Beueler-Extradienst

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Mordbrenner im Nadelstreifen ?

Ich mache seit achtundvierzig Jahren Politik und schreibe. Ich habe als Jungdemokrat mit der sowjetischen Komsomol und der FDJ der DDR gestritten, mich mit der NPD-Jugend in den Siebzigern gewaltlos auseinandergesetzt, Antifaschismus- und Antirassismuskampagnen durchgeführt. Bei den Grünen NRW “Farbe bekennen – Rassismus ächten!” 1993 – Ich war (und bin) sprachlos angesichts dessen, was in diesem meinem Land derzeit passiert. Morddrohungen gegen Cem Özdemir und die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke von Neonazis ermordet und beinahe eine Synagoge in Halle Schauplatz eines Massenmords an Juden wurde. Ich selbst stehe auf einer “Liste” der Reichsbürger, der unberechenbaren, faschistischen Outlaws. Ich war mal ein bisschen “wichtig” zwischen 1990 und 2000 als Landtagsabgeordneter. Das LKA meint, die Gefährdung sei “abstrakt”, nicht konkret. Wo, zum Teufel, lebe ich inzwischen?

In der Bundesrepublik Deutschland und unter dem Schutz des Grundgesetzes. Nein, ich habe keine Angst. Meine Tochter meinte, ich solle wenigstens abends die Rolläden runterlassen. Ich bin heute Unternehmer, ich schaffe Arbeitsplätze und Wachstum. Und ich bin immer noch Antifaschist, Bürgerrechtler und Radikaldemokrat. Ich denke, dass sie doch jetzt mal aufwachen müssten in Berlin. Begreifen, dass die (a)sozialen Netzwerke unsere Demokratie zerstören, dass Mark Zuckerberg und Google als Verfassungsfeinde der Demokratie wirken, die es Nazis, Faschisten und anderen braunen Menschenverachtern ermöglichen, ungestraft und ohne den Staat, die Verfassung oder das Strafrecht fürchten zu müssen, Menschen zu radikalisieren und zu verhetzen, Beihilfe zu leisten, demokratisch gewählte Politiker zu bedrohen, die Verfassung und jeden sozialen Zusammenhalt gewissenlos zu zerstören. Und alles nur, damit Zuckerberg, Thiel und Co. ihre Werbung noch besser verkaufen und unsere Gewohnheiten optimal ausspionieren können. Auf Kosten der Demokratie.

Wie müssen sich Claudia und Cem jetzt fühlen – sie sind alte Freunde, wir sind einen langen Weg in den “Grünen” miteinander gegangen und danach immer in Kontakt geblieben. Das sind gute Menschen, die für die Demokratie brennen. Die sich dafür inzwischen gefallen lassen müssen, von Faschisten und ihren Sympathisanten, der Unmenschlichkeit im bürgerlichen Anstrich, als “Gutmenschen” diffamiert und verunglimpft zu werden.

Was ist passiert in diesem meinem Land, dass alle Maßstäbe von Anstand, Humanität, Demokratie, Mitmenschlichkeit, ja Barmherzigkeit und Mitleid mit Armen, so verludert sind? Dass ein rechter Mob nicht daran gehindert wird, gegenüber Flüchtlingen, Einwanderern, Drogenabhängigen, jeder Art von Minderheiten und vor allem den Juden Terror auszuüben? Terror in Form der nazistischen Hetze Bernd Höckes und anderer AfD-Faschisten, Terror in Form von öffentlichen Mordaufrufen und  Menschenrechtsverletzungen auf PEGIDA-Demonstrationen, Terror in Form von NAZI-Rockkonzerten, Terror durch heuchlerische AfD-Aktionen, wie eine Kranzniederlegung am Mahnmal gegen den Terror der NSU, der Brüder im Geiste der AfD?

Sie sind eine einzige Verharmlosung des Nationalsozialismus, sie spielen “Opfer und verfolgte Unschuld” und sie bilden die Einheitsfront und einen ideologischen Schulterschluss mit organisiertem Rechtsextremismus, der in Teilen bereits in der DDR bestand, und den Neonazis aus der BRD, die sie nach der Maueröffnung systematisch gefördert und finanziert haben. Sie versuchen, die demokratischen Institutionen, Polizei, Bundeswehr und Sicherheitsbehörden zu infiltrieren. Ex-Verfassungs”schützer” Maaßen ist einer von ihnen – irgendwo zwischen zynischem Täter, willfährigem Handlanger oder nützlichem Idiot. 101 politische Morde hat die rechtsextreme Szene in den letzten 25 Jahren begangen. Niemand anders hat eine solche Blutspur durch die Bundesrepublik Deutschland gezogen. Aber während die RAF in den 70er Jahren gnadenlos verfolgt wurde, Steckbriefe in jeder öffentlichen Einrichtung, in jedem Pförtnerbüro hingen, Gesetze verschärft, Terrorhysterie verbreitet wurde, mutmaßliche Sympthisanten verfolgt wurden – passiert derzeit gar nichts.

