Werner Rügemer war Redakteur der Fachzeitschrift “Demokratische Erziehung” als ich in den 80ern in Mönchengladbach vor einem Bundesligaspiel zwischen der Borussia und Arminia Bielefeld für die Jungdemokraten ein Treffen beider Fan-Gruppen organisierte. Es war als Gegenaktion zum rechtsradikalen Hooliganismus der damals berüchtigten “Borussenfront” in Dortmund gedacht. Ich lernte dabei erstmals Theo Weiss kennen, ein aus Hilchenbach im Siegerland stammender Politikwissenschaftsstudent in Berlin. Er war Sprecher des Dachverbandes der Borussia-Fanclubs, die damals bereits eine Antinazi-Beschlusslage hatten. Mit Rügemers Hilfe konnte ich seinerzeit in der Demokratischen Erziehung darüber berichten.
Womit ich erklären möchte, dass ich bis heute Respekt und Hochachtung vor seiner journalistischen Arbeit habe. Seine Veröffentlichungen zu “Colonia Corrupta” (8 Auflagen seit 2002) sind Standardwerke zur kölschen Geschichtsschreibung, sein publizistisches Schaffen in überwiegend gewerkschaftsnahen Publikationen ist qualitativ und quantitativ reich. Das gilt auch für seinen jüngsten Text für die nachdenkseiten “Leitmedien als Instrumente von Inszenierungen”. Was er dort beschreibt und analysiert dürfte den meisten jungen Leser*inne*n wenig bekannt sein, ist aber erforderlich zu wissen. Im Grossen und Ganzen war und ist es so ähnlich, wie Rügemer schreibt.
Gleichzeitig hat er damit, ohne das zu beabsichtigen, ein historisch wie gegenwärtig schlimmes Indiz linken Versagens offengelegt. Denn die politökonomischen Tatsachen, die Rügemer beschreibt, sind seit Karl Marx, oder für Spätlernende spätestens seit Lenin, allen Linken und Linksradikalen bekannt. Doch was lernen sie daraus? Soll das “Neue Deutschland” – während und nach der DDR – mit dem früheren Beiboot und heutiger selbstständiger politischer Einheit “Junge Welt”, alles gewesen sein? Natürlich nicht. Aber alles was ich bei Rügemer dazu an Erkenntnis finde ist: “Wirkliche, demokratische Meinungsfreiheit ist nur möglich außerhalb dieser Fesseln. Diese Erkenntnis ist nun eigentlich so weit gereift, dass strategisch fundierte Konsequenzen folgen können. Da stehen wir ja ohnehin gar nicht mehr am Anfang.” Herrje, wieder einer der vielen Texte, bei dem ich denke “Jetzt wird es spannend” und genau da bricht er ab.
Neunmalkluge linke Männerjournalisten, gerne meines Alters oder älter, haben nämlich selbst das Problem, dass sie nicht mehr sozialkompatibel sind. Sie können – oder wollen es nicht – sich nicht mehr in organisierte soziale Strukturen einfügen, wollen keine Kompromisse mit Mitmenschen mehr schliessen, entwickeln einen scharfen unbestechlichen Blick für das Falsche, und haben schwere Sehbehinderungen bei Richtigem, z.B. sozialen Bewegungen, neuen Initiativen und fehlerhaften Versuchen von Jüngeren.
Mein Aufruf an Altersgenossen: Jungs, legt Eure Bitterkeit ins Tiefkühlfach! Unser Wissen kann für die Jungen nützlich sein, wenn wir beim Weitergeben auf unsere Bescheidwisserei verzichten und eigene Fehler benennen. Damit sie nicht blind wiederholt werden.
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