Die SPD markiert wieder mal in Rechtstaatsfragen den dicken Max und dies mitten im Wahlkampf. Wer gestern Fraktionschef Thomas Oppermann (SPD) in der Pressekonferenz gesehen hat, konnte kaum glauben, dass sich hier ein Sozialdemokrat äußerte. Als wolle er sich gleichzeitig als Enkel von Friedrich Zimmermann (CSU) und Urenkel von Gustav Noske (SPD) profilieren, der 1919 auf streikende Arbeiter schießen ließ, wetterte er, mit diesen neuen Gesetzen wolle man “möglichst viele Täter hinter Schloss und Riegel bringen” und “mit der ganzen Härte des Rechtsstaats” durchgreifen. Jawoll! Innenminister De Maizière (CDU) konstatierte mit (feixender) Genugtuung, beim gemeinsamen Beschluß handle es sich um eine Verwirklichung einer alten Forderung der Union. Nach drei Wellen von sogenannten “Antiterrorgesetzen” innerhalb eines Jahres hat das Bundeskabinett beschlossen, Einbruchdiebstahl vom Vergehens- zum Verbrechenstatbestand hochzustufen. Das bedeutet, die Mindeststrafe von drei Monaten auf ein Jahr zu erhöhen, die Höchststrafe von fünf auf zehn Jahre. Damit nähert sich der Strafrahmen des Einbruchsdiebstahls dem Totschlag an – ein kriminologischer Irrsinn. Eine zweifelhafte Wahlkampfshow, an der die AfD und andere Anhänger primitiver Antworten auf komplizierte Fragen ihre Freude haben müssen.
Die Aufklärungsquote liegt derzeit bei siebzehn Prozent. Seit Jahren steigt die Tathäufigkeit an, ohne dass sich mit den Ursachen auch nur im mindesten auseinandergesetzt wird. Lange Jahre waren und sind etwa 50% der Einbrecher zumeist Junkies oder Kleinkriminelle. Einbruch hatte und hat soziale Ursachen und ist zu einem erklecklichen Prozentsatz Teil der Beschaffungskriminalität. Drogenabhängige Täter stehen unter Druck und werden sich weder durch höhere Strafandrohung noch durch die beschlossenen Überwachungsmaßnahmen abschrecken lassen. Armutsbedingte Kleinkriminalität auch nicht. Solche Täter mindestens ein Jahr mit Gefängnis zu bestrafen, darüber hinaus mit bis zu 10 Jahren, ist nicht nur kontraproduktiv, es wird die soziale Situation der Täter in jedem Fall nur verschlimmern. Dass gerade die SPD solche sozialen Zusammenhänge nicht reflektiert, zeigt, wie weit das intellektuelle Niveau gegenüber früheren SPD-Rechtspolitikern wie Dieter Posser und Herbert Schnoor, Horst Ehmke oder Hertha Däubler-Gmelin inzwischen ins Bodenlose gesunken ist.
In den vergangenen Jahren kamen vermehrt bandenmäßig organisierte Diebe dazu, die vor allem auf der Suche nach Bargeld, Schmuck, Gemälden, teurem Porzellan oder teurer Unterhaltungselektronik, Handys oder Computern sind. Besonders unter den bandenmäßig arbeitenden Tätern befinden sich Gruppen von reisenden Straftätern, häufig aus osteuropäischen Staaten, die vergleichsweise brutal und rücksichtslos und nach gezielten Kriterien ihre Taten planen und durchführen. Dabei werden diese zumeist so geplant und durchgeführt, dass sie in eher wohlhabenden Wohnvierteln oder anonymen Großwohnanlagen von Ballungsgebieten rund um Großstädte stattfinden – und besonders entscheidend: Dort, wo günstige Fluchtmöglichkeiten bestehen, in der Nähe von Ausfallstraßen, einer, besser mehrerer Autobahnen. Interessant ist auch die auffällige zeitliche Korrelation zwischen Anstieg der Straftaten und der Veröffentlichung der Daten von Google Streetview: Die potenziellen Täter können heute im Internet nicht nur planen, wo verkehrsgünstige Fluchtwege bestehen, sondern in betreffenden Zielstraßen auch im Vorhinein die Qualität der Haustüren und Sicherungen studieren. Jede Leserin und jeder Leser kann das im Selbstversuch am Beispiel der Pferdmengesstraße im wohlhabenden Stadtteil Köln-Marienburg – nahe dem Autobahnkreuz Köln-Süd – einmal auf Google Streetview nachvollziehen.
Damit ist bereits aufgrund der Tatmerkmale klar, dass Nordrhein-Westfalen und Berlin aufgrund ihrer Strukturen, zahlreicher Großstädte und vielen Autobahnen besonders für diese Deliktsformen prädestiniert sind. Und nicht aufgrund der Couleur ihrer Regierungen. Auch gegenüber solchen Tätergruppen ist die erhöhte Strafandrohung als Abschreckung völlig wirkungslos. Sollten Mitglieder z.B. bulgarischer, ukrainischer oder rumänischer Banden wirklich gefasst und bestraft werden, belastet eine längere Haft nur den Strafvollzug, erschwert jede Resozialisierung und im Ergebnis werden die Täter nach Verbüßung der Halb- oder Zweidrittelstrafe abgeschoben. Das politisch-autoritäre Getöse der Oppermänner, De Maizières und Jägers ist nicht nur wirkungslos – es betreibt das Geschäft der politischen Rechten, es hilft, dieses Land in einen Law-and-Order Staat der Fünfziger Jahre zurück zu befördern – wie es die AfD, PEGIDA und andere Populisten gerne hätten. Danke liebe SPD! Danke Große Koalition!
Die einzige Möglichkeit, solche Delikte zu minimieren, verspricht eine intelligente Vorsorge – zum Beispiel durch Aufklärung vor Ort, durch gezielte Bestreifung und computergestützte, präventive Polizeiarbeit – die übrigens keine neue Erfindung ist – ein gewisser Horst Herold, später BKA-Präsident, hat sie schon als Nürnberger Polizeipräsident Anfang der siebziger Jahre entwickelt – ein intelligenter sozialdemokratischer Polizist. Das NRW-Innenministerium probiert das unter dem Titel “predictive Policing” derzeit aus. Das wäre völlig ausreichend – aber die orientierungslose und inkompetente Laienschar um Oppermann und Jäger glauben, dass sie mit einem Kniefall vor den Rechtspopulisten und der CSU ihren politischen Hintern vor den Wahlen in NRW und im Bund retten können. Deshalb veröffentlicht Ralf Jäger in NRW fast täglich Pressemeldungen, die der Rechten gut gefallen: – 4.5.:”NRW bei Abschiebungen bundesweit…vorn”; 10.5.: “NRW baut Abschiebehaftanstalt in Büren noch im Mai auf 140 Plätze aus” – man fragt sich, was die vielen gestandenen SPD-Mitglieder, vor allen die resoluten Frauen, die in Flüchtlingsinitiativen und Flüchtlingsräten vor Ort für Bürgerrechte einstehen und wichtige Integrationsarbeit leisten, denken und fühlen, wenn ihnen der SPD-Innenminister und Genosse ständig derart in den Rücken fällt und rechte Klischees bedient. Das rettet die SPD in NRW nicht – und nach der Wahl wird es in einer NRW-GroKo nicht besser.
Dieser Beitrag erscheint auch bei rheinische-allgemeine.de.
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