von Wolfgang Hippe

Buchrezension: Walter Grasskamp „Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion“ 185 S., München 2016, Beck Verlag

Die Kulturpolitik hierzulande ist wesentlich auf Institutionen fixiert – den Rahmen der Debatten setzen in aller Regel die stets hervorgehobenen angeblich „weltweit einzigartigen“ Kulturlandschaften etwa des Stadttheaters oder der Museen. Folgerichtig ist der Diskurs wesentlich von den entsprechenden Lobbys geprägt und kreist regelmäßig um die „Abhängigkeit von der öffentlichen Hand“. Schon deshalb verdient ein Buch Aufmerksamkeit, das für sich beansprucht, „eine lobbyfreie Theorie des Kunstmuseums zu erproben“. Zu beachten ist dabei die Formulierung „erproben“. Die Autoren des auch von Grasskamp diskutierten Buches „Der Kulturinfarkt“ hatten ihre Überlegungen einst als „Gedankenexperiment“ vorgestellt, ohne dass das in der folgenden aufgeregten Debatte von empörten Kulturfunktionären überhaupt wahrgenommen worden wäre. Und jetzt also das „Kunstmuseum“. In den bisherigen zahlreichen Rezensionen wiederholt sich der gängige Mainstreamdiskurs, allerdings deutlich verhaltener, was der Reputation des Autors geschuldet sein könnte. Da ist von einem „Verblassen des bildungsbürgerlichen Grundkonsenses“ die Rede, davon, dass die Krise des Kunstmuseums „in aller Munde“ sei, dass moderne Künstler ihre Werke „eher lieb- und haltlos zusammenkleistern“. Man fragt sich, ob „die Institution Kunstmuseum“ noch zeitgemäß ist und fühlt sich angesichts der aktuellen Trends (welcher?) gar als „Apostel des Niedergangs“. Orientiert man sich da nicht ein wenig an einer „Leitkultur“, die wir als progressive KulturpolitikerInnen doch ansonsten eher ablehnen?

Grasskamp – und das ist das Gemeine – intoniert eben Widersprüche in dieser „Leitkultur“ und hebt dabei ganz verbindlich immer wieder hervor, dass die derzeitige museale Praxis zwar viele Fragen aufwirft, Antworten aber schuldig bleibt, weil „das Kunstmuseum als sinnvolle Institution vorausgesetzt“ wird. Das erinnert an den Slogan „Theater muss sein“ oder an die „Rote Liste“ des Deutschen Kulturrats zur Verteidigung einer wie auch immer geARTEten kulturellen Infrastruktur. Deshalb hält man „die Probleme des Kunstmuseums (gern) für akzidentiell, als wären sie mit Geld und gutem Willen leicht zu beheben“, so Grasskamp. Natürlich spielt Geld eine Rolle, das „ökonomische Paradox“ des Kunstmuseums liegt aber darin, dass mit jedem Ankauf „hohe Folgekosten“ entstehen, die ein Museum, weil auf Ewigkeit angelegt, „nie wieder los wird“ und die es „aus eigener Kraft“ nie wird abdecken können (anders beim Theater und sogar bei der Oper).
Hinzu kommt, dass Kunstwerke im Übermaß hergestellt werden („Überproduktion“). Und: „es werden systematisch mehr Sammelobjekte erworben, als das Museum überhaupt zeigen kann.“ Damit setzt eine „spezifische Dynamik des Verbergens“ ein – geschätzte 95 – 99 % der Bestände lagern im Depot, ein nicht geringer Prozentsatz davon dürfte allmählich verrottet und damit der „Ewigkeit“ entzogen sein. Trotzdem hören die Museen nicht auf zu sammeln. Diese „Akquisitionskinetik“ führt dazu, dass etwa im Kölner Museum Ludwig in den letzten zehn Jahren 2000 Kunstwerke „ins Haus geholt“ wurden, in den 28 Jahren zuvor aber nur 200. Vormals war ein „Museumsankauf ein Urteil von beträchtlichem Gewicht“. Heute wartet man mit dem Ankauf nicht mehr, bis ein Stück „museumsreif“ ist.
Damit entsteht ein weiteres Paradox: Der frühe Ankauf lässt die Marktpreise in die Höhe schnellen und damit auf Dauer die Möglichkeiten der Museumsetats weiter schrumpfen. In Rechnung zu stellen ist daneben der Wandel des Kunstmarktes hin zu immer spekulativeren „Investitionen“. Die damit verbundene Beschleunigung kann freilich auch zu einem raschen Verfallsdatum von Kunst führen, nicht nur, was den Preis, sondern auch, was ihren Wert betrifft. Nächstes Paradox: Kunstmuseen sammeln sogar Stücke, „die sich erkennbar nicht zu sammeln eignen“ wie etwa die Schimmelwürste von Dieter Roth. Das mündet in eine eigentümliche Mischung aus Dekonstruktion und Koketterie mit dem eigenen Anspruch auf ein ewiges Leben. So wird das Kunstmuseum Zug um Zug in seiner „Überausdehnung“, was die Zahl der Häuser und Ausstellungsflächen betrifft, eine „gebaute Wohlstandserwartung“, gekoppelt mit der Hoffnung auf eine „Besitzerweiterungswahrung“. Das ist doppelt paradox, denn nicht nur die Depotbestände wachsen ins Unendliche, der „Platzanspruch der Kunstwerke“ im Museum selbst hat im Zuge des postmodernen „Formatwuchers“ zu einem eigenen Verdrängungswettbewerb geführt, wobei man sich zunehmend der Kunst der Gegenwart widmet und die „Ausstellung“ das Museale als Leitmotiv ersetzt.
Trotzdem werden „laufend“ weiter Museen gegründet und gebaut. Warnungen vor dieser Bauwut hat es in der Vergangenheit häufiger gegeben, sie wurden nicht ernst genommen. „Es scheint jedenfalls immer noch einfacher“, so Grasskamp, „ein Museum zu gründen als eines zu schließen.“ Dabei gäbe es innerhalb des bestehenden Museumssystems Baustellen genug. Etwa, wie weit angesichts der „Materialermüdung“ bei einzelnen Kunstwerken die Restaurierung gehen kann (und darf?), etwa der Einsatz von „compensating illumination“ oder kompletter Replikate, was teilweise bereits verschämte Praxis ist. Grasskamp schreibt zu diesen Themen nicht umsonst u.a. von der „Postproduktion“ der Restauratoren. Wie steht es mit Leihgaben und dem Zwiespalt von Sammlern zwischen „ihrem schicken Risikokapital und dem langfristigen Interesse an einem wertsteigenden Weiterverkauf“? Last not least: was zählt eigentlich (noch) als „Aura“ eines Kunstwerks? Bei zeitgenössischen Computerprints der neuen Fotografengeneration und anderer „Medienkunst“ wird beim Ankauf neben dem „Original“ schon eine „exhibition copy“ verlangt. Kann man da noch von „Original“ und „Aura“ sprechen? „Im Gegensatz zur exhibition copy, die man sorglos auf Tournee schickt“, resümiert der Autor, „könnte die im Depot weggesperrte und luftdicht verpackte Version tradition copy heißen, obwohl sie genau das nicht ansetzt, was Tradition normalerweise mit sich bringt und erkennbar werden lässt: Patina.“
Das Buch von Grasskamp ist auch deshalb anregend, weil es ganz unaufgeregt daher kommt und kompetent, informativ und voller Anektoten und Geschichten einen Überblick über den Zustand des Kunstmuseums auf dem Weg in digitale Zeiten gibt – tatsächlich jenseits des gängigen Lobbyismus.

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