Warum wir eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit brauchen
Von Jana Mattert und Thomas Fritz (Attac AG De-Privatisierung)

Die Mieter*innenproteste haben die städtische Wohnungsnot auf die politische Tagesordnung gezwungen. Doch die Antworten der Politik sind völlig unzureichend. Für eine Lösung der Wohnungskrise braucht es durchgreifendere Maßnahmen, wie sie mit dem Konzept der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit vorgeschlagen werden. Das Hintergrundpapier schildert Ziele, Instrumente und Rahmenbedingungen dieses Konzepts sowie konkrete Initiativen für seine Umsetzung.

Kaum ein Tag vergeht, an dem die Medien nicht die Not der Mieter*innen in den Städten schildern oder die Ratschläge diverser Expert*innen verbreiten. Aber die Politik reagiert bislang allenfalls auf lokaler Ebene. Derweil glänzt die Bundesregierung durch Tatenlosigkeit, die sie mit Placebos wie der Mietpreisbremse zu kaschieren versucht.

Doch durch die hohe Zustimmung für radikalere Maßnahmen wie Hausbesetzungen und Enteignungen geraten die Regierenden langsam unter Druck. Eine der Grundfesten kapitalistischer Gesellschaften, das Privateigentum, wird offen in Frage gestellt.

Damit verliert auch die private Immobilienwirtschaft zunehmend an Legitimation. Ihre Lobbyist*innen in Medien und Politik versuchen, die Diskurshoheit zurückzugewinnen. Doch verblüfft müssen sie feststellen, dass ihre abgestandene Propaganda gegen jegliche Regulierung des Wohnungsmarkts kaum noch verfängt. Immer mehr setzt sich die Einsicht durch: Wohnen ist Teil der Daseinsvorsorge und muss dem privaten Gewinnstreben entzogen werden.

Bauen? Regulieren? Oder doch Enteignen?

Nachdem die Mieter*innenproteste die Wohnungsnot auf die politische Agenda zwangen, entbrannte eine breite Diskussion, wie diesem Problem begegnet werden soll. Verschiedene Ansätze lassen sich identifizieren.

Die private Bau- und Immobilienwirtschaft propagiert als ihren Königsweg die Ausweitung des Wohnungsbaus, ohne den rechtlichen Rahmen zu verändern. “Bauen, Bauen, Bauen” ist ihr Schlachtruf. Staatliche Förderungen und Steuervergünstigungen sollen in größerem Maße fließen, die Neubauten aber, wie schon der Löwenanteil des Wohnungsbestands, in privater Hand verbleiben.

Anders die Position von Mietervereinen und Gewerkschaften. Sie setzen mit unterschiedlicher Gewichtung meist auf einen Mix von Bauen und Regulieren. Den Wohnungsbau wollen sie sowohl in privater als auch öffentlicher Hand durch staatliche Förderprogramme ankurbeln. Die rasanten Mietsteigerungen in den Ballungsgebieten möchten sie durch Instrumente wie eine verbesserte Mietpreisbremse oder moderate Mietendeckel entschleunigen.

Treibende Kraft der Debatte sind jedoch die Mieter*inneninitiativen. Sie fordern eine grundlegende Transformation des privat dominierten Wohnungssektors. Die Spekulation mit Häusern und Grundstücken wollen sie mit radikalen Mietendeckeln bekämpfen. Durch Enteignungen, Rekommunalisierungen und Zukäufe soll der private Wohnungsmarkt geschrumpft und der öffentliche Wohnungsbestand vergrößert werden.

Gemeinsam ist Mietervereinen, Gewerkschaften und Initiativen die Forderung nach einer sogenannten Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG). Durch Steuererleichterungen und den privilegierten Zugang zu Fördermitteln und Grundstücken soll ein gemeinnütziger Wohnungssektor entstehen. Dieser würde durch öffentliche und genossenschaftliche Unternehmen dominiert und von den MieterInnen gesellschaftlich kontrolliert. Im Gegenzug müssten die begünstigten Unternehmen leistbare Mieten garantieren und soziale Belegungsrechte durch die Kommunen akzeptieren.

