Schon zu Lebzeiten fand ich ihn nervend langweilig. Ich war 11. Das TV war schwarz-weiss. Ein Professor mit Glatze, der gespreizt daher redete, mit Wörtern, die ich nicht verstand: “Fremdwörter sind die Juden der Sprache.” Theodor W. Adorno hat heute 50. Todestag. Die Medien sind überfüllt davon. Die Frankfurter 68er sind Weltmeister, mindestens deutsche Meister wie der Fußballkonzern aus dem süddeutschen Raum, in der Disziplin der Selbstinszenierung und Selbstikonisierung – schauen Sie sich nur Daniel Cohn-Bendit an! Ich verspreche: seine letzte Erwähnung in diesem Text. Das meiste, was ich über Herrn Adorno weiss, habe ich von Extradienst-Gastautor Dieter Bott erfahren. Er hat bei ihm studiert.

Ehe als Märtyrium

Z.B. die grausame Geschichte über Adornos Ehe. Anders als Joseph Fischer, der ihm intellektuell vermutlich nie wirklich begegnet ist, war er nur einmal verheiratet, mit Margarete Karplus. Die Ehe wurde 1937 im Londoner Exil geschlossen. Und muss gespenstisch gewesen sein. Er betrog sie fortgesetzt, Zeit beider Lebens. Sie, eine nicht mindere Intellektuelle als er, arbeitete für ihn, liess ihn jeglichen Ruhm einstreichen, und liess sich von ihm wissentlich betrügen, ohne einen Mucks (nach aussen). Sie überlebte ihn, “geistig umnachtet” nach einem Selbstmordversuch, um 24 Jahre, von der breiten Öffentlichkeit so unbeachtet, wie er ikonisiert wurde. Einen mehr als merkwürdigen Blick durchs Schlüsselloch in diese Ehe und Adornos Umgang mit Frauen, lieferte die heutige Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig 2012, 9 Jahre nach Frau Adornos Tod, in der Studienräte-Illustrierten Die Zeit, die, ähnlich wie der Playboy, von Männern immer gerne wegen der “guten Texte” gekauft wird.
Auch der von mir verehrte Alexander Kluge, scheint mit sich, seiner damaligen Rolle und “seinem” Adorno nicht im Reinen zu sein, und versucht sich mit Schreiben selbst zu therapieren. Gelungen? Weiss ich nicht. Beeindruckend, ja.

Der Faschismus war und ist nicht besiegt

Kluge meint also, Adorno sei an “gebrochenem Herzen” gestorben. So kann sein Ableben den Frauen zugeschoben werden. Das ist nicht Kluges Absicht, ist aber ein naheliegender Schluss für lesende Männer. Das halte ich für unwürdig und falsch. Adorno war Naziopfer und -Vertriebener. Er sah und wusste, dass der Faschismus nicht besiegt war. Und kam damit nicht zurecht. Seine für Leser*innen bisweilen berauschend reichhaltige intellektuelle Arbeit war sein Versuch einer Selbsttherapie. Im Alltag ist ihm dabei sehr viel misslungen. Kurz vor dem Urlaub, in dem er verstarb, hatte er sein Institut von demonstrierenden Studenten durch die Polizei räumen lassen. Er hat sich bedroht gefühlt. Seine Schüler verstanden das nicht. Sie stellten ihn in Formen (!) zur Rede, vor denen ihr Lehrer lebenslang geflohen war.
Es war diese Unbarmherzigkeit, eine deutsche Kontinuität, die ich als 11-jähriger unbewusst vielleicht schon ähnlich empfunden habe, wie es Adorno extrem klar vor Augen hatte. Diese Eindrücke nahm er grübelnd, besser: denkend, mit in den Urlaub, in dem sein Körper versagte. Wir wissen heute mehr als damals über die Wechselwirkung zwischen unserem Hirn und dem vegetativen Nervensystem. Es waren weniger die Frauen, es waren wohl mehr Herr Krahl und seine inquisitorischen, herrschsüchtigen Genossen, die es vielleicht ein bisschen geil fanden, so – von “Bild” und den Notstandsgesetzgebern scheinbar, vom Lehrer Adorno aber wahrhaftig und live – gefürchtet zu werden, die den Weg Adornos in den Tod asphaltierten. Bis heute wird das fälschlich als radikal bezeichnet. Dieses Missverständnis war es, das eine Sekte wie die RAF dann möglich machte. Was für eine Sackgasse!

Was ist Radikalisierung?

Das ist der Bogen zu #fridaysforfuture. Dort wird u.a. diskutiert, wie die Bewegung sich radikalisieren könne, damit endlich, endlich etwas passiert. Dass “etwas” passiert, das wünschen sich die Medien so sehr. Denn jeden Freitag das Gleiche – wer will das sehen? Wer klickt das an? Die Medien verlangen Dramen. Sowas, wie damals Adorno und Krahl. Geil, Highnoon zwischen kommunikationsunfähigen Männern. Mit richtigen Toten – erst sie machen einen guten Western aus. Da gibt es nur ein Problem: 70% von #fridaysforfuture sind Frauen. In Western waren die immer die Spass- und Actionbremsen. Die bremsen auch als Beifahrerin in Autos. Jetzt bekämpfen sie sie sogar. Immer wollen sie reden, reden, reden. Das kann anstrengend, nervend sein, gerne auch für Professoren und Politiker*innen, die bevorzugt selbst vortragen wollten und wollen.
Radikalisierung? Ja! Aber nicht durch Action und Heldeninszenierung, sondern durch Politik. Das wäre der Trick, den die Frauen den Männern noch beibringen müssen. In der Klimapolitik und am Persischen Golf.
Zum Weiterlesen über Adornos Philosophie eine exzellente Würdigung von Jakob Hayner/Junge Welt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net