Als ich heute morgen in den Nachrichten hörte, Karl-Josef Laumann fordere den Bundestag jetzt zu mehr Eile auf, schoss mir so viel Adrenalin ein, dass ich schnell wach war. Der Herr Laumann war von 2005 bis 2010 und wieder seit 2017 der in NRW verantwortliche Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Er gehörte auch der Bundesregierung an, 2013-2017 als beamteter (!) Staatssekretär für Gesundheit. “Was hat der Kerl die ganzen Jahre gemacht?” fragte ich mich, und war wach.
Sein Interview um 7.15 h hatte ich in seiner vollen Schönheit noch verschlafen. Nachgelesen, und etwas ausgeruhter, kann ich darin keine schweren Fehler erkennen. Seit 2003 ist der Mann Vorsitzender des “CDU-Bezirksverbandes Münsterland”, also legitimer Nachfolger der deutschen Kurfürsten. Denn im katholischen Münsterland ist noch nie was Anderes als CDU gewählt worden. Und wenn einer alles weiss, was hier vorgeht, dann ist das ein CDU-Bezirksvorsitzender. In diesem Amt werden u.a. Bundestags- und Landtagsmandate, also Karrierechancen und -wege vergeben. Wenn dem Herrn Laumann dabei nicht die Hände geküsst wurden (Präcorona), dann war das schon ein zivilisatorischer Fortschritt.
Im vollen Interview-Wortlaut streitet Laumann klugerweise gar nicht erst ab, dass er alles, was in der Massentierhaltungs-Fleischindustrie vorgeht, ungefähr schon so lange kennt, wie es so ist. Und selbstverständlich würde auch nichts besser dadurch, dass ich, wie die ansonsten von mir geschätzte DLF-Kommentatorin Vivien Leue meint, ein Steak weniger und/oder dafür den dreifachen Preis bezahlen würde. Dann wird das Steak eben exportiert. Das juckt weder Westfleisch noch Tönnies auch nur im geringsten. Deren Lobbyisten bekennen sogar öffentlich, dass es um die “Konkurrenzfähigkeit” des deutschen Massentierfleischexportes gehe. Also um internationalisierten Kapitalismus. Die bei ihnen arbeiten und die bei ihnen geschlachtet werden, sind dabei systemisch als Opfer vorgesehen und eingebaut.
Laumann ist nun in einer ähnlichen Position, wie es lebenslang der auch hier im Extradienst mit lobenden Nachworten beworfene Norbert Blüm war. Er hat “das schon immer gesagt”, aber auf ihn “hörte ja keiner”. Bis heute morgen um 7.15 h. Jetzt ist das Fenster der Gelegenheit, in dem ihn vielleicht doch welche hören. Spielt es eine Rolle, ob er in den letzten Jahrzehnten Mittäter war? Mir persönlich ist das egal. Ich will nicht Laumann bestrafen, ich will das System ändern und bekämpfen. Gegen die Massentierhaltung. Und gegen das damit zwingend verbundene Arbeitsunrecht, das Schinden bis hin zum Umbringen von Menschen. Widerlich, zum kotzen. Sowas kann ich beim besten Willen nicht essen.
Wenn die deutsche Massenfleischindustrie jetzt tatsächlich wirksam bekämpft und ver- oder sogar zerkleinert würde, wäre historisch schon sehr viel gewonnen. auch wenn es danach selbstverständlich immer noch beim Aldi-/Lidl-Kapitalismus und beim Export(vize-?)weltmeister Deutschland bleiben wird. Ab einem bestimmten Alter fehlt die Zeit, auf eine revolutionäre Zukunft zu setzen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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