Nun also Tönnies. Gewundert hat mich das nicht. Als ich mich Anfang 2003 mit dem Thema “Situation rumänischer Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie” befasste, spielte Tönnies bereits eine gewisse Rolle in diesen Recherchen.
Doch einen Strafprozess gab des damals zunächst nur gegen einen kleineren Werkarbeits-Vermittler aus Versmold und gegen eine seiner Auftraggeber, die damalige Firma D+S Fleisch. Deren beide Geschäftsführer wurden ebenso verurteilt, wie der Arbeiter-Beschaffer. Die Ermittlungen konnte ich durch meine Kontakte zu rumänischen Arbeitern und deren rumänische Vermittler unterstützen.
Kleinere Ganoven, die vor Ort in den rumänischen Dörfern die Arbeiter mit allerlei Versprechungen anlockten, glaubten mir, dass man deutschen Ermittlern und auch der Kriminalpolizei vertrauen kann, und dass sie in Deutschland als Zeugen in einem Strafverfahren nichts zu befürchten haben. Schließlich ging es um Ermittlungen in Sachen Schwarzarbeit und Betrug, durchgeführt von hoch motivierten Zollbeamten und seriös arbeitenden Kriminalpolizisten.
Die Erfahrungen der Rumänen mit dem was sich damals in Rumänien Polizei nannte, führten zu einem gewissen Grundmißtrauen bei den wichtigen Zeugen – jeder Polizei gegenüber. Dabei spielte es vielleicht auch eine Rolle, dass ein Bruder des damaligen rumänischen Arbeitsministers am modernen Sklavenhandel mit seinen Landsleuten selbst mit verdiente.
Bei Tönnies, Gausepohl und anderen genügten die Beweise nicht für Anklagen. Gegen die Sklavenhändler, bei Westfleisch wurde einige Jahre ermittelt. Einen dieser Prozesse gegen Axel H. habe ich zeitweise beobachtet. Einer WDR-Dokumentation konnte ich entnehmen, dass es mindestens drei ähnliche Verfahren im Zusammenhang mit Westfleisch gab. Interessant daran: während bei D+S die Geschäftsführer auch verurteilt wurden, saß von Westfleisch nicht mal ein Verantwortlicher der Firma auf der Anklagebank. Warum das so war, konnte ich bisher nicht erfahren. Interessant zu erfahren finde ich auch, welche Rolle die gewerkschaftlichen Aufsichtsratsmitglieder bei der Genossenschaft Westfleisch so spielten. Sie vertraten natürlich die Interessen ihrer fest angestellten Kollegen. Aber auch die müssen doch mitbekommen haben, unter welchen menschenverachtenden Bedingungen die rumänischen Arbeiter lebten und arbeiteten. Internationale Solidarität war offenbar nicht ihr Leitgedanke. Verstehen – wenn auch nicht akzeptieren kann ich diese Ignoranz – schließlich machten die Werkarbeitsverträge mit rumänischen Firmen tausende Arbeitsplätze kaputt, die zuvor vergleichsweise gut bezahlten Bundesbürgern zur Verfügung standen.
Im Fall Westfleisch tut sich was
Ich hatte die Kreisverwaltung Coesfeld gefragt, warum sie und die kommunalen Behörden vor Ort nicht schon Monate vorher gemerkt haben, dass mit der Unterbringung der rumänischen Werkvertragsarbeiter etwas nicht in Ordnung ist. Denn es gibt in NRW ein richtig gutes Gesetz, das die Aufsicht der Gemeinde über den örtlichen Wohnungsbestand regelt. Zu Beginn heißt es: “(1) Die Gemeinden haben. 1. die Wohnungsaufsicht wahrzunehmen und 2. Wohnungssuchende, soweit sie der Hilfe bedürfen, bei der Beschaffung von Wohnraum zu unterstützen. Ein Rechtsanspruch auf Beschaffung einer Wohnung besteht nicht.”
Diesem erfreulich klar formulierten Wohnungsaufsichtsgesetz (WAG NRW) zufolge, hätten also die kommunalen Behörden an den Wohnorten der Arbeiter längst einschreiten müssen – und nicht erst im Rahmen der amtlichen Carona-Bekämpfung. Hinzu kam, dass die Arbeiter in einigen Fällen 220 Euro pro Bett – also nicht etwa pro Zimmer – an die mit Westfleisch eng verbundenen Sklavenhändler zahlen mußten. Auch das war bekannt. Denn wenn ich das an meinem Schreibtisch in Bonn-Oberkassel erfahren kann, dann wußten die örtlichen Behörden in der dörflichen Struktur das auch. Was daraus geworden ist, werde ich ein paar Monate erfragen und auch hier darüber berichten.
Ich hatte mich mit einem umfänglichen Fragenkomplex an verschiedene Ministerien und Behörden in NRW gewandt. Aus dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales kam jetzt eine Antwort.
Laumanns Antwort an Straubinger
Auch eine andere Nachfrage in Sachen Fleischindustrie wurde beantwortet. Nämlich die an das von einem Herrn Laumann geführte Ministerium. Denn wie Martin Böttger, hatte ich mich auch gefragt: Laumann – wo warst Du?
Eine Antwort auf Fragen an den CSU-Bundestagsabgeordneten Max Straubinger hatte ich das MAGS in Düsseldorf weitergereicht. Darin erhob Straubinger einige konkrete Vorwürfe gegen die NRW-Behörden. So hatte Straubinger erklärt, in NRW habe es “bei den 30 größten Schlachthöfen 8752 Verfehlungen aber nur 86 Bußgeld Verfahren gegeben. 22 gegen Schlachthöfe und 64 gegen Werkvertragsunternehmen.” Ich wollte erfahren: Warum nur so wenig? Und wo ist das Problem des Werkvertrags, wenn gegen diese vorgegangen werden kann?