Kommerzialisierung des Gemeinwohls

Das Konzept der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit reagiert auch darauf, dass sich aktuelle Ansätze zur sozialen Wohnraumversorgung als unzureichend erweisen. Während der soziale Wohnungsbau an einer Fehlkonstruktion seines Fördersystems krankt, wurden öffentliche Wohnungsunternehmen und Genossenschaften schleichend kommerzialisiert.

Private Bereicherung: Die Fehlsteuerung des sozialen Wohnungsbaus

Die Fördersystematik des sozialen Wohnungsbaus stellt eine gigantische Umverteilung von Steuergeldern zugunsten der Bauwirtschaft und privater Immobilieneigentümer*innen dar. Der Staat gewährt Fördergelder, wenn die Investor*innen zeitlich befristet (meist nur 15 Jahre) in eine Begrenzung der Miethöhe und Belegungsbindungen einwilligen, in der Regel die Vergabe an Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein.

Doch nach Auslaufen des Förderzeitraums fallen diese Wohnungen aus der Sozialbindung, was häufig zu drastischen Mietsteigerungen und der Verdrängung der Mieter*innen führt. Zur Absurdität dieses Systems gehört, dass die Gesamtheit der öffentlichen Fördermittel die Kosten für den Bau oder den Kauf der Immobilien übersteigt. Obgleich der Staat sie de facto bezahlt hat, bleiben die Immobilien nach Ablauf des Förderzeitraums in privater Hand.

Ende der 1980er Jahre gab es noch rund 4 Millionen gebundene Sozialwohnungen. Durch den Rückgang der Fördermittel schrumpfte diese Zahl auf heute noch rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen. Jährlich fallen im Schnitt 75.000 weitere Wohnungen aus der Sozialbindung.

Doch die schlichte Fortsetzung dieses Systems durch Aufstockung der Fördermittel für sozialen Wohnungsbau kann nicht die Lösung sein. Denn die Verschwendung von Steuergeldern nur für eine “soziale Zwischennutzung” privater Wohnungen würde andauern. Die Reichen könnten sich dank staatlicher Subventionen noch weiter bereichern. Stattdessen braucht es eine Transformation des Fördersystems. Künftig müssen staatliche Gelder dem Aufbau eines dauerhaft leistbaren Wohnungsbestands in öffentlicher Hand dienen.

Geplündert und gerupft: Öffentliche Wohnungsunternehmen

Viele Mieter*innen kommunaler Wohnungsgesellschaften geraten ebenfalls unter Druck. Denn im Hinblick auf die Mietpreise und das Geschäftsgebaren haben die Kommunalunternehmen sich nicht selten profitorientierten Konzernen angenähert. Für diese Entwicklung sind meist veränderte politische Rahmenbedingungen verantwortlich, darunter das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit und die Haushaltskürzungen.

Besonders fatal war die unter der Kohl-Regierung beschlossene Abschaffung der Steuerbegünstigungen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen, was deren Kosten in die Höhe trieb. Zudem entfiel mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit auch die Gewinnbeschränkung der kommunalen Wohnungsgesellschaften, was den Weg für die Privatisierung ihrer Bestände ebnete. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung schließlich die Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerlich freistellte, nahm der öffentliche Ausverkauf erheblich zu. Seither wurden insgesamt rund 1,1 Millionen Wohnungen aus dem Bundes-, Landes- und kommunalen Besitz privatisiert.

Heute befinden sich von den rund 23 Millionen Mietwohnungen in Deutschland nur noch 2,3 Millionen in kommunalem Eigentum. Mit einem solch geringen Bestand haben die Städte mit angespannten Wohnungsmärkten kaum Möglichkeiten, leistbare Wohnungen in ausreichender Zahl bereitzustellen und dämpfend auf die Mietpreise einzuwirken.

