Das im Juli 2017 von 122 Mitgliedsstaaten der UNO-Generalversammlung vereinbARTE Abkommen zum Verbot von Atomwaffen war ein großer Erfolg im schon über 70 Jahre währenden Kampf für die weltweite Ächtung dieser Massenvernichtungswaffen. Doch seitdem mehren sich die Anzeigen für eine negative Trendwende und eine Renaissance der atomaren Abschreckungs- oder gar Kriegsführungspolitik. Die USA, Deutschland und andere NATO-Staaten versuchen zu verhindern, dass das UNO-Abkommen in Kraft tritt. Ende Oktober dieses Jahres erklärte die Trump-Administration in Washington ihre Absicht, das 1987 mit Moskau vereinbARTE INF-Abkommen zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen zu kündigen. Bereits Anfang Februar hatte die US-Regierung die Entwicklung von „Mininukes“ angekündigt, deren Auslieferung an die US-Streitkräfte die Schwelle zum tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen erheblich absenken könnte. In Deutschland mehren sich die Stimmen für eine „Mitverfügung“ des größten EU-Landes über die französischen und britischen Atomwaffenarsenale im Rahmen einer Europäischen Militärunion. Und Anfang November verweigerte die Schweiz bei einer Abstimmung in der UNO-Generalversammlung in New York ihre Unterstützung für das Atomwaffen-Verbotsabkommen, bei dessen Vereinbarung im Juli 2017 sie noch zugestimmt hatte. Denn der Bundesrat in Bern setzt auf eine Verteidigung der Schweiz durch die atomaren Massenvernichtungswaffen der NATO und will daher dem UNO-Abkommen nicht beitreten.

Mit der Aufkündigung des am 7. Dezember 1987 in Washington von den Präsidenten der USA und der damaligen Sowjetunion, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnete INF-Abkommen zerstört die Trump-Administration das militärisch und politisch bedeutsamste Rüstungskontrollabkommen aus der Phase des Kalten Krieges. Denn im INF-Vertrag vereinbarten Washington und Moskau nicht nur – wie in anderen Abkommen – tiefere, zahlenmässige Obergrenzen für bestimmte Waffensysteme in ihren Arsenalen, sondern die vollständige Verschrottung und das Verbot zweier Waffenkategorien: landgestützte Raketen mit kürzerer (500- 1000 Kilometer) und mittlerer (1000-5.500 km) Reichweite, die mit atomaren oder konventionellen Sprengköpfen bestückt werden können. Am 1. Juni 1988 trat der Vertrag in Kraft, am 31. Mai 1991 war er von beiden Seiten fristgemäß umgesetzt. Bis dahin hatten die USA 844 Raketen verschrottet, darunter die vor allem im damaligen Westdeutschland stationierten Pershing 2 und Pershing 1-A sowie auch in Italien, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien stationierte Marschflugkörper (Cruise Missiles). Die Sowjetunion vernichtete 1846 Raketen, darunter die 654 auf ihrem Territorium stationierten SS-20 sowie Raketen der Typen SS-3, 4,12 und 23, die teilweise auch in der DDR, der Tschechoslowakei sowie Anfang der 60er Jahre auf Kuba stationiert waren.
Zur Überwachung des INF-Abkommens und seiner Umsetzung räumten sich Washington und Moskau gegenseitig sehr weitreichende Inspektions- und Überprüfungssrechte ein. Das mit dem INF-Abkommen geschaffene Vertrauen zwischen Washington und Moskau ermöglichte nach Ende des Kalten Krieges auch neue Verträge zur Reduzierung der strategischen Atomwaffenarsenale (START) sowie einseitige Abrüstungsmaßnahmen: beide Seiten zogen tausende atomarer Artilleriegranaten und Kurzstreckenraketen mit Reichweiten bis zu 500 Kilometern aus West-und Osteuropa ab.
Bereits seit 2007/2008 wird in Moskau und Washington zumindest informell der Verdacht geäußert, die andere Seite verletze das Abkommen. 2014, kurz nach der völkerrechtwidrigen Annexion der Krim durch Russland, warf die Obama-Administration in Washington der Regierung Putin dann erstmals offiziell vor, mit der Entwicklung und zwischenzeitlich bereits erfolgten Auslieferung des neuen Marschflugkörpers 9M729 (US-Bezeichnung: SSC-8 Screwdriver) mit einer Reichweite von über 500 Kilometern gegen den Vertrag zu verstoßen. Moskau weist diesen Vorwurf zurück mit der Erklärung, dieser Marschflugkörper sei ausschließlich für die Stationierung auf See vorgesehen und falle daher nicht unter das INF-Abkommen.
Umgekehrt behauptet Russland, die USA würden mit ihrem von der NATO unterstützten Raketenabwehrsystem gegen das INF-Abkommen verstoßen – konkret mit der bereits erfolgten Stationierung von Abwehrraketen des Typs Aegis Ashore im rumänischen Deveselu und in Polen. Denn, so die russische Argumentation, die für diese Raketen vorgesehenen Startgeräte vom Typ MK 92 würden die USA auch auf Kriegsschiffen verwenden für den Abschuß von seegestützten Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk. Washington versichert hingegen, die landstationierten Startgeräte seien nicht zum Abschuß von Marschflugkörpern vorgesehen. Moskau hält dagegen, dies lasse sich von außen nicht zu unterscheiden.
Weitere Nahrung für diesen Streit liefert die Entwicklung einer neuen landgestützten Mittelstreckenrakete, für die der US-Kongreß in seinem Haushaltsplan für 2018 erste Finanzmittel bewilligt hatte. Unter anderem darauf dürfte sich Präsident Trump bezogen haben, mit seiner Ankündigung, die USA würden „diese Waffen entwickeln, bis Russland und China zustimmen, diese Waffen nicht zu entwickeln”.
Aus friedens- und abrüstungspolitischer Sicht wäre es natürlich sehr zu begrüßen, wenn das vor 31 Jahren zwischen Washington und Moskau vereinbARTE bilaterale INF-Abkommen multilateralisiert würde durch eine Ausweitung auf alle Staaten, die inzwischen auch Mittelstreckenraketen besitzen oder in der Lage sind, sie herzustellen. Dazu gehören auf jeden Fall China, Iran, Nordkorea sowie möglicherweise auch bereits oderin naher Zukunft Indien, Brasilien sowie weitere Länder. Doch die Zerstörung des bestehenden und über drei Jahrzehnte erfolgreichen bilateralen INF-Vertrages ist mit Sicherheit der falsche Weg, ein multilaterales Abkommen zum Verbot von Mittelstreckenraketen zu erreichen.