Die Antwort des MAGS bestätigte Straubingers Zahlen und erläutert sie:
“Im Rahmen der Überwachungsaktion 2019 hat die Arbeitsschutzverwaltung insgesamt 8.752 Verstöße ermittelt und 86 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. In mehreren Ordnungswidrigkeitsverfahren sind jeweils mehrere Verstöße gebündelt geahndet worden. Beispielsweise sind in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen einen Arbeitgeber 670 Arbeitszeitverstöße geahndet worden. Bei der Auswertung der Ergebnisse der Überwachungsaktion ist festgestellt worden, dass die hohe Anzahl von Arbeitszeitverstößen hauptsächlich bei Werkvertragsfirmen besteht (nicht aber bei den – sehr wenigen – Firmen, die feste Belegschaften haben). Darüber hinaus sind bei Beschäftigten von Werkvertragsfirmen Lohnabzüge für überhöhte Mieten, beispielsweise für ein Bett, Einarbeitungsphasen oder Fehlverhalten ermittelt worden. Dies führt im Ergebnis dazu, dass durch unrechtmäßige Regelungen bei Werkvertragsfirmen der Mindestlohn unterlaufen wird.”
Auf meine, zugegeben etwas polemisch formulierten weiteren Fragen: “Warum waren und sind die Behörden in NRW so rücksichtsvoll gegenüber den Menschenschindern in der Fleischindustrie? Inwieweit trifft es zu, dass es gegen verschiedene Subunternehmer von Westfleisch vier mal Prozesse gab, in denen immer wieder zur Sprache kam, dass die Randbedingungen, die zu den Verbrechen führten, den Subunternehmern sprich Arbeiteskräfte-Verleihern von der Westfleisch-Firmenleitung vorgegeben wurden?” kam diese Antwort:
“Der Arbeitsschutz kontrolliert die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie konsequent und geht ebenso konsequent gegen etwaige Rechtsverstöße vor. Zu den genannten Prozessen bestehen von Seiten des Arbeitsschutzes keine Erkenntnisse. Bis dato wurden von betroffenen Unternehmen allerdings neun Einsprüche eingelegt und sieben Ordnungswidrigkeitsverfahren sind noch bei Amtsgerichten zur Entscheidung anhängig. In weiteren Verfahren konnten die Ermittlungen bis jetzt nicht abgeschlossen werden, da beispielsweise die Geschäftsführung gewechselt hat und ein Bußgeldverfahren gegen eine juristische Person gemäß § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz neu eingeleitet werden muss.”
Auch diese Hinweise lege ich auf Wiedervorlage und werde sie in einigen Monaten noch mal aufgreifen. Auf die Frage warum die Unterkünfte der Werkvertragsarbeiter nicht schon vor Corona überprüft wurden, erklärt das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales: “Vor Corona fehlte der Arbeitsschutzverwaltung die Zutrittsmöglichkeit zu den Wohnungen, die nun nur im Rahmen der Amtshilfe für die Gesundheitsbehörden nach dem Infektionsschutzgesetz besteht. Gegen schlechte Arbeitsbedingungen in den Betrieben ist die Arbeitsschutzverwaltung bereits vor Corona vorgegangen, zuletzt in einer breit angelegten Überwachungsaktion im Sommer des letzten Jahres.”
Diese Antwort blendet die Zuständigkeit der Kommunen nach dem zuvor zitierten Wohnungsaufsichtsgesetz einfach aus. Man kann es ja mal versuchen. Auch Martin Böttgers Frage “Wo war Laumann?” habe ich, etwas abgewandelt gestellt:
“Minister Laumann wies verschiedentlich darauf hin, dass die Werkarbeitsverträge Sache des Bundes seien. Was hat Herr Laumann denn in den Jahren im Bundestag diesbezüglich unternommen? Trifft es zu, dass Minister Laumann zuvor von 1990 bis 2005 dem Deutschen Bundestag und dort der Regierungsfraktion angehörte?”
Die Antwort des MAGS:
“Minister Laumann gehörte von 1990 bis 2005 dem Bundestag an. Bitte beachten Sie, dass die CDU in diesem Zeitraum nur in der Phase von 1990 bis 1998 – also vor der sogenannten EU-Osterweiterung 2004 – Teil der Regierungsfraktion war. Im Übrigen lehnt Minister Laumann Werkverträge nicht grundsätzlich ab – das Konstrukt bewährt sich beispielsweise in der Automobil- und Chemiebranche. Er sieht in der Fleischindustrie große Probleme, weil die zentralen Kernaufgaben des Geschäftsmodells (also Schlachtung und Zerlegung) an Subunternehmer ausgelagert wurden.”
Nun ja, seit 1998 regiert die CDU wieder und Karl-Josef Laumann war, wie von Martin Böttger berichtet, von Dezember 2013 bis Juni 2017 als beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit sogar Mitglied der Bundesregierung. Spätestens da hätte er ja etwas tun können gegen die Werkarbeitsveträge in der Fleischindustrie. Bleibt abzuwarten, was aus Minister Heils recht vollmundigen Erklärungen sich schließlich in einem Gesetzestext wiederfindet. Der Beueler Extradienst bleibt dran. Versprochen.
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