Daneben litten die kommunalen Wohnungsgesellschaften unter der verheerenden Haushaltspolitik der rot-grünen Bundesregierung. Großzügige Steuergeschenke an die Reichen sorgten für eine anhaltende Ebbe in den öffentlichen Kassen, die auch die soziale Wohnraumversorgung beeinträchtigte. Damit nicht genug: Mit der 2009 beschlossenen Einführung der Schuldenbremse verschärfte die schwarz-rote Bundesregierung den Austeritätskurs sogar noch.

Durch den Spardruck wurden auch die kommunalen Wohnungsgesellschaften als Melkkühe missbraucht, die Überschüsse an die klammen Kommunen abzuführen hatten. Um diese zu erwirtschaften, erhöhten sie die Mieten teilweise so stark, dass auch sie zu veritablen Mietpreistreibern wurden.

Eigennützig: Genossenschaften auf Abwegen

Viele Hoffnungen richten sich auch auf Wohnungsgenossenschaften, die bundesweit über einen Bestand von 2,1 Millionen Mietwohnungen verfügen. Doch auch sie vollzogen eine schleichende Kommerzialisierung, so dass manche Genossenschaften heutzutage mehr eigennützige als gemeinnützige Ziele verfolgen.

Anders als kommunale Wohnungsunternehmen blieben Vermietungsgenossenschaften nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit weiterhin von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit (nicht aber von der Umsatzsteuer). Dennoch glich sich auch ihre Geschäftspolitik immer mehr der Privatwirtschaft an. Mieterhöhungen bis zur Obergrenze der Mietspiegel, Luxusmodernisierungen, hochpreisige Neubauten und die Verdrängung einkommensschwächerer Mieter*innen sind auch bei ihnen keine Seltenheit mehr.

Viele in jüngerer Zeit gegründete Genossenschaften bedienen vornehmlich eine betuchte Klientel. So gibt es in München und Berlin mittlerweile Genossenschaften, die für eine 100 Quadratmeter-Wohnung Genossenschaftsanteile von 90.000 bis 100.000 Euro verlangen. Hinzu kommen Mietpreise, die für untere Einkommensgruppen völlig unerschwinglich sind.

Wohnungsgenossenschaften organisieren Clubgüter, die nur ihren Mitgliedern offenstehen. Ihr Eigennutz kann mit dem Allgemeinwohl in Konflikt geraten, wenn sie sich von der übrigen Mieterschaft entsolidarisieren. In Berlin ist die Entsolidarisierung der Genossenschaften mittlerweile Verbandspolitik.

Nachdem der Berliner Senat seine Pläne für einen Mietendeckel veröffentlichte und Mieter*innen erstmals wieder Hoffnung schöpften, traten die Wohnungsgenossenschaften eine regelrechte Schmutzkampagne los. Sie schalteten ganzseitige Anzeigen und behaupteten in einer Plakataktion das Ende des Wohnungsbaus mit Slogans wie “Berlin baut lieber Mist als Wohnungen” oder “In Zukunft heißt es: Baggern verboten”. Damit unterschieden sie sich kaum noch von den Betonköpfen der profitorientierten Immobilienlobby.

Gemeinnützigkeit reloaded

Die geschilderten Missstände lehren vor allem eines: Um eine soziale Wohnraumversorgung sicherzustellen, muss der Wohnungssektor der Kommerzialisierung entzogen und zu einem öffentlichen Gut werden. Eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG), wie sie seit einigen Jahren diskutiert wird, bietet dafür eine Grundlage. Erste Konzepte der NWG liegen bereits vor.

Die Grünen und die Linkspartei griffen diese Konzepte in Bundestagsanträgen auf, die 2017 jedoch von CDU/CSU und SPD abgeschmettert wurden. Einmal mehr zeigten die GroKo-Parteien den MieterInnen die kalte Schulter. Doch die sich immer weiter verschärfende Wohnungskrise verdeutlicht: Wir brauchen unverändert einen grundlegenden Wandel der Wohnungspolitik, wie ihn die NWG ermöglicht.

