Die taz-Kollegin Anne Fromm, nicht zu polemischen Überspitzungen neigend sondern eher ein nachdenklicher Typ Medienredakteurin, beklagt heute zutreffend ein öffentliches Diskursversagen. Und macht gleich selbst einen strategischen Fehler: den politischen Kampfbegriff “Ankerzentren” übernimmt sie unreflektiert, für eine Sache, die sich von Internierungslagern nicht unterscheiden soll. Die Älteren erinnern sich vielleicht: beim WDR gab es in früheren Jahrzehnten nicht nur Einzelfälle, sondern ganze Redaktionen, die sowas aufarbeiteten, damit viel politischen Ärger auf sich zogen, aber den öffentlichen Diskurs so auch selbst wirkungsvoll prägten. Sie taten also das, wofür ihre Erfinder die öffentlich-rechtlichen Medien einst ausgedacht haben, als sie, nachdem sie uns vom Faschismus befreit hatten, die Deutschen zu Demokrat*inn*en umerziehen wollten.
Mit dieser Art WDR bin ich aufgewachsen, und weiss heute, was für eine medienpolitisch glückliche Zeit das war. Wenn ich sie mit der Gegenwart vergleiche. Die #metoo-Debatte zum WDR, die in diesem Blog grosse Aufmerksamkeit der Leser*innen findet, ist ja nur ein Symptom für tiefe strukturelle Probleme. Im Kern geht es um Hierarchien und Macht, politische und materielle.
Der WDR ist immer noch der wichtigste Sender der ARD. Die ist von Krisen gebeutelt. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer wollen sie sich nicht entwickeln lassen und hindern sie an offensiveren Internetstrategien, die auch ohne die Politikerhürden weit hinter der aktuellen technologischen Musik hinterherlaufen würde. Das alte lineare Fernsehen schmilzt dahin wie die verkauften Auflagen gedruckter Zeitungen. Und selbst in diesem altersschwachen Segment schafft die ARD nur noch 10% Einschaltquote, die einzige Währung, die das Denken ihrer Intendant*inn*en und Programmdirektionen beherrscht. Sie hoffen und beten der Fußball-WM entgegen, weil nur die “Besserung” verspricht.
Herr Buhrow und Herr Schönenborn sind wahrscheinlich felsenfest davon überzeugt, dass z.B. die montägliche Plasberg-Kirmes ein “erfolgreiches” Programm ist. Und sicher sind sie männerstolz, auch Frau Maischberger an den WDR und die ARD gebunden zu haben. Auch daran sind die WDR-Strukturprobleme zu erkennen: ein Qualitätskompass existiert nicht. Mitarbeiter*innen, die darauf dringen, sind quengelnde, das Betriebsklima belastende Individuen.
Plasberg und Maischberger sind selbstständige Produktionsunternehmen. Sie liefern WDR und ARD ihre Sendungen als Komplettpaket und leben sehr gut davon – während sie viele ihrer Beschäftigten ganz legal prekär beschäftigen können. Das Hauptproblem ist aber, dass ihre Redaktionen augenscheinlich intellektuelle Probleme haben, den Diskurs (s.o. Anne Fromm) zu verstehen, intellektuell zu durchdringen, und darauf ein strategisch durchdachtes Sendekonzept zu bauen.
Talkshows sind im Grundsatz als Demokratieprothese schon hinreichend problematisiert worden. Die WDR-Talkshows in der ARD sind aber selbst immanent gedacht, wenn wir sie z.B. mit dem lernenden – auch nicht unproblematischen – und übrigens sendereigenen ZDF-System “Illner” vergleichen, besonders schlecht. Lesen Sie mal hier die älteren Besprechungen von FAZ-Autor Hans Hütt.
Ich nehme an, Jörg Schönenborn, WDR-Programmdirektor, will, wenn er die #metoo-Debatte heil übersteht, seinen Vertrag verlängert bekommen. Hier wäre mal eine Baustelle, an der er Sanierungsspuren hinterlassen könnte.
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