Viele Premieren, große Unsicherheit – Die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder kommen in Argentinien zusammen. An Konflikten mangelt es den teilnehmenden Staaten nicht.
Schon vor Beginn des G20-Gipfels am Freitag in Buenos Aires steht fest: Die seit 1999 zehnte Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der zwanzig wirtschaftsstärksten Staaten der Welt ist der Gipfel mit den meisten Premieren und den größten Unsicherheiten. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte erstmals einer der Teilnehmer vor Beginn des Gipfels vor einer „nutzlosen Veranstaltung“.
Gegen einen anderen Gipfelteilnehmer, den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, liegt wegen seiner Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Jemen sowie möglicherweise für die Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi eine Anzeige von Human Rights Watch vor, die von der argentinischen Justiz geprüft wird.
Und schließlich gab es nie zuvor unmittelbar vor einem Gipfel so dramatische Ereignisse wie die russisch-ukrainische Konfrontation im Asowschen Meer oder die Drohung von US-Präsident Donald Trump, ab kommender Woche den Import deutscher Autos mit „Strafzöllen“ zu belegen.
Bin Salman traf am Mittwoch in Buenos Aires ein und wurde in die von einem großen Polizeiaufgebot abgeriegelte saudische Botschaft gebracht. Die kann der Kronprinz zwar unbesorgt verlassen, da die argentinische Justiz bis zu seiner geplanten Abreise am Sonntag keinen Haftbefehl gegen ihn ausstellen wird. Wer aber von den anderen Teilnehmern bilateral oder in kleiner Runde mit dem des Auftragsmordes Verdächtigen zusammentrifft, wer ihm wie die Hand gibt, was andere und er selber eventuell zum Fall Khashoggi sagen – all dies dürfte bis zum Gipfelende am Samstagabend zu den interessantesten Fragen gehören.
Trump, enger Verbündeter des Kronprinzen, hat ein Treffen ausgeschlossen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der mit bin Salman um die Führungsrolle unter den Sunniten des Mittleren Ostens konkurriert, erklärte hingegen seine grundsätzliche Bereitschaft, den Prinzen zu treffen.
Der russisch-ukrainische Konflikt dürfte das wichtigste Thema werden – wenn nicht auf den Plenarsitzungen, so doch bei den bi- oder trilateralen Gesprächen von Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Trump wird seinen Amtskollegen nicht treffen. Der US-Präsident verzichtet wegen des russischen Vorgehens im Asowschen Meer darauf. Das verkündete Trump am Donnerstag auf Twitter.
Es war zunächst unklar, ob Putin und Trump aufeinandertreffen werden – Trump machte ein mögliches Treffen von dem Ermittlungsbericht seines Sicherheitsteams zur Festsetzung ukrainischer Schiffe durch die russische Marine abhängig. Der Kreml bedauerte die Entscheidung am Freitag und unterstrich, für Gespräche bereit zu stehen. Da die Ukraine nicht zu G20 gehört, sind konkrete Vereinbarungen zur Deeskalation von dem Gipfel kaum zu erwarten.
Ähnliches gilt für die durch Trumps Abschottungszölle ausgelösten Handelskonflikte mit China und der EU. Diese Konflikte, die Trump durch seine jüngste Androhung von Importzöllen von 25 Prozent auf Auto-Importe aus Deutschland sowie weiterer „Strafmaßnahmen“ gegen China noch einmal verschärft hat, dürften sowohl die Plenarrunden beherrschen als auch die Treffen Trumps mit Merkel, Macron und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Laut Macron könnte das Treffen sogar zu einem „für alle zerstörerischen Handelskrieg“ eskalieren.
Eine Deeskalation oder gar Beilegung dieser Konflikte ist aber nicht möglich, solange Trump glaubt, er könne mit seiner aggressiven Außenhandelspolitik innenpolitisch gewinnen. Daher wird auch ein gemeinsames Abschluss-Kommuniqué – wenn es denn überhaupt zustande kommt – im besten Fall kaum mehr enthalten als sehr allgemeine Absagen an den Protektionismus sowie eine Wiederholung der Absichtserklärungen aus früheren Gipfel-Kommuniqués zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO).
Am Ende könnte Macron Recht behalten mit seiner Warnung, internationale Treffen wie der G20-Gipfel wären ohne konkrete Fortschritte nicht nur „nutzlos“, sondern „sogar kontraproduktiv“.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag. Lesen Sie ergänzend auch das heutige DLF-Interview mit Jürgen Trittin (Grüne).
Saudi-Arabien macht im Jemen das gleiche, was Russland in Syrien tut.
Beide unterstützen, mit Bomben, ein als legitim anerkanntes Regime.
Zudem: Wenn jeder Herrscher oder jede Regierung verhaftet würde wenn ein Regimekritiker verschwindet oder getötet würde sässen viele Herrscher und Regierungen im Gefängnis.
Viele dieser Aktionen werden bei uns nicht oder nur spärlich bekannt wie zum Beispiel die Verhaftung von acht Umweltaktivisten im Iran, von denen einer angeblich Selbstmord begangen hat.
Nun ausgerechnet Saudi-Arabien aus der “Masse” an Menschenrechtsverletzungen in vielen Staaten so hervorzuheben ist schon merkwürdig.
Vielleicht befürchten die Medien, dass der geneigte Leser bei einer differenzierteren Berichterstattung über zahlreiche Verstösse den Überblick und damit das Interesse an dem Konsum der Medien verlieren würde.
Will sagen: Man kauft die Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr, wenn über viele verschiedene “Staatsverbrechen” berichtet wird.
Stichwort: Übersättigung.