Die Vorschläge zur Ausgestaltung der NWG enthalten Elemente, die eine schrittweise Verschiebung der Eigentumsstruktur an Häusern und Grundstücken und den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors bewirken können. Unternehmen, die Prinzipien der NWG anwenden, sollen verschiedene Vergünstigungen erhalten: Steuererleichterungen und privilegierten Zugang zu staatlichen Fördermitteln und vor allem Grundstücken. Im Gegenzug müssen sie in dauerhaft leistbare Mieten und eine demokratische Kontrolle der Unternehmen einwilligen.

Die NWG erfordert politische Veränderungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Auf Bundesebene müsste ein Gesetzespaket unter anderem die steuerlichen Vergünstigungen für gemeinnützige Unternehmen schaffen, etwa durch eine Änderung der Abgabenordnung. Zusätzlich müssten Bund, Länder und Kommunen den privilegierten Zugang der Gemeinnützigen zu Fördermitteln und Grundstücken regeln.

Demokratische Kontrolle: Vom Staatseigentum zum Gemeineigentum

Die Erweiterung des öffentlichen Wohnungsbestands kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist es, den noch immer stattfindenden Verkauf von öffentlichen Grundstücken und Wohnungsbeständen zu stoppen.

Dort, wo kein öffentliches Wohnungsunternehmen existiert, müsste ein solches gegründet werden. Die Kommunen können dann den Wohnungsbestand durch Bau oder Kauf schrittweise aufbauen. Bundesländer und Stadtstaaten haben zusätzlich die Möglichkeit, diesen Bestand durch Enteignung privater Wohnungsunternehmen zu erweitern.

Die wohl wichtigste Herausforderung für die NWG: Sie braucht Instrumente zur künftigen Verhinderung von Privatisierungen sowie zur Demokratisierung der öffentlichen Unternehmen. Denn auch die Bestände öffentlicher Wohnungsgesellschaften stellen noch lange kein Gemeineigentum dar.

Faktisch handelt es sich bei öffentlichem Eigentum nur um Staatseigentum, das zur öffentlichen Nutzung freigegeben wurde. Die Verfügungsgewalt haben nicht die Bürger*innnen, der eigentliche Souverän, sondern die jeweils regierenden Parteien. Sie legen die Nutzungsbedingungen fest und nehmen sich das Recht, je nach Gusto öffentliches Eigentum zu bilden oder zu verkaufen.

Eine Vergesellschaftung jedoch erfordert, dass BürgerInnen Einfluss auf die Steuerung öffentlicher Unternehmen ausüben können. Sie müssten das Recht erhalten, über Mietpreise, Investitionen und Kriterien der Wohnungsvergabe mitzuentscheiden.

Der Weg ist das Ziel: Ermutigende Initiativen

In vielen Kommunen gibt es bereits Initiativen, die erste Schritte auf dem Weg zu einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit unternehmen. Sie bieten einen wertvollen Erfahrungsschatz, den Aktivist*innen in anderen Städten nutzen können.

In Osnabrück etwa erstritt ein von Attac initiiertes zivilgesellschaftliches Bündnis einen erfolgreichen Bürger*innenentscheid, der in einen Ratsbeschluss zur Gründung eines kommunalen Wohnungsunternehmens mündete.

In Frankfurt kämpft ebenfalls ein Bündnis für einen Volksentscheid, der den städtischen Wohnungskonzern, die ABG Frankfurt Holding, zu einer gemeinnützigen Versorgung zwingen würde. Die ABG soll für Niedrigverdiener*innen die Bestandsmieten absenken und im Neubau zu 100 Prozent geförderten Wohnraum für mittlere und niedrige Einkommensschichten schaffen.