Im Gegenteil. Da ist die unglückliche Totalitarismustheorie, die der Politologe Bracher in den 50er Jahren in Bonn entwickelte. Sie stellte Nazis und stalinistische Systeme, wie das Russlands, auf die gleiche Stufe. Schon damals war es ein Unding, die Mörder der SS und ihre Gleichgesinnten und Schergen mit den Helfern des Stalinismus, die zweifellos eine Diktatur, aber auch als Opfer der NS-Überfalls gelitten hatten, über einen Kamm zu scheren und gleichzusetzen. Aber das war der kalte Krieg. Dergleichen heute zu versuchen, einen demokratischen, erfolgreichen Ministerpräsident und Gewerkschafter Bodo Ramelow mit faschistischen Menschenverächtern und selbsterklärten Systemfeinden vom Schlage Bernd Höckes und seines rechten Mobs gleichzusetzen, ist ein Verbrechen an der Aufrichtigkeit und  Demokratie und ein Vergehen an Moral, zivilisatorischen Werten und demokratischer Kultur.

Was Paul Ziemiak, Carsten Linnemann  und Co. in der CDU derzeit veranstalten, ist mehr als eine Vergiftung des öffentlichen Klimas. Es ist der Versuch, eine faschistische AfD und eine demokratisch agierende und gewählte Linke auf die gleiche Stufe zu stellen. Wer so etwas versucht, hat nicht nur jeden Bezug zur politischen Realität verloren, er offenbart vor allem einen Mangel existenziellen Mangel an Moral, Werten und Verantwortung gegenüber den Grund- und Freiheitsrechten. Darüber hinaus offenbart es ein offensichtliches Defizit der demokratischen Öffentlichkeit in Deutschland im Bezug auf die Vergangenheit der nationalsozialistischen Verbrechen,  Einer solchen Haltung hätte auch Helmut Kohl vehement widersprochen, der konservativ war, sich aber immer gegen jeden Rechtsextremismus abgegrenzt hat. Man lese seine Reden während des Vereinigungsprozesses nach.

Der CDU-Generalsekretär stellt den Faschisten Bernd Höcke auf die gleiche Stufe wie einen seit vier Jahren erfolgreich regierenden Ministerpräsidenten der Linken in Thüringen. Seine persönliche Dummheit aufgrund mangelnder Lebenserfahrung, die ihn offensichtlich viel zu früh in ein Amt gespült hat, dessen Anforderungen er nicht gewachsen ist, sollten wir ihm nachsehen. Dass die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland ebenso gleichgültig wie beiläufig zur Kenntnis nimmt, wie sich die Morddrohungen gegen die Grünen PolikerInnen Roth und Özdemir, gegen Mike Mohring von der CDU und viele andere häufen, ist die schlimmste Botschaft dieser Affäre. Wer jetzt nicht handelt und begriffen hat, dass die Feinde der Demokratie rechts stehen, macht sich mitverantwortlich für die Zerstörung der Demokratie, wie sie die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor genau 70 Jahren geschaffen haben.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Klaus Richter

    Lieber Roland,
    mit weniger “grün-linker” Polemik und mehr Sachlichkeit sowie tatsächlichen Fakten wäre Dein Artikel nicht schlecht gewesen. Übrigens heißt der Bernd tatsächlich Björn und wurde ausdrücklich von Ziemack nicht mit Ramelow gleichgesetzt. Auch die AfD wurde demokratisch wie die Linke gewählt; wobei mir die Inhalte und die Personen von beiden nicht passen; insofern ist die CDU gut beraten, von beiden die Finger zu lassen.
    Freundliche Grüße
    Klaus Richter

  2. Simon

    Lieber Roland,
    Lieber Klaus,
    die Frage stellen, heißt sie auch beantworten. Ein paar Hinweise darauf gebe ich in einem Aufsatz; https://www.lissnerweb.de/2019/11/autsch/ zum Thema. Was sich da in unserem Land an brauner Gemütslage Bahn bricht, hat schlicht Kontinuität. Es muss nicht heißen: “Er ist wieder da”, sondern “Er war nie ganz weg”.
    Und Klaus, dass Ziemack in der Lage ist Nazis zu erkennen und zu benennen, spricht natürlich für ihn. Nachdem die CDU/CSU-Anhänger*innen, die 1945 als Niederlage und nicht als Befreiung verstanden haben, in Scharen die Partei(en) insbesondere die CDU/CSU verlassen haben, weil es nun “endlich” wieder eine “ehrliche” Nazipartei zu wählen gibt, ist nicht zu übersehen. Natürlich ist es erfreulich, dass es in dieser Frage solche CDU’ler gibt …
    Grüße
    Simon

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