Dank Autor Andreas Zumach konnten wir bisher gründlich über die Diskussionen bei der sog. “Sicherheitskonferenz” informieren. Andere Medien vereinfachen gerne durch Personalisierungen, berichten über das Geschehen, als sei es ein Fußballspiel, und verdecken dadurch eher als sie enthüllen, welche strategischen Tiefenströme hier fliessen und gelegentlich aufeinanderprallen. Die Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), wichtigste aussenpolitische Beratungsinstitution im Hauptstadtberlin, hatte kurz vor der Münchner Konferenz eine Studie “Strategische Autonomie Europas” vorgelegt, die einerseits ein realistisches Konzept für die Bundesregierung enthält, gleichzeitig aber ihr selbstgeschaffenes Dilemma verhältnismässig brutal offenlegt. Das Geschehen in München konnte alle, die das vorher gelesen hatten, nicht mehr überraschen.
Mein Lieblingssatz in dieser Studie lautet: “Interdependenz stellt für Europa schon aus historischer Erfahrung einen Wert und ein Interesse dar, unterfüttert Europas Wohlstand und Einfluss und dient tendenziell dem Erhalt internationaler Stabilität sowie friedlichen internationalen Beziehungen.” Es ergibt sich ein Gesamtbild, in dem Deutschland weltpolitisch nur eine ernstgenommene strategische Rolle spielen kann, wenn es das im europäischen Rahmen tut. Dafür wäre allerdings eine notwendige Voraussetzung, wenn es eine stärker gemeinsame europäische Aussenpolitik gäbe. Andernfalls dient es vor allem dem Amüsement der Führungen der USA, Chinas und Russlands. Niemand von denen ist “Freund”, alle müssen aber Partner sein, wenn uns die Abwesenheit von Krieg etwas wert ist.
Hier rächt sich der wirtschaftspolitisch brutale Austeritätskurs, den die Bundesregierung bei der Begründung des Euro allen Mitgliedsländern aufoktroyiert hat, und den der beliebteste deutsche Politiker Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister in der Griechenland-Krise auf die Spitze getrieben hat. Spätestens da wussten ausnahmslos alle europäischen Regierungen, dass sie mit deutscher Solidarität nicht rechnen dürfen. Heute sagen sie aus allen politischen Richtungen ein herzliches “Danke-gleichfalls”.
Auch nach München ist der SWP-Text eine wichtige Weiterbildung für alle, denen Aussenpolitik heute wichtig ist. Wenn Schäuble nicht gewesen wäre, hätte er ein realistisches Fundament werden können. “Fahrradkette” eben, ein guter Grund für Merkels Abtritt? Dann hätte Schäuble sein wichtigstes Ziel ja doch noch erreicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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