„Mininukes“ zur verbesserten Abschreckung oder zur Kriegsführung?

Das Pentagon kündigte in dem Anfang Februar veröffentlichten Dokument zur Überprüfung der US-Nuklearwaffendokrin (Nuclear Posture Review), das die Administration auf Beschluß des Kongresses alle acht Jahre vorlegen muss, die Anschaffung von „mehr flexibel einsetzbare Nuklearwaffen mit geringerer Sprengkraft“ an.

Konkret planen die US-Militärpolitiker eine „kleine Zahl“ existierender Atomsprengköpfe von U-Boot-gestützten Langstreckenraketen umzurüsten. Man wolle künftig über eine Variante mit „geringerer Sprengkraft“ verfügen, „die in der Lage ist, in die gegnerische Abwehr einzudringen“. Zudem soll für die bislang schon existierenden Marschflugkörper (Cruise Missiles) mit konventionellen Sprengköpfen ein atomarer Sprengkopf entwickelt werden. Die „Integration“ der konventionellen und atomaren Kriegsplanungen müsse „verstärkt werden“, heißt es in dem 74-seitigen Pentagondokument. Russland habe seinerseits bereits Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft entwickelt. Dagegen reiche das strategische Atomwaffenarsenal der USA zur Abschreckung nicht mehr aus.

Wie hoch die „geringe Sprengkraft“ der neuen „Mininukes“ sein soll, bleibt offen. Bisher ist damit meist eine Sprengkraft von maximal 20 Kilotonnen gemeint. Zum Vergleich: Die Sprengkraft der US-Atombomben 1945 auf Hiroshima und Nakasaki betrug 13 und 21 Kilotonnen.
Nicht nur die Regierungen in Moskau, Peking und Teheran, sondern auch westliche RüstungskontrollexpertInnen und VertreterInnen der Friedensbewegung zeigten sich besorgt, dass mit der Auslieferung dieser neuen Atomwaffen an die US-Streitkräfte die Schwelle zu einem Nuklearkrieg sinken könnte.

