Wir sehen den Volksparteien beim Sterben zu. Das ist im Rahmen der deutschen Nachkriegsgeschichte seit 1945 tatsächlich ein politisches Erdbeben. Alle Erwachsenen unserer Zeit sind in Deutschland eine politische Stabilität gewöhnt – von der Mehrheit als angenehm Sicherheit gebend empfunden und nur von einer Minderheit gehasst – der wir jetzt täglich beim Zerbröseln zusehen können. Ich gestehe: auch mir ist dabei blümerant, obwohl ich selbst nie einer Volkspartei angehört, und nur sehr selten eine gewählt habe.
Das Bayernwahlergebnis ist uns bekannt, das Hessenwahlergebnis folgt nächsten Sonntag. Für die bundesweite Sonntagsfrage geben die relevanten Umfragekonzerne aktuell folgende Parteienwerte an:
CDU/CSU 25-27%
Grüne 19-21%
AfD 15-16%
SPD 14-15%
FDP 8-11%
Linke 9-10%
Diese Werte verändern sich derzeit fast täglich: bei CDU/CSU und SPD nach unten, bei den Grünen nach oben. D.h. die Erkenntnis breitet sich aus, dass das, was die einst Grosse Koalition zusammenkocht angesichts der Probleme eine ganz dünne Suppe ist, das Niveau ihrer Herstellung im Hauptstadtberlin nicht mehr zumutbar. Der Schrecken der FDP ist den Älteren noch zu gut bekannt, die Linke kämpft lieber mit sich selbst, statt gegen herrschende Klassen und sich für reale Bewegungen zu interessieren. Dann bleiben neben einem geschlossenen rechtsradikalen Weltbild nur noch die Grünen übrig. Wie die Regieren würden, ist den meisten derzeit am wenigsten bekannt.
Habeck fragen, wie stabil Sylter Dünen sind
Damit ist dann auch das Problem schon beschrieben. Die meisten Grünen kriegen sich vor lauter Koalitionsspekulationen und Karriereplanung kaum noch ein und übersehen, dass die Konsistenz der ihnen zufliegenden Wähler*innen grosse Ähnlichkeit mit Flugsanddünen hat. Sie sollten sich auf Sylt kundig machen, was mit denen beim nächsten Sturm passiert, Herr Habeck müsste Bescheid wissen.
Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: Leitmedien, die den Parteien gerne eine eigene politische Agenda aufzuzwingen versuchen, behaupten, Parteien, die streiten, seien schwach. Das ist falsch: Parteien, die nicht streiten sind schwächer (siehe: Volksparteien!); Parteien, die Ihnen ihren Streit zu verbergen versuchen, haben Angst vor Leitmedien und machen Ihnen etwas vor. Entscheidend für Stärke oder Schwäche einer Partei ist nicht die Abwesenheit von Streit, sondern was die Streitthemen sind: sind es solche, über die wir auch als Gesellschaft streiten? Oder sind es Streitereien mit sich selbst (Personalgedöns, innerparteiliche Spielregeln, Vereinsmeierei)?
Ich habe in diesem Blog schon darauf aufmerksam gemacht, weil ich das aus eigener Erfahrung am besten weiss: die Mehrheit der heutigen Grünen Ratsfraktion könnte z.B. unsere Stadt absolut nicht regieren, weil ihr dazu Intelligenz, Fähigkeit und überhaupt nur der Wille zum Erfahrungsammeln fehlen. In NRW wussten die Wähler*innen bei der letzten Landtagswahl auch noch allzu gut darüber Bescheid und reduzierten die Grünen noch voriges Jahr von 11,3 auf 6,4%. Darum darf sich die Partei auf Landesebene in der Opposition “regenerieren”.
Die erfolgreichste SPD-Erneuerung geschah in einer Grossen Koalition 1966-69
Es ist aber ein Aberglaube, dass dort Regeneration – besser: Erneuerung – besser gelingt. Die erfolgreichste Erneuerung der SPD gelang in der Grossen Koalition der 60er Jahre mit einem Aussenminister Willy Brandt; darauf folgten historische Wahlsiege 1969 und 1972. Ausschlaggebend ist eine Kombination von gesellschaftlichen Tiefenströmungen, die die Parteien unter Druck setzen und antreiben zu: Programmatik, Strategie, der Investition von Intelligenz, der Entwicklung von hochqualifiziertem Personal. An alledem mangelt es heute allen Parteien.
Es gibt gesellschaftliche Bewegung von links(liberal)
Es gibt wieder gesellschaftliche Tiefenströmungen: die Wiederbelebung der Rechten, die sich wieder trauen ihre Menschenfeindlichkeit öffentlich zu artikulieren; und allzu langsam, weil in Politik und Medien kaum mehr repräsentiert, eine die Bürger*inen*rechte verteidigende zivilgesellschaftliche Mehrheit.
Wenn die Grünen jetzt intelligent wären, würden sie ihre Partei-Scheunentore weit aufreissen, und dieser Mehrheit attraktive Angebote zum Wirksam-Werden machen. Sie tun es nicht, weil sie selbst nicht daran glauben; und ausserdem nicht unnötig personelle Konkurrenz für künftige Mandats- und Ressourcenverteilungen ins Haus holen wollen. Je kleiner die Partei, umso günstiger die Marktverhältnisse zwischen Zahl der angebotenen Karrieren und Zahl der Bewerbungen.
Darum habe ich Sie hier schon zum Mitmachen in Bonn aufgefordert. Das Problem besteht jedoch republikweit. Wenn Sie die Verteidigung der Demokratie den Parteien überlassen wollen und glauben, mit einer Veränderung Ihres Wahlverhaltens sei es getan, wird die nächste bittere Enttäuschung schneller folgen als Sie gucken können. Das verspreche ich Ihnen, und wenn Sie es nicht glauben, glaube ich es für Sie mit. Ich glaube es nicht nur, ich weiss es.
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