“AOC” wird der nächste Superstar
In meinem Hinterkopf sind sowohl “schlau” als auch “Superstar” ambivalente Begriffe, weil Vorder- und Hintergrund in den seltensten Fällen identisch sind. Aber der Reihe nach.
Mohamed Amjahid/taz meint, Philipp Amthor komme mit seinen Schandtaten davon, “weil er weiss ist”. Dem widerspreche ich. Zwar zählt Amjahid zutreffende Indizien der Diskriminierung von Schwarzen auf. Amthor kommt aber davon, weil er rechts ist. Stark verkürzt wäre ein*e Linke*r Politiker*in erledigt, wenn er*sie sich dabei erwischen lässt, zuviel geflogen zu sein, womöglich noch auf Kosten Dritter – Cem Özdemir war zumindest eine Karenzzeit lang deswegen vom Karrierekarussell gefallen. Bei Rechten gehört dagegen das, was Amthor getan hat, zum guten