In Kiel machte das “Bündnis für bezahlbaren Wohnraum” ebenfalls erfolgreich Druck für eine neue kommunale Wohnungsgesellschaft (KiWoG), deren Gründung die Ratsversammlung im September 2018 beschloss. Zusätzlich setzt sich das Bündnis für einen Privatisierungsstopp von städtischem Bauland und den Ankauf weiterer Böden ein. Diese sollen in Erbpacht an soziale Bauträger vergeben werden – ein Vorschlag, über den derzeit auch die Ratsversammlung diskutiert. Im Erbbaurecht können Kommunen ihre Böden gegen Zinszahlungen für unterschiedliche Dauer verpachten.

Enteignung: Ein legitimes Mittel, das sich rechnen kann

In Berlin kämpft das Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co. enteignen” für die Enteignung der Bestände privater Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen. Diese Bestände sollen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) übergehen, die durch Mieter*innen und die Stadtgesellschaft demokratisch kontrolliert würde. Die Initiative leistet einen wichtigen Beitrag für eine NWG, denn bei Erfolg würde ein Bestand von über 200.000 Wohnungen in die öffentliche Hand übergehen.

Die Enteignungsinitiative stieß auf große Zustimmung in der geschundenen Berliner Mieterschaft und auf massiven Widerstand der Immobilienlobby. Im Lager der Kritiker*innen fanden sich allerdings auch Funktionäre des Deutschen Mieterbunds sowie die Keynesianer*innen der Memorandum-Gruppe.

Die Argumente des Mieterbund-Präsidenten, Lukas Siebenkotten, waren kaum von denen der Immobilienlobby zu unterscheiden. “Durch Vergesellschaftung entsteht keine einzige neue Wohnung”, erklärte er, obgleich die Enteignungsinitiative ein anderes Ziel verfolgt. Ihr geht es darum, dass die Mieter*innen der großen Immobilienkonzerne in ihren Wohnungen bleiben können und dauerhaft bezahlbare Mieten erhalten. Siebenkotten verwies ferner auf die fälligen Entschädigungen – Geld, von dem er meint, es sei “besser im Wohnungsneubau angelegt”.

Die Memorandum-Gruppe haut in die gleiche Kerbe. Sie mokiert sich über die “fantasievollen Rechnungen der Enteignungsinitiative” und warnt, dass “erhebliche finanzielle Mittel” für eine “Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes” aufzubringen seien. Besserwisserisch schiebt sie nach: “Es kommt nicht nur darauf an, die Eigentumsfrage zu stellen, sie muss auch realistisch beantwortet werden.”

Doch die Enteignungsinitiative kann weit mehr Realismus beanspruchen als die Memorandum-Gruppe meint, strebt sie doch eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes an. Mehrere Rechtsgutachten haben mittlerweile bestätigt, dass die erforderliche Entschädigung unter dem aktuellen Verkehrswert liegen darf und damit nicht nur günstiger als der Ankauf, sondern auch der Neubau von Wohnungen sein kann.

Zudem ist auch die Kreditaufnahme zum Zweck der Vergesellschaftung eine Investition, die sich im Laufe der Zeit amortisiert. Aufgrund der derzeitigen Niedrigzinsen sind die Konditionen der Kreditaufnahme sogar besonders günstig. Das Beispiel zeigt daher auch: Es macht keinen Sinn, die verschiedenen Instrumente zur Erweiterung des öffentlichen Wohnungsbestands – Bauen, Kaufen, Enteignen – gegeneinander auszuspielen.

Eine bessere Welt: Rahmenbedingungen für die NWG

Eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit könnte einen wichtigen Beitrag für die Entspannung der Wohnungskrise leisten. Ihre Wirksamkeit hängt aber auch von politischen Rahmenbedingungen ab, die jenseits des Instrumentenkastens der NWG verändert werden müssten. Dazu gehört zum einen die Regulierung der nahezu unkontrollierten Kapitalströme, die die soziale und regionale Ungleichheit verschärfen. Zum anderen muss die öffentliche Hand die erforderlichen Mittel für die NWG bereitstellen.

