Da ist es also, das vorläufige bayerische Wahlergebnis – der Erdrutschsieg der Grünen bedeutet unterm Strich für einen Wechsel in Bayern gar nichts. Ja, natürlich, es ist toll, dass sie voraussichtlich 17,5% erreicht haben, dass sie es geschafft haben, in die konservative Phalanx einzubrechen. Dass sie in München sechs Direktwahlkreise von acht geholt haben, in ganz vielen Wahlkreisen zweite hinter der CSU waren, ist ein Erdrutsch, eine kulturelle Offenbarung. Damit sind Nordrhein-Westfälische Grünen-Hochburgen wie Köln oder Münster eindeutig enttrohnt. In vielen Wahlkreisen stehen die Grünen Direktkandidaten in direkter Konkurrenz zur CSU. Und interessant ist schon, wenn laut ARD 210.000 Wähler der Grünen von der SPD, aber auch 180.000 von der CSU kamen, dazu 140.000 Nichtwähler. Was sie sich wirklich als Verdienst auf die Fahnen schreiben können, ist die klare Position gegen Rassismaus, Fremdenfeindlichkeit und Vorbehalten gegen Flüchtlinge. Und das sollte für die Grünen ein wichtigerer Erfolg sein, als irgendwelche Regierungsbeteiligungen. Und das trägt auch für eine erfolgreiche Opposition und auch aus der heraus können sie das Land verändern.

Gleichwohl darf dies nicht den Blick darauf verstellen, was da sonst stattgefunden hat: Die rechten Parteien CSU (37,4%), Freie Wähler (11,5%), AfD (10,3%) zeigen eine klare Rechtstendenz dieses Bundeslandes. Rechnet man die 5% der FDP noch dazu, addiert sich das Ganze auf rund 63% – fast 2/3 der Bürger in Bayern wählen den bürgerlich-konservativen Block – inklusive Rechtsextremisten.  Ergebnisse, die übrigens nicht Franz-Josef Strauß, sondern Alfons Goppel (1974 62 ,1%) und Edmund Stoiber (2003, 60,7%) eingefahren haben.

Die Wählerwanderungen von der SPD und der CSU – jeweils etwa 100.000 zur AfD zeigen klar, dass mangelnder Widerspruch und das Einsteigen Seehofers und zeitweise auch Söders (Asyltourismus) auf die fremdenfeindliche Hetze der AfD deren Parolen und monokausalen Erklärungen für die Ursache allen politischen Übels in der “illegalen Massenmigration” (Gauland) auch auf SPD-Wähler Einfluss hatten. Dass in diesem gesamten Feld soviele Wählerstimmen abgegeben wurden, muss erschrecken und ist kausal nicht von der Flüchtlingehetze zu trennen.

Was ist hier nun wirklich passiert? Das gravierendste Ergebnis sind die dramatischen Stimmenverluste der SPD, um die Natascha Konen, die mutige, aber blasse Spitzenkandidatin nicht zu beneiden ist. Die SPD ist in Bayern traditionell eine Metropolenpartei in minoritärer Position. Was heute wirklich evident ist, ist die Verschiebung der Stimmverhältnisse im rot-grünen Lager zugunsten der Grünen und der absolute Bedeutungsverlust der Sozialdemokratie trotz aller Bemühungen, in der GroKo ihre Bedeutung zu unterstreichen. Die SPD hat traditionell in Bayern nichts originelles zu bieten: Um so brutaler kam der eher linke Landesverband unter die Räder der politischen Fehler der SPD in Berlin, wie etwa dem beschämenden Theater um die Beförderung des auf den rechten Auge blinden Oberschlapphuts Maaßen, oder dem Eiertanz der Koalition um die Grenzwerte für Dieselfahrzeuge und CO² Grenzwerte in der EU. Ob die SPD die Kraft haben wird, aus dieser Situation in Berlin die richtigen Schlüsse zu ziehen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist es nicht, auch wenn die Groko das Grab der SPD werden könnte. Aber dass es so weitergeht, geht auf keinen Fall.

Derartig tiefgründige Betrachtungen sind Sache der CSU-Spitze nicht. Die wichtigste Botschaft für die CSU ist: Wir sind stärkste Partei, wir haben den Auftrag zur Regierungsbildung. Und es grenzt schon an wirkliche Peinlichkeit, mit welcher devoten Gier der Vorsitzende der “Freien Wähler” Hubert Aiwanger sich darum reißt, mit der CSU zu koalieren, endlich bei Söder auf dem Schoß zu sitzen und an der Macht beteiligt zu werden. Das bayerische Landtagswahlrecht, dass die größte Partei bei der Mandatsvergabe bevorzugt, wird wahrscheinlich dafür sorgen, dass CSU und Freie Wähler mit nur rund 46% eine Koalition bilden können. – Also ändert sich am Ende nix. Die kluge und volksnahe Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Urgestein der sozialen CSU, die ihren Wahlkreis verloren hat, meinte am Wahlabend, dass ihre Partei Wirtschaft und Umwelt zugunsten falscher Themen wie der Flüchtlingspolitik geopfert hat, bei der im Übrigen die CSU durchaus auf erfolgreiche Politik der Integration hätte verweisen können, statt der AfD nachzulaufen. A Watschn für Seehofer, für den es offensichtlich eng wird.

Die Frage, ob die FDP reinkommt, oder nicht, ist aufgrund des Wahlrechts nicht mehr gefechtsentscheidend. Sie hat auf jeden Fall einen Dämpfer bekommen und wird sich überlegen müssen, ob sie weiter als Anhängsel des rechten bürgerlichen Blocks für mehr als Zitterpartien taugt. Aber mit dem derzeitigen Führungspersonal kann Lindners Partei intellektuell keine großen Sprünge machen.

Fazit: Eigentlich ist die Bayernwahl ein Erdrutschergebnis. Aber dank “Freier Wähler” und bayerischem Wahlsystem wird sich faktisch so gut wie nichts ändern, denn CSU und “Freie Wähler” haben gegen 23.00 Uhr zusammen 108 von 200 Mandaten. Das ist auch entscheidend für die in zwei Wochen vor der Tür stehenden Hessenwahl. Denn für die gilt aus heutiger Sicht: Bloß nicht bewegen, damit sich nichts bewegt!

Die CDU fiebert auf das Abschneiden von Volker Bouffier, die Grünen Hessen erwarten Zuwächse, trotzdem könnte es für Schwarz-Grün nicht mehr reichen und die SPD muss zittern, dass Bayern und der Bund auch negativ auf Schäfer-Gümbels Opposition ausstrahlt. Volker Bouffier hat heute klar die aufgeplusterte Polemik der bayerischen Parteifreunde an den Pranger gestellt – er kritisiert, dass man vehement  gegen Flüchtlinge polemisiert, während pro Monat mal gerade 9 Personen an bayerischen Grenzen auftauchen, die zurückgewiesen werden können.

Ob Seehofer, dessen Rücktritt eigentlich fällig wäre, irgendwelche Konsequenzen zieht, ist vor der Hessenwahl äußerst unwahrscheinlich. Ob Nahles und Co. in Berlin vorher Konsequenzen ziehen, ebenfalls. Danach stellt sich immer die Frage nach den eigenen Posten und wie sehr die Protagonisten an ihnen Lieblingsthemen landen. Also weiter so: Ein tiefgreifender Umbruch in Bayern, die Regierung wird fast die gleiche sein – es ist nix passiert – und die Verantwortlichen in Berlin legen sich erstmal alle wieder hin.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net