„Die Pläne der USA sind ein massiver Versuch, Atomwaffen aus den Bunkern zu holen und aufs Schlachtfeld zu verlegen“, kritisierte Beatrice Fihn von der 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Internationalen Kampagne für die Abschaffung atomarer Waffen (Ican). Jon Wolfsthal, einst Rüstungskontrollberater des früheren US-Präsidenten Barack Obama, warnte: „Wenn wir Marschflugkörper mit Atomsprengköpfen bestücken und dann konventionelle Marschflugkörper starten: Woher soll Russland dann wissen, dass sie konventionell bewaffnet sind?“

Laut der Nuclear Posture Review vom Februar dieses Jahres will das Pentagon auch die rund 20 im deutschen Fliegerhorst Büchel in der Eifel stationierten atomaren Flugzeugbomben der USA vom Typ B-61-4 spätestens 2021 durch das „modernisierte“ Modell B-61-12 ersetzen. „Modernisiert“ heißt zielgenauer, zerstörerischer und flexibler einsetzbar, sowohl auf taktischen Kampfflugzeugen wie auf strategischen Langstreckenbombern. Die in Büchel stationierte Flugzeugbombe vom Typ B-61-4 kann mit variabler Sprengkraft von 0,3 bis 50 Kilotonnen ausgerüstet werden. Im „Rüstungskontroll“-Kapitel des Koalitionsvertrages der von CDU/CSU und SPD gebildeten Bundesregierung in Berlin findet sich an diesem atomaren Aufrüstungsvorhaben keine Kritik. Und das, obwohl der Bundestag bereits im Mai 2010 fast einstimmig den ersatzlosen Abzug der B-61-Bomben aus Deutschland gefordert hatte. Stattdessen hat die von Koalitionen der CDU/CSU mit der SPD oder der FDP geführte Bundesregierung auf allen jährlichen NATO-Gipfeln seit dem Bundestagsbeschluß vom Mai 2010 der fortgesetzten Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland sowie ihrer von Washington geplanten „Modernisierung“ ausdrücklich zugestimmt.

Deutsche Atomwaffenambitionen

Im Rahmen der sogennannten „Nuklearen Teilhabe“ Deutschlands in der NATO könnten die auf dem Fliegerhorst Büchel stationierten Atombomben der USA im Kriegsfall auch von Kampfflugzeugen der Bundeswehr eingesetzt werden. Dasselbe galt für die bis zum INF-Vertrag von 1987 in Deutschland stationierten atomaren Mittel- und Kurzstreckenraketen sowie Artilleriegranaten der USA. Diese „Nukleare Teilhabe“ möchte die Bundesregierung auf keinen Fall aufgeben. Auch deshalb intervenierte noch im Sommer 1987 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bei US-Präsident Ronald Reagan gegen die von Washington und Moskau vereinbARTE „Doppelte Null-Lösung“, weil diese den Abzug sämtlicher US-Atomraketen mittlerer und kürzerer Reichweite aus Deutschland vorsah. Darunter auch die damals bei Einheiten der Bundeswehr stationierten Pershing 1A-Raketen, für deren Einsatz im Kriegsfall die Bundeswehr im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“ von den US-Streitkräften in Deutschland Atomsprengköpfe hätte erhalten können. Die Bundesregierung weigert sich auch beharrlich, dem UNO-Abkommen zum Verbot von Atomwaffen beizutreten. Gemeinsam mit der US-Regierung hatte sie im Vorfeld der Verhandlungen der UNO-Generalversammlung über ein Verbot alles veersucht, diese Verhandlungen zu verhindern.
Mit dieser Haltung wollen zumindest die drei Altparteien CDU/CSU, SPD und FDP, die seit den 60er Jahren von der damaligen westdeutschen Regierung in Bonn reklamierte „Europäische Option“ auf Mitverfügung Deutschlands über Atomwaffen offenhalten. Bei der Unterzeichnung sowie bei der Ratifizierung des „Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen“ (Non Proliferation Treaty) Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre schränkte die Bundesregierung den Verzicht auf Atomwaffen ein mit dem Vorbehalt, daß “keine Bestimmung des Vertrages so ausgelegt werden kann, als behindere sie die weitere Entwicklung der europäischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen”. Was damit gemeint war, sprach der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick am 20. Februar 1974 im Bundestag offen aus: “Die Bildung einer europäischen Nuklearstreitmacht bleibt möglich.” Gemeint ist, dass Deutschland im Rahmen einer künftig eventuellen entstehenden Europäischen Militärunion die Möglichkeit zur Mitverfügung („zweiter Schlüssel“) über die französischen und britischen Atomwaffenarsenale erhält. Über diese „Europäische Option“ wird in Berlin immer häufiger und intensiver diskutiert, seit US-Präsident Donald Trump zunächst im Wahlkampf 2016 die NATO für „obsolet“ erklärte und dann in mehreren Äußerungen auch die militärische Beistandsverpflichtung der USA in der NATO davon abhängig machte, dass die europäischen Bündnispartner sich stärker an der Finanzierung der NATO beteiligen. „Wenn die Europäer sich „nicht mehr auf den Nuklearschirm der USA verlassen“ können, müssten sie eine gemeinsame europäische nukleare Abschreckungspolitik auf Basis der französischen und britischen Atomwaffen entwickeln, schlug bereits Ende 2016 der für Außen-und Sicherheitspolitik zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter vor. Auf Anfrage mehrerer Abgeordneter hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages inzwischen ein Gutachten erstellt zu der Frage, ob eine Mitverfügung Deutschlands über die Atomwaffenarsenale anderer Staaten oder eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Aufrechterhaltung und „Modernisierung“ dieser Arsenale vereinbar wären mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem NPT und dem im September 1990 abgeschlossenen Vier+Zwei-Vertrag zwischen den USA der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien der BRD und der DDR über die deutsche Wiedervereinigung. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass diese beiden Verträge weder eine Mitverfügung noch eine finanzielle Beteiligung Deutschland über/an den Atomwaffen anderer Atomwaffenstaaten ausschließen. Der Vier+Zwei-Vertrag enthält lediglich einen Verzicht des vereinten Deutschlands auf die Entwicklung, Produktion, Besitz, Weitergabe und den Einsatz von Atomwaffen. Die damalige Delegation der DDR bei diesen Verhandlungen wollte darüberhinaus auch den Verzicht auf „Mitverfügung“ Deutschlands sowie auf jede Form der Beteiligung an Atomwaffenarsenalen anderer Staaten in den Vertrag aufnehmen. Doch das verhinderte der damalige westdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Inzwischen melden sich in der Diskussion in Deutschland auch Sicherheitsexperten und Militärs zu Wort, die es für unrealistisch halten, dass Frankreich und Großbritannien jemals eine Mitverfügung Deutschlands und die Europäisierung ihrer Atomwaffenarsenale zulassen werden. Deshalb müsse man jetzt die Frage “öffentlich ohne Vorbehalte und Scheuklappen diskutieren: Wie halten wir es mit einer potenziellen Atommacht Deutschland?”, schrieb der emeritierte Bonner Politikprofessor Christian Hacke im Juli zunächst in einem Artikel in der Zeitschrift „Cicero“, der wenig später von der Tageszeitung „Die Welt“ nachgedruckt wurde. Hacke plädierte mit Blick auf die EU explizit für “eine neue Balance zwischen Gemeinschaftsidee und nationalen Überlegungen”: Die “Landesverteidigung” der Bundesrepublik “auf der Grundlage eigener nuklearer Abschreckungskapazitäten” müsse “angesichts neuer transatlantischer Ungewissheiten und potenzieller Konfrontationen Priorität bekommen”. Man müsse die Frage stellen, “unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten” die “Zentralmacht Europas Atommacht” werden könne.

Bundesrat will die Schweiz notfalls durch Atomwaffen verteidigen lassen

So weit wie in Deutschland geht die Debatte in der Schweiz zwar noch nicht. Aber der Bundesrat will ausdrücklich die Möglichkeit offenhalten, daß die Schweiz in einem künftigen Konflikt durch den Einsatz durch den Einsatz von Atomwaffen der NATO-Staaten verteidigt wird. Mit dieser Option rechtfertigte der Bundesrat im August seine Entscheidung, das UNO-Abkommen zum Verbot von Atomwaffen nicht zu unterzeichnen.
Ein Beitritt zu diesem Vertrag sei «sicherheitspolitisch riskant» heißt es in der elfseitigen Begründung der Bundesratsentscheidung. Denn «im Extremfall der Abwehr eines bewaffneten Angriffs würde die Schweiz mit einiger Wahrscheinlichkeit mit anderen Staaten oder Bündnissen, nicht zuletzt mit Kernwaffenstaaten oder deren Allierten, zusammenarbeiten». Mit einer Unterzeichnung des Atomwaffenverbots würde die Schweiz sich hingegen «die Handlungsoption verschliessen, sich ( …) explizit unter einen Nuklearschirm zu stellen». Im Klartext heißt das: die Schweiz würde im Extremfall Nuklearstaaten auffordern, zu ihren Gunsten einen Massenmord an Zivilisten in anderen Ländern zu begehen. Wie die deutsche Regierung behauptet auch der Bundesrat, ein Verbotsabkommen sei sinnlos, solange die Atomwaffenmächte nicht dabei sind. Gemäß dieser Logik dürfte die Schweiz auch keine Menschenrechtsverträge unterzeichnen, solange Saudiarabien, Iran oder China diese Verträge nicht umsetzen. Zudem widerlegt die Geschichte der letzten 73 Jahre die Behauptung des Bundesrates: sämtliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge, die seit 1945 international vereinbart wurden – mit Ausnahme der bilateralen Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion/Rußland zur Begrenzung von Atomwaffen und von Raketenabwehrsystemen – wurden von kleinen Staaten initiiert und durchgesetzt, die zumeist selber nicht über die entsprechenden Waffen verfügten oder von internationalen Koalitionen von Nichtregierungsorganisationen. Zunächst oft gegen den Willen und Widerstand gewichtiger und großer Staaten, die über die entsprechenden Waffen oder Munitionen verfügten. Das gilt unter anderem für den Atomwaffensperrvertrag sowie für die Abkommen zum Verbot von chemischen und biologische Massenvernichtungsmitteln, von Antipersonenminen und Streubomben. All diese Abkommen bewirkten die politisch-moralische Ächtung der verbotenen Waffen und wurden von den jeweiligen Vertragsstaaten umgesetzt. Auf dieser Weise wuchs und wächst der Druck auf die zunächst noch unwilligen Staaten, diesen Abkommen ebenfalls beizutreten. Auch die Schweiz wurde 1968 erst durch internationalen Druck gezwungen, das 1946 vom Bundesrat lancierte Entwicklungsprogramm für eigene Atomwaffen aufzugeben und dem Sperrvertrag beizutreten.

Mit der Entscheidung, dem UNO-Abkommen zum Verbot von Atomwaffen nicht beizutreten, hat der Bundesrat zudem das Neutralitätsprinzip bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und die Schweiz zum willfährigen Büttel und Anhängsel der NATO und ihrer Atomwaffenpolitik gemacht. Die zitierten Passagen zur Aufgabe der Neutralität und Unterwerfung der Schweiz unter die Nukleardoktrion der NATO stammen interessanterweise vom VBS, dessen Chef Guy Parmelin der SVP angehört, die sich ansonsten so gerne als Gralshüter der Neutralität aufspielt.
Seitdem die UNO-Generalversammlung das Atomwaffenverbot im Juli 2017 mit der knappen Zweidrittelmehrheit von 122 Staaten beschlossen hat, haben nicht nur die drei Atomwaffenmächte der NATO, USA, Frankreich und Großbritannien, sondern auch Deutschland auf die Regierung in Bern eingewirkt, den Vertrag nicht zu unterzeichnen und schon gar nicht zu ratifizieren.
Diese Einflussnahme erfolgte sowohl auf bilateraler Ebene zwischen den Hauptstädten wie über die UNO-Mission der Schweiz in New York und ihre ständige Vertretung beim NATO-Hauptquartier in Brüssel. Diese Vertretung wurde nach dem Beitritt der Schweiz zur „NATO-Partnerschaft für den Frieden“ und dem „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“ in den Jahren 1996/97 errichtet.
Eine ähnliche Einflussnahme verbunden mit massivem wirtschaftlichen und politischen erfolgt(e) auch auf zahlreiche afrikanische, lateinamerikanische und asiatische Staaten, die in der UNO für den Verbotsvertrag gestimmt hatten.
Es geht den NATO-Staaten darum, zu verhindern, dss die erforderlichen 50 Staatenratifikationen zusammenkommen, damit der Vertrag in Kraft treten kann. Bei Redaktionsschluss dieses Artikels Ende November hatten erst 69 Staaten den Vertrag unterzeichnet und nur 19 ratifiziert.

Dieser Beitrag erschien zuerst gestern in der Schweizer Friedenszeitung, Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.