Die Steuer- und Schuldenbremse muss weg

Mit ihren Steuergeschenken an die Reichen und ihrer Austeritätspolitik haben CDU und SPD das anlagesuchende Kapital auch in Deutschland massiv anschwellen lassen. Nachdem auch noch die Europäische Zentralbank (EZB) zur Rezessionsbekämpfung auf Niedrigzinsen und Anleihekäufe setzte, blieben den Reichen als lukrative Finanzanlagen vor allem Aktien und Immobilien. Und so fließen derzeit besonders große Summen in die Immobilienbestände der Ballungsräume, wo die Anleger*innen auf steigende Boden- und Mietpreise spekulieren.

Die Gelder strömen dabei vor allem in Grundstücke oder den Wohnungsbestand, und weit weniger in den Neubau. In Berlin etwa investierten Anleger*innen in den vergangenen zehn Jahren 139 Milliarden in den Immobilienbestand, aber nur 16 Milliarden in den Neubau. Die Bestandsinvestitionen treiben die Immobilienpreise rasant in die Höhe – und hier vor allem die Grundstückspreise, denn der Boden ist nicht vermehrbar.

Die Bundesregierung setzt den Finanzströmen in die Ballungsräume praktisch nichts entgegen. Daher entstehen auch Arbeitsplätze vorzugsweise in den Städten und ihren Speckgürteln, während viele ländliche Regionen zunehmend veröden. Mit ihrer Weigerung, eine ausgleichende Regional- und Infrastrukturpolitik zu betreiben, verschärfen CDU und SPD die regionale Ungleichheit.

Die Folge ist auch ein gespaltener Wohnungsmarkt: Leerstand in abgehängten Regionen steht Wohnungsnot in Ballungsräumen gegenüber. Um den Druck auf die angespannten Wohnungsmärkte zu vermindern, bräuchte es daher neben der NWG eine staatliche Regionalpolitik. Diese müsste öffentliche Infrastrukturen, Leistungen der Daseinsvorsorge und nachhaltige Gewerbeansiedlungen auf dem Lande fördern.

Für die Finanzierung der regionalen Daseinsvorsorge und des gemeinnützigen Wohnungsbaus müssen wir die Steuerbremse lockern. Denn beides erfordert größere öffentliche Beschäftigung, etwa die Einstellung von Verwaltungspersonal zur Betreuung des Wohnungsbaus. Daher bräuchte das Land eine progressive Steuerreform mitsamt höherer Spitzensteuersätze und der Wiedererhebung der Vermögensteuer.

Doch nicht nur die Steuerbremse gilt es zu überwinden, sondern auch die Schuldenbremse und die Politik der „schwarzen Null“. Denn die Sparpolitik behindert die erforderliche Kreditaufnahme für die Erweiterung des Wohnungsbestands und der regionalen Infrastruktur.

Mehr noch: Die eklatante Unterinvestition in Deutschland ist der wichtigste Grund, der die EZB zur Fortsetzung ihrer Niedrigzinspolitik und der Wiederaufnahme ihrer Anleihekäufe zwingt. Dadurch werden auch Immobilienpreise und Mieten in den Ballungsräumen weiter steigen. Wesentliche Verantwortung für die Mietexzesse tragen insofern die Fetischist*innen der „schwarzen Null“ in der Bundesregierung.

EU: Defizitregeln und Beihilferecht bekämpfen

Auch die Europäische Union legt dem Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors veritable Hürden in den Weg. Zu den gefährlichsten Waffen der EU-Behörden gehören die Defizitregeln des Maastricht-Vertrags und die Restriktionen des Beihilferechts.

So griff die EU-Kommission Beschwerden der privaten Immobilienlobby auf, die gegen das niederländische Fördersystem für den sozialen Wohnungsbau zu Felde zog. Die Wettbewerbskommission leitete ein Verfahren wegen illegaler Beihilfen gegen die Niederlande ein, weil das Fördersystem nicht strikt auf die Wohnungsversorgung besonders einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen beschränkt war. Daraufhin führten die Niederlande Einkommensgrenzen ein, die 650.000 Haushalte mit mittlerem Einkommen von der Versorgung mit geförderten Wohnungen ausschlossen.

Das EU-Recht gefährdet daher auch das System des gemeinnützigen Wohnungsbaus in Wien, das europaweit wegen seiner gelungenen sozialen Mischung und der vergleichsweise niedrigen Mieten als beispielhaft gilt. Aus diesem Grund entstand in Österreich der Anstoß für die Europäische Bürger*inneninitiative „Housing for all“. Ihre wichtigsten Ziele sind eine Änderung der EU-Defizitregeln und des Beihilferechts.

Mietendeckel: Renditeerwartungen durchkreuzen

Zu den wichtigsten Rahmenbedingungen einer sozialen Wohnraumversorgung gehört es schließlich, die exorbitanten Renditeerwartungen der Immobilieninvestor*innen zu durchkreuzen. Dafür eignet sich zum Beispiel ein Mietendeckel, wie er derzeit im Land Berlin diskutiert wird.

Es war ein Erfolg der Mieter*innenproteste, als der rot-rot-grüne Senat innerhalb von wenigen Monaten im Juni 2019 Eckpunkte für einen scharfen Mietendeckel vorlegte. Dieser fror die Mieten für fünf Jahre ein und sah Mietobergrenzen vor. Doch in der Folge knickte der Senat vor dem heftigen Widerstand der Immobilienlobby und der Schmutzkampagne der Genossenschaften ein. Im September 2019 präsentierte er schließlich einen Referentenentwurf für einen stark verwässerten Mietendeckel light.

Gleichwohl können Mietendeckel grundsätzlich ein geeignetes Instrument zur Eindämmung spekulativer Preissteigerungen nicht nur von Mieten, sondern auch von Grundstücken sein. Voraussetzung ist aber: Sie müssen streng ausgestaltet sein und leistbare Mietobergrenzen vorsehen. Dazu gehört auch, Umgehungsmöglichkeiten der VermieterInnen zu verhindern, etwa hohe Modernisierungszuschläge oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen.

Zwar dauert das Gesetzgebungsverfahren im Land Berlin noch an, doch das Beispiel strahlt bereits aus. In Bayern gibt es Planungen für ein Volksbegehren zur Einführung eines Mietenstopps. Auch das Bündnis „Mietenwahnsinn-Hessen“ fordert einen landesweiten Mietendeckel.

Die Zeit ist reif: Wohnen muss Gemeingut werden

Die vielen lokalen Initiativen zur Bekämpfung der Wohnungskrise zeigen eines deutlich: Die Zeit ist reif für grundsätzlichere Maßnahmen, die über die Politik der Trostpflästerchen hinausreichen. Immer mehr Menschen merken, dass das Wohnungswesen in die öffentliche Hand gehört und demokratisch kontrolliert werden muss. Die Neue Wohnungsgemeinnützigkeit bietet dafür ein geeignetes Instrumentarium. Sie umfasst Ansatzpunkte auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

Die zentrale Herausforderung besteht heute darin, den notwendigen Druck für den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors zu entfalten. Die Mieter*innenproteste müssen nicht nur auf der lokalen Ebene, sondern auch auf der Landes- und Bundesebene unüberhörbar werden. Die oftmals beeindruckende Mobilisierungsfähigkeit vor Ort bietet dafür hervorragende Voraussetzungen. An sie lässt sich anknüpfen, um auch bundesweite Proteste zu organisieren. Denn der Widerspruch ist das Fortleitende.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem attac-Theorieblog, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Fussnoten wurden jeweils in eine Verlinkung übertragen.

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