Wenn das so ist, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wäre es dann nicht angebracht, Jahrzehnte nach Auflösung des Warschauer Paktes, langsam mal auch uns, also das Volk zu fragen, ob wir wirklich dafür sind, NATO-Soldaten an den Außengrenzen Russlands aufmarschieren zu lassen und dort feindliche Manöver durchzuführen? Auf dem Weg zum Beitritt der DDR zur BRD wurde von der Regierung Kohl dem damaligen sowjetischen Präsidenten Gorbatschow versprochen, dass das Gebiet der DDR entmilitarisiert würde. Das erfolgte mündlich.Damit haben Kohl und insbesondere auch dessen damaliger außenpolitischer Berater Horst Teltschik stets argumentiert. “Das steht doch nirgends,” erhielt ich sinngemäß vom Büro Kohl zur Antwort.
Dass die NATO erweitert werden soll, war ganz bestimmt nicht im Sinne jener Absprache, die den Beitritt der DDR und den Abzug der Roten Armee ermöglichte.
Mir gegenüber hat der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner einmal erklärt, “Wir brauchen die NATO, weil es den Warschauer Pakt gibt.” Da die NATO historisch vor dem Warschauer Pakt gegründet wurde, fand ich diese Antwort damals ziemlich unverschämt. Heute argumentiere ich gerne mit der Wörner-Antwort, wenn es darum geht, die NATO in Frage zu stellen.
Jürgen Trittin hatte nach einer Pressekonferenz des NATO-Generalsekreträrs Stoltenberg gemeinsamen mit dem Grünen Verteidigungspolitiker Dr. Tobias Lindner erklärt: “Die NATO steckt selbst mitten in einer existenziellen Krise. Das Bündnis ist in einer echten lose-lose Situation. Divergenzen zwischen den Mitgliedern verhindern gemeinsame Entscheidungsfindung und uneingeschränkte Solidarität. Gleichzeitig erschwert die Coronakrise, dass die NATO den Zustand überwindet, den Emmanuel Macron als ‘hirntot’ beschrieben hat..”
Weiter hieß es dort: “Generalsekretär Jens Stoltenberg hat eine Frage nach dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO in der Vorab-Pressekonferenz abgetan. Das reicht nicht. Die NATO muss endlich bessere Maßstäbe für eine vernünftige Lastenteilung im Bündnis finden, anstatt mit dem unsinnigen Zwei-Prozent-Ziel gerade in der jetzigen ökonomischen Situation Vertrauen und Verständnis in der Bevölkerung zu beschädigen.”
Ich nahm das zum Anlass Jürgen Trittin zu fragen:
“Was wollt Ihr denn noch mit der NATO? Wofür brauchen wir die – um die Russen an ihren Grenzen zu bedrohen?” Ich verwies dabei auch auf das bereits erwähnte Wöner-Zitat.
Trittins Antwort finde ich in Gänze lesenswert:
“Lange vor Wörner hat Deine Frage schon einmal der 1. Lord Ismay, später Generalsekretär der NATO beantwortet:’Keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down’
Betrachten wir das von hinten, so ist das Interesse, die Deutschen nieder zu halten, nicht mehr so ausgeprägt. Der richtige Gedanke darin aber bleibt aktuell: es ist besser Verteidigung multilateral als national zu organisieren.
Die USA hingegen sind, anders als sie uns glauben machen wollen – und anders als die Schwarzen ihnen glauben – nicht aus Freundlichkeit in Europa, sondern aus eigenem Interesse. Wenn das so ist, ist es besser mit diesen Interessen in einem multilateralen Format umzugehen. So wurde gerade durch Trump der zweite Zweck neu aktualisiert.
Die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Das hat die NATO zwei Jahrzehnte in eine Sinnkrise gestürzt, was sie denn sein solle. Politisches Bündnis? Globaler Dienstleister für robuste Einsätze? Aus dieser Sinnkrise hat sie 2014 Wladimir Putin mit der Annexion der Krim erlöst. Seitdem begeistert sich die NATO wieder an Kollektiver Selbstverteidigung und die Rüstungsindustrie freut sich über neue Aufträge. Leider hat das wenig mit den wirklichen Bedrohungen Europas zu tun. Die kommen eher aus den asymmetrischen Konflikten im Süden Europas – und dafür taugt Abschreckung, taugt die NATO nichts. Das muss schon Europa regeln.”
Ich bin mal gespannt was sich von dieser Position bei den Grünen durchsetzt. Wenn ich eiskalten Kriegern, wie dem Grünen Manuel Sarrazin zuhöre, habe ich wenig Hoffnung, dass die Grünen zu einer friedensorientierten Außen- und Verteidigungspolitik in nächster Zeit fähig sind. Mal schauen. Wenn die SPD es schafft ihren Scharfmacher Johannes Kahrs zum aufgeben zu veranlassen, gibt das Hoffnung.
Mit Johannes Kahrs hat wahrhaftig ein ausserordentlich leistungsfähiger Rüstungslobbyist hingeschmissen. Was der wohl für Zukunftspläne hat?
..die Frage habe ich mir auch schon gestellt und mich gewundert, dass noch nichts bekannt wurde. Martin, ichwerde es im Auge behalten. Ich habe diesen fiesen Kerl so richtig in mein Herz geschlossen.
Ich sehe gerade bei Telepolis einen wunderbaren Beitrag zur NATO Da möchte ich doch mal verstärkt drauf hinweisen, ist außerdem lustig geschrieben, lohnt sich doppelt.
https://www.heise.de/tp/features/Die-zwoelfeinhalb-besten-Tipps-fuer-die-Reflexionsgruppe-der-NATO-4716300.html