Satan sollte Genscher aus der Hölle ausweisen
Zu Lebzeiten standen wir auf gegensätzlichen Seiten der gleichen Partei. Später sollte es mir mit Joseph Fischer, einem weiteren Aussenminister, noch mal ähnlich ergehen. Heute dagegen entwickle ich Sehnsucht nach einem Bundesaussenminister von Genschers Kragenweite. Doch der Fachkräftemangel, Sie wissen schon, der ist in Berliner Regierungskreisen halt besonders gross.
Eric Bonse/Freitag beschreibt treffend, dass die EU mit der Ex-Flinten-Uschi von der Leyen an der Spitze, kein Format – weder inhaltlich noch infrastrukturell – hat, um in globalen Auseinandersetzungen um ihre eigenen Interessen im Ernstfall überhaupt eine relevante Rolle zu spielen.
Jens Berger/nachdenkseiten weist auf ein fehlendes Detail in den meisten deutschen Medien hin, das den Qualifikationsverlust und zunehmenden Blindflug im deutschen Diskurs besonders augenfällig macht. Ich stimme auch seiner Hypothese zu, dass das keine bewusst-manipulierende strategische Steuerung ist, sondern Ausdruck von grassierender Bewusstlosigkeit und Schlampigkeit im alltäglichen Medienbetrieb. Dieses Detail besagt, dass der ermordete iranische General zwar kein Sympathieträger für irgendeinen Menschen humanitärer Gesinnung, aber ganz realpolitisch in einer Friedensmission unterwegs war. Es ging um Entspannung zwischen Iran und Saudi-Arabien, an der fast alle Anrainerstaaten lebhaft interessiert sind. Diese Bemühungen wurden mit dem erfolgreichen Mord sabotiert. Denn die Region ist gleichzeitig der gegenwärtig grösste Verkaufsmarkt und Versuchslabor für US-amerikanische, europäische, russische und chinesische Rüstungsgüter. Wer von denen, die davon profitieren, will sich das so mir nichts dir nichts kaputtmachen lassen?
Florian Rötzer/telepolis teilt im wesentlichen meine gestrige Hypothese. Er hat nur mehr gelesen und mehr Details.
Ich habs nicht geguckt, aber gehört und hier bei Hans Hütt/FAZ gelesen, dass ein gewisser Sigmar Gabriel sichtbare Mühe hat, in dieser Debatte ruhig auf seinem Hintern sitzen zu bleiben. Diese Mühe teile ich. Aber besser als Genscher konnte ers 2017/18 sichtbar auch nicht, und repräsentiert das Problem, nicht die Lösung.
Warum vermute ich Genscher in der “Hölle”? Nunja, ich war mal katholischer Messdiener, Verfestigung frühkindlicher Bilder. Meine These ist, dass Genscher seine Sünde, die Vorbereitung und Vorantreibung der Zerstörung Jugoslawiens, damit einhergehend die drohende Zerstörung seines öffentlichen Bildes als konflikt- und friedensvermittelnder Diplomat, selbst erkannt hat, und darum 1992 zurückgetreten ist. Vielleicht hatte er auch gemerkt, dass er weniger steuerte, sich vielmehr ungewohnt hatte treiben lassen müssen, und darum eine persönliche Notbremse zog – vielleicht hatte er auch Meldungen seines Herz-Kreislauf-Systems vernommen, das ihn (viel) später ins Grab brachte. Nach seinem Rücktritt hatte er immerhin noch 24 Jahre Zeit für rheinische Lebensfreude; und das Regieren von Berlin aus blieb ihm glücklich erspart. Rheinische Katholik*inn*en, das habe ich mir auch als Ausgetretener gemerkt, haben die Vergebung von Sünden als eigene Kunstform und regionale Besonderheit weiterentwickelt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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