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Verfassung schützen nicht die, die so heißen – sondern nur wir selbst

Heute Abend präsentiert sich die AfD als Wahlsieger. Alle anderen gucken total blöd aus der Wäsche und machen uns wieder mit inhaltlosem Wortbrei voll.(Update: die SPD “feierte” einen Verlust von 5% – fortgeschrittene selbstreferentielle Autosuggestion) Bei einer Wahl, bei der weniger Leute wählen, als hier in der Kölner Bucht wohnen. Nächste Woche in Berlin dann das Gleiche, schon wichtiger, weil es die einzige richtige Großstadt da im Osten ist. Großstadt, das ist das, wo sich verschiedene Menschen mischen. Sich kennenlernen, sich lieben und hassen, zusammen arbeiten, gegeneinander intrigieren, sich unter dem Strich aber ihr Leben leben lassen. Und dabei gewiss nicht dümmer werden. Etwas, was viele in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch einige in, sagen wir mal, Erftkreisdörfern, so bis heute noch nicht kennen.

Wie es so weit kommen konnte, habe ich hier in den letzten Jahren zu beschreiben versucht. Darum soll es hier jetzt mal um die Frage gehen, was jetzt zu tun ist.
Fast schon belustigt habe ich in den letzten Wochen wahrgenommmen, dass es im Hauptstadt-Berlin Bemühungen von SPD-Linken, Grünenlinken und Linksparteilinken gab, über die Perspektiven einer möglichen rot-rot-grünen Zusammenarbeit zu sprechen. Wenn sie damit zumindest auf einer diskursiven Ebene vor etlichen Jahren begonnen hätten, hätte man das ja ernstnehmen können. Heute ist die Geschichte schon so darüber hinweggefahren, dass es nur noch zum Erbarmen lächerlich wirkt.

Es würde ja nicht genügen, seine Umfrageprozente zusammen zu rechnen, selbst die genügen aktuell bei weitem nicht mehr. Das hatte noch nie mit Politik zu tun. Sondern die erste zu klärende Frage wäre: was ist die Botschaft? Die zweite wäre dann: welche politische Erzählung vertreten wir gemeinsam? Was ist unsere Alternative zum Jetzt? Das zu beantworten, daran muss man schon ein paar Jahre arbeiten. Das ist mit Pressemitteilungen und Resolutionen nicht erledigt. Dass das schon so lange versäumt wird, ist der tiefere Grund für die Demobilisierung demokratischer WählerInnen, und die Ermutigung, die wachsende Hemmungslosigkeit des rechten Randes.

Leider steht die heutige Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darum jetzt vor einer viel größeren Frage. Wer verteidigt die Demokratie und die Grundrechte des Grundgesetzes gegen ihre Feinde? Und wie wecken wir die Mehrheit der Gleichgültigen auf, damit sie dabei mithelfen? Wir sind nicht in der luxuriösen Lage, dass SPD, Grüne und Linkspartei das auch nur theoretisch alleine schaffen. Dafür sind auch rechte Sozialdemokraten, die Mehrheit der Christdemokraten, und ja sogar, wenn es sie noch gibt, der Rest der FDP erforderlich. Alle Parteien sind so geschrumpft, dass selbst sie zusammengerechnet nicht genügen werden. Es ist eine mobilisierende gesellschaftliche Polarisierung dafür erforderlich. Das darf man nicht der AfD überlassen.

Auch dafür muss ein Diskurs entwickelt werden. Er könnte insbesondere in CDU und CSU eventuell einen Keil treiben, weil es dort ernstzunehmende Kräfte gibt, die in Kürze eine Zusammenarbeit mit der AfD enttabuisieren wollen. Die Bundeskanzlerin, oder z.B. die NRW-CDU, auch die meisten Großstadt-Kreisverbände gehören nach meinem Eindruck bisher nicht dazu. Mit CDU/CSU und FDP wäre ausserdem zu diskutieren, dass antidemokratische Putschversuche, wie sie sich bei den internationalen Handelsabkommen TTIP und CETA darstellen, nicht hinnehmbar sind. KommunalpolitikerInnen dieser Parteien wissen das längst. Mindestens TTIP ist in den USA bald genauso tot, wie in Deutschland, Frankreich und neuerdings auch Belgien.

Es wird nicht genügen, wenn sich die demokratischen Parteien jetzt auf kleinstem gemeinsamem Nenner zu Zweckkoalitionen zusammenschliessen. Sie sind gezwungen – schaffen sie das überhaupt noch? – in unserem Land eine Leitbilddiskussion zu entwickeln. Wie will Deutschland als friedensbildende Kraft an der Globalisierung mitwirken? Was kostet uns das an Kraft und Geld? Was müssen wir hierzulande ändern oder neu entwickeln, dass alle dabei mithelfen können? Was müssen wir ändern, dass niemand zurückbleibt, niemand vergessen und verloren gegeben wird?

10%, also über 8 Millionen Deutsche wirken aktiv in der Flüchtlingsarbeit mit. Es sind also Massenpotenziale in der Gesellschaft, die zur Mitwirkung fähig sind. Die demokratischen Parteien müssen diese engagierten Menschen endlich ernstnehmen. Die verlangen von ihnen ähnliches anpacken, und zwar gemeinsam und nicht gegeneinander, wie sie es selbst schon lange praktizieren. Es ist dies ein Wurzelwerk, das schon in den 80er Jahren von den Friedensbewegungen in BRD und DDR kultiviert wurde. Das ist es, was die AfD so hasst. Das muss verteidigt werden. Jetzt.

Strategisch glasklar dazu nach der MeckPomm-Wahl Bodo Ramelow.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    “Stell dir vor, was los wäre, wenn wir hier mal über Werte von weniger als 50% Wahlbeteiligung reden müssten…” Das muss ich mir nicht vorstellen, das gibts schon, und zwar hier bei uns im Westen. Hier nur mal als Beispiel Köln, also ungefähr so gross wie MeckPomm:
    http://www.wahlergebnisse.nrw.de/kommunalwahlen/2014/aktuell/a315000kw1400.html
    oder Essen ca. halb so groß wie MeckPomm
    http://www.wahlergebnisse.nrw.de/kommunalwahlen/2014/aktuell/a113000kw1400.html
    Und wie viele werden wohl zur NRW-Landtagswahl nächstes Frühjahr gehen? Die wird dann ja wirklich wichtig.

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