Wer hier nicht weiterlesen mag, lese bei Kermani (kurz) oder Küppersbusch (noch kürzer). Alle wichtigen Argumente sind dort zu finden. Viele Deutsche sind gerne Opfer. Sie erwarten, dass Meinungsfreiheit ist, dass alle “meine” Meinung haben dürfen. Wenn sie eine andere haben, und auch noch sagen (oder schreiben), dann bin “ich” bedroht. Wem es so geht, der*die sollte zum Arzt gehen.
Zu Küppi und Navid möchte ich noch meine alte Studentenperspektive ergänzen. Das Medienfeuilleton, also all die, die einen professionell und materiell privilegierten Zugang zur Nutzung ihrer Meinungsfreiheit haben, beklagen anhand von Veranstaltungsstörungen bei den Herren Lucke, de Maiziere – wer klagt in der ersten Reihe? “Profi” Christian Lindner! – die Meinungsfreiheit sei dadurch bedroht. Eine ungeklärte Frage bleibt bei solchen Urteilen aus der Ferne: wäre sie denn bei diesen Veranstaltungen gewährleistet gewesen? Denn die “modernen” Veranstaltungsinszenierungen von heute, bis hin zu Parteitagen, die doch angeblich demokratisch diskutieren sollen, sind auf Widerspruchsfreiheit hin inszeniert. Sie sollen eine “Botschaft” senden, als sei es ein Kirchengottesdienst.
Da können sich Student*inn*en, die eine andere Meinung haben als häufige Talkshowgäste oder Bestsellerautor*inn*en, schon mal diskriminiert fühlen. Ob es für sie eine gute Idee ist bzw. war, den auftretenden Berühmtheiten auf sehr billige Weise ein Fenster zur Märtyrerrolle zu öffnen, würde ich radikal bezweifeln.
So war Streiten in den 80ern
Ich meinerseits habe auch Professorenauftritte gestört. Ein rechtsradikaler – damals gabs noch keine AfD, da waren die alle in der CDU – Vertreter des “Bundes Freiheit der Wissenschaft” wurde von uns – sechs gewählte Mitglieder der Fachschaft Politikwissenschaft an der Uni Bonn – in seiner Vorlesung besucht, in der wir den Wunsch nach Diskussion äusserten. Er antwortete mit einer Strafanzeige wegen “Hausfriedensbruch und Nötigung”. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft dauerte bis zu seiner Einstellung (gegen 80 DM Ordnungsgeld) zwei Jahre. Ich verarbeitete es nicht als psychische Belastung, sondern ihr Gegenteil: es beflügelte meine Wahlkämpfe für Fachschaft und Studentenparlament (“Märtyrer”!). Ich meldete mich sogar ordnungsgemäss für ein Hauptseminar bei diesem “Feind” an, und machte dort während des Ermittlungsverfahrens einen Schein – ein Superhit in den genannten Wahlkämpfen. Der Kerl hatte in seinem Hauptseminar furchtbare Angst vor mir, und gab mir dann auch den Schein für meine Hausarbeit (“Die deutsche Frage in der Diskussion der Linken”); er war wohl froh, als es vorbei war.
Wer also Streit und Widerspruch in der Demokratie nicht aushält, und sich dadurch bedroht fühlt – der/die kann ja in Diktaturen auswandern. Die Auswahl ist gross.
Für alle, die lieber hierbleiben, empfehle ich Imran Ayata/FAZ. Mund abputzen, weiterstreiten.
PS: ihren eigenen Beitrag zur Meinungsfreiheit von Autor Harald Staun im Feuilleton hat die FAZ – einmal dürfen Sie raten – hinter ihre Paywall vermauert. Eine bessere Pointe wäre mir auch nicht eingefallen 😉
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