanischen orientiert. Ido hat sich nicht verbreitet, die Entwicklung stagniert. Die heutige Sprachgemeinschaft wird auf 1000 bis 2500 Personen geschätzt. Als Nachfolger von IDO und unter Nutzung von Esperanto wurde 1928 Novial vorgestellt, auch mit einem Schwerpunkt auf romanischen Sprachen. Nach dem Tode des Erfinders Otto Japersen geriet Novial in Vergessenheit.
1922 erschien Interlingue. Ihr Ziel war, die vorhandenen Welthilfssprachen zu koordinieren. Schwerpunktmäßig nutzt sie den internationalen Wortschatz. Grammatisch ist sie anspruchsvoller als Esperanto. 1951 wurde sie zur eigenständigen Plansprache erklärt und zur Vermeidung von Verwechslungen mit Interligua Occidental genannt.
Eine der jüngsten Welthilfssprachen ist Interlingua, das 1951 vorgestellt wurde. Es basiert auf den romanischen Sprachen sowie auf Deutsch, Englisch und Russisch und weist eine extrem vereinfachte Grammatik auf. Genutzt werden vor allem Wörter, die in gleicher oder ähnicher Form in mehreren Sprachen vorkommen. Interlingua wird in Fachkreisen als modernes Latein bezeichnet und ist neben Esperanto die wichtigste Plansprache.
Reminiszenz: Als Schüler habe ich selbst Esperanto gelernt. Mich reizten der internationale Anspruch und die logische Grammatik und Wortbildung. Da ich in der Schule Latein, Englisch und Französisch gelernt und zudem einen Italienisch-Kurs besucht hatte, waren die Vokabeln für mich kein Problem. Gelernt habe ich anhand eines Büchleins von 70 Seiten, erschienen 1957. Nach einem Monat war das Programm geschafft. Genutzt habe ich meine Esperantokenntnisse nie. Der örtliche Esperanto-Stammtisch interessierte mich nicht, und im Ausland griff ich lieber auf meine Englisch- und Französisch-Kenntnisse zurück als die dortige Esperantogruppe anzusprechen.
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