Der Kapitalismus befriedigt die (meisten) menschlichen Bedürfnisse, im Gegensatz zu den Behauptungen seiner abergläubischen Apologet*inn*en, nicht. Seit 1989/90 erscheint er in weiten Bereichen seiner Herrschaftsgebiete alternativlos. Seine Widersprüche produziert er überwiegend selbst. Ob er sich dadurch vervollkommnet oder eines Tages selbst daran verendet, ist für mich eine offene Frage. Klar ist hingegen: viele, zu viele Menschen fallen ihm dabei zum Opfer. Darum ist Ludger Volmer recht nah an der Antwort auf die Frage, was wir dagegen unternehmen sollten.
Derzeit wird viel darüber philosophiert, auch in diesem Blog, dass die Menschen es weder sozial noch evolutionär gelernt haben, mit den Kommunikationstechnolgien kulturell vorteilhaft umzugehen, die einige ihrer Artgenoss*inn*en, angetrieben von der Wachstumsexplosivität des Kapitalismus, erfunden haben.
Die Einen, dazu zähle ich mich selbst, geniessen den Freiheitsgewinn, den der gesellschaftliche Megatrend Individualisierung und Diversifizierung der Lebensstile mit sich gebracht hat. Viele Andere leiden darunter, einige verenden sogar daran. Wenn Regierungen in hochentwickelten Ländern meinen, Ministerien gegen Einsamkeit installieren zu müssen, dann ist dieser Symbolismus eher Ausdruck von Rat- und Hilflosigkeit als von Tatkraft. Regierungen, wie wir sie heute kennen, sind vermutlich die Allerletzten, die zur Problembearbeitung in der Lage sind.
Es gibt sogar schon neue Marktakteure, die diese Lücke kapitalistischer Bedürfnisbefriedigung entdeckt haben, und sich ökonomisch vor allem im Entertainment daran gütlich tun. Das Feld Humorkritik hatten wir hier schon behandelt. Der grösste Teil des Marktes kommt nicht darüber hinaus, die Lage, wie sie ist noch mal wiederzukauen, so dass wir mit einem Schuss Selbstironie kurzzeitig darüber lachen können. Jan Böhmermann und sein Team gehören in dieser Hinsicht zu den konzeptionellen Marktführer*innen hierzulande. In Dekonstruktion herrschender Systeme sind sie spitze; aber dann gehts nicht weiter.
So sieht es auch bei diesem PR-Event einer intelligenten Agentur in den USA aus, über das die Kinderspielecke des Spiegel “bento” berichtet. Die Männer, die darüber jammern, wie sie hier brutal missbraucht worden seien, leiden in erster Linie unter einem brutalen Mangel an Medienkompetenz (wie die Mehrheit). Wer sich in solche Mediensysteme und Apps begibt, sollte sich vorher informieren, in wessen Hände, Augen und Datenstaubsauger er*sie sich da begibt. Vielleicht müssen Verbraucherorganisationen gesetzliche Warnhinweise durchsetzen: “Zuneigung, Zuwendung, Gefühle, Beachtung, Ehrlichkeit – bitte andere Baustelle!” Auch einige meiner Freund*inn*e*n sind bei Tinder, und gehen sehr “spielerisch”, andere würden sagen und empfinden “betrügerisch”, damit um (wie auch mit allen anderen asozialen Netzwerken). Das ist vermutlich sicherer, als dort auf Sicherheit zu vertrauen. Es ist eben ein bisschen wie nachts im dunklen Stadtpark …
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