von Michael Kleff (z.Z. New York, sonst Beuel)

Die Israel-Lobby in Deutschland hat wieder einmal erfolgreich den Antisemitismus-Hammer herausgeholt. Auf Initiative einer Kölnerin rückte der WDR davon ab, ein Konzert des Ex-Pink-Floyd-Musikers Roger Waters zu präsentieren. Kurz danach beendeten auch der BR und der SWR ihre geplante Kooperation mit dem Veranstalter der Waters-Konzerte. Der Grund: Seine Unterstützung der sogenannten BDS-Bewegung (kurz für „Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen“), die sich gegen die aggressive Politik Israels gegen die Palästinenser richtet. In der Petition wird Roger Waters als „Judenhasser“ bezeichnet. Nun lässt sich sicher über die Radikalität mancher BDS-Aktivitäten streiten, doch die ständige Gleichsetzung von israelkritischen Positionen mit Antisemitismus ist damit nicht zu rechtfertigen. So erklärte auch Marek Lieberberg, Geschäftsführer von Live Nation Deutschland, gegenüber dem Mannheimer Morgen, das künstlerische Werk von Waters sei weder antisemitisch noch antijüdisch. Und er fügte hinzu: „Wenn die Öffentlich-Rechtlichen einen Beitrag leisten möchten, fände ich es beispielhaft, wenn vor allen Beiträgen über Luther oder Wagner-Aufführungen auf die teilweise blutrünstigen antisemitischen Theorien dieser Herren hingewiesen würde.“

Vielleicht sollten auch einmal Kooperationen mit anderen umstrittenen Musikern hinterfragt werden. Nehmen wir zum Beispiel Bono, Frontmann von U2, der sich gerne als Globalisierungsgegner und Weltverbesserer gibt. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein knallharter Geschäftsmann. Schon 2005 sagte Bono in einem Interview: „Wir sitzen nicht den ganzen Tag herum und denken über den Weltfrieden nach.“ Schon seit Jahren nutzt er legale Steuertricks, um sein Millionenvermögen vor dem Finanzamt abzuschirmen. So verlagerte er den Steuersitz seiner Band in die Niederlande, weil in seiner Heimat Irland Steuervorteile für Musiker und Künstler abgeschafft worden waren. Bono unterhält ein ganzes Netz aus Briefkastenfirmen nicht nur auf Malta, sondern auch auf der Kanalinsel Guernsey. Wie die sogenannten Paradise Papers zeigen, führt die Spur bis zu einem Einkaufszentrum in Litauen. Dort leitete nun die Steuerbehörde eine Untersuchung wegen Steuerunterschlagung ein. „Keep your promise“, heißt Bonos Botschaft im Kampf gegen Armut von der Bühne. Er liebt es, dass seine Fans ihn dafür lieben, dass er vorgeblich auf der richtigen Seite steht. Um sie in diesem Glauben zu belassen, enthält das neue U2-Album Songs Of Experience Lieder über die aktuellen Gefahren für unsere Demokratie. Doch es ist an der Zeit, dass sich Musikfans nicht länger davon blenden lassen.

Sven Regener, Sänger von Element of Crime, wiederholte jüngst wieder einmal seine Aussage, wonach gesellschaftskritische Songs eh nur „Gelaber“ und Aktionen wie Deine Stimme gegen Armut höchstens „Politik von Aldi“ seien. Dabei braucht unsere Gesellschaft gerade jetzt Künstler, die sich laut und deutlich engagieren. Dazu gehört seit vielen Jahrzehnten Klaus der Geiger. Mit dem eindringlichen Appell „Hilfe!“ hat er Anfang Dezember jetzt dazu aufgerufen, etwas zu unternehmen, dass RWE nicht den letzten Rest des uralten Hambacher Forsts bei Köln für die Braunkohleverstromung opfert. Auf Politiker und Gerichte können wir seiner Ansicht nach längst nicht mehr vertrauen. „Nutzen wir unsere Macht – wir haben sie!“, fordert er uns auf, aktiv zu werden. Wie dringlich das ist, zeigt auch die aktuelle innenpolitische Situation nach der Bundestagswahl. Während ich diese Zeilen schreibe, begibt sich die SPD gerade auf den Weg in eine Neuauflage der Großen Koalition – aus „staatspolitischer Verantwortung“, versteht sich. Gleichzeitig wird sie von der Union am Nasenring durch die Manege gezogen, wie die Zustimmung Deutschlands für die Glyphosat-Verlängerung zeigt. „Mehr Demokratie wagen“ hieß der Wahlspruch der SPD einmal. Mit der Tolerierung einer Minderheitenregierung könnte sie das jetzt endlich mit Leben füllen.

Ob es an der Jahreszeit oder am Alter liegt, dass ich angesichts der aktuellen politischen Weltlage mehr und mehr in der Vergangenheit krame – ob in meinem Bücherregal oder in meiner Plattensammlung? Interessanterweise entdecke ich dabei allerdings vieles, was aktueller nicht sein könnte. Und man fragt sich, ob die Menschheit eigentlich je etwas aus ihren Fehlern lernen wird. 1970 veröffentlichten der Songwriter Peter Hammill und seine Band Van Der Graaf Generator das Album The Least We Can Do Is Wave To Each Other. Der letzte Titel auf dem Album ist eine apokalyptische Endzeitvision, die Einstein so zitiert: „Wir können der Tatsache nicht ausweichen, dass jede einzelne Handlung, die wir tun, ihre Auswirkung auf das Ganze hat, und am Ende steht klar die totale Vernichtung.“ Im Text von „After The Flood“ heißt es unter anderem: „… weit entfernt schmilzt das Eis. / Das Wasser begräbt alles, / Städte werden von mächtigen Wellen zerstört; / der letzte Mensch ist machtlos / und versinkt im Meer. / Das ist das Ende des Anfangs / der Anfang vom Ende.“ Kein schlechtes Bild für das, was der Klimawandel uns bringen wird.

PS: Das Land der Freien und Mutigen versinkt derweil im Chaos. Es wird von einem Präsidenten regiert, der in die Psychiatrie gehört. Dennoch nehmen ihn Medien und Politiker weiterhin ernst. Nur die Comedians in den Late-Night-Shows haben den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen. Der quasi öffentlich-rechtliche Rundfunk NPR weigert sich nach wie vor Trumps tägliche Unwahrheiten als das zu bezeichnen, was sie sind: Lügen. Da passt es, dass mit Deidre Berger eine ehemalige NPR-Korrespondentin in Deutschland zu den Erstunterzeichnern von „Trotz Alledem: Amerika, ein transatlantisches Manifest in Zeiten von Donald Trump“ gehört. Darin wird vor einer strategischen Umorientierung der Bundesrepublik weg von den USA zu mehr europäischer Eigenständigkeit gewarnt und Amerika als „unverzichtbar“ bezeichnet. Dass zu den weiteren Unterzeichnern mehrere Vertreter des Aspen Institute gehören, einer weltweit agierenden Propaganda-Organisation der US-amerikanischen Neokonservativen, kann nicht überraschen – dann schon eher die Tatsache, dass sich mit Sergey Lagodinsky ein leitender Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung auf der Unterzeichnerliste findet. Ein Blick in seinen Lebenslauf bringt hier schnell Klärung: Lagodinsky war Berater der Leitung für das Berliner Büro des American Jewish Committee. Und wer ist Direktorin dieser Organisation? Deidre Berger.

Dieser Beitrag wurde für das Musik-Magazin “Folker” verfasst, und erscheint dort in der ersten Ausgabe 2018

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