Ein unterirdischer Anblick, der viele Menschen in Europa erstarren lässt, da wird ein Herzstück von Paris, der europäischen Kultur, der französischen – auch weltlichen – Tradition ein Raub der Flammen eines banalen Brandes, vermutlich ausgelöst durch Renovierungsarbeiten. Egal wodurch – die ersten Bilder vom voll hölzernen Dachstuhl, die heute in den Medien zu sehen waren, lassen jeden einigermaßen Sachkundigen kopfschütteln: Soviel Holz, z.T. aus dem 12. Jahrhundert ohne jeden Schutz durch Sprinkleranlagen oder automatische Löschsysteme in einer Kathedrale, die täglich von mehreren zehntausenden Menschen besucht wird und deren Holzdachstuhl wie Zunder brennt?  Sofort fällt da doch der Berliner Flughafen ein.

Der darf – obwohl für den Betrachter eigentlich nur aus Beton, Stahl, Glas und Metall gebaut, schon seit Jahren nicht in Betrieb gehen. Ich bin sicher, dass es aufgrund der täglich zehntausenden Menschen, die dort starten und landen würden,  dafür gute Gründe gibt. Aber gibt es die nicht auch für Notre Dame? Und natürlich den Kölner Dom, das Ulmer Münster oder die Münchner Frauenkirche oder Schlösser wie Neuschwanstein?

In Köln wäre ein solches Inferno wohl kaum möglich, sagt ex-Dombaumeisterin Schock-Werner. Denn die Erbauer des Dachstuhls haben diesen im 19. Jahrhundert – ebenso wie den kleinen Ostturm aus Stahl gefertigt, wie den Eiffelturm. Wie das bei den anderen Baudenkmälern aussieht, kann ich nicht sagen. Aber was zum Teufel hat die Behörden in Paris davon abgehalten, ein solches Denkmal wie Notre Dame durch Sprinkleranlagen, automatische CO² Löscher oder andere technische Löscheinrichtungen zu schützen?  Wenn – wie die Nachrichten melden – zusätzlich zur gesamten Holzkonstruktion noch 250 Tonnen Blei verbaut worden sind, die offensichtlich nun angefacht durch die Holzfeuer geschmolzen sind und die Feuer in Gang halten bzw. weiter nähren, muß schon die Frage erlaubt sein, wer ein solches Gebäude für die Öffentlichkeit zur Begehung und Besichtigung für Zehntausende pro Tag freigibt?  Ein Inferno mittelalterlichen Ausmasses scheint dort zu toben.

Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt, aber das mag ja nur ein glücklicher Zufall sein. Viele befinden sich täglich im stark besuchten Monument – es hat 13 Mio. Besucher pro Jahr aus aller Welt also etwa 30.000 täglich – dort befinden sich riesige Gemälde und andere Kunstwerke, schmücken historische Altäre das Nationaldenkmal unseres französischen Bruderlandes – vor dem Eingang befindet sich der Nullpunkt aller Entfernungskilometerangeben auf Karten nach Paris.

Und so etwas kommt völlig ohne wirkungsvollen Brandschutz aus, während es ein moderner Flughafen nicht schafft, ans Netz zu gehen? Wie ist es möglich, dass bei historischen, aber ebenso wichtigen Gebäuden der dringend notwendige Aufwand gescheut wird und bei Neubauten ein absurder Wettbewerb der Bürokratie um jedes Detail fröhliche Urständt feiert? Welchen Wert haben all diese Vorschriften für die betroffenen Menschen, wenn am Ende zwei Klassen von Gebäuden entstehen: Moderne Bauten, die pingelig auf jedes Detail achten, zur Not jahrelangen Stillstand riskieren, um Sicherheitsbestimmungen einzuhalten und gleichzeitig historische Orte, die von jeder Verantwortung dieser Art freigestellt sind? Gibt es irgendwen da draußen, der jemals darüber nachgedacht hat?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net