Beim DFB, in einigen Spielerberaterkonzernen, kurz: im deutschen Fußballbusiness hyperventilieren sie jetzt. Schlechtes Spiel gegen die saudischen “Freunde”, schlechte Stimmung bei den Zuschauer*inne*n – es drohen schlechte Geschäfte. Letzteres ist, fürchte ich, übertrieben. Zwei WM-Boykotteure haben sich bisher bekannt: Ilja Trojanow und sein österreichischer Schriftstellerfreund Klaus Zeyringer. Mein eigener Boykott wird sich darauf beschränken, in diesem Leben kein Pay-TV-Abo mehr abzuschliessen. Das Geld von mir kriegt nicht Rupert Murdoch oder Leon Blavatnik, sondern Kamel Bsissa. Der arbeitet auch härter dafür.
Wenn Sie wieder rechts in die Spalte “Meistgelesen in 48 Stunden” blicken, sehen sie dort einen schon drei Wochen alten Text zu Özil/Gündogan von mir. Ich fragte mich: wie konnte das passieren? In meinem Backend kann ich die Suchbegriffe sehen. Da kommen nicht selten die Firmennamen “Family & Football” und “ARP Sportmarketing international” vor – die Beratungsfirmen von Herrn Löw und den beiden Spielern. Sie sind jetzt im Krisenmodus, haben sich selbst gesuchmaschint und gesehen, dass mein kleiner Mini-Nischen-Blog dort schon auf Seite 2 auftaucht. Ein Beispiel für das erwähnte Hyperventilieren.
Das Business ist heillos zerstritten über Özils&Gündogans politischen Fauxpas. Der hatte also sogar sein Gutes, denn da schlagen sich ja nicht die Falschen gegenseitig die Köppe ein. DFB und Bierhoff wollen durch Schweigen den Deckel drauf kriegen. Klassensprecher Hummels will dagegen noch mal gründlich drüber reden, weil die Weichei-Fußballer von heute durch ein paar Pfiffe direkt schlechter spielen. Wie wollen die bloss Auswärtsspiele gewinnen?
Ich vermute also, Özil und Gündogan werden noch zu irgendeiner deutschnationalen Demutsgeste genötigt. Helfen wird das auch nichts, aber der deutsche nach Rechts gedrehte Medienzirkus verlangt das. Dabei gäbe es sinnvollere Demonstrationen, nicht nur für die Zwei, sondern für die komplette “Die Mannschaft“. Sie könnte sich z.B. bei allen Naziopfern entschuldigen, allen heisst: den vielen Millionen russischen Kriegsopfern, wie auch den Mordopfern von Solingen und Mölln bis zu den NSU-Toten. Für alle war/ist der deutsche Staat verantwortlich. Und aus diesem Grund z.B. mal demonstrativ nicht die Hymne singen, und zwar alle nicht. Niederknien dabei, und eine Körpersprache, die um Verzeihung bittet – es könnte die Welt beeindrucken und die nationalistischen Diktatoren beschämen.
Aber Merkel hat Unrecht: das schaffen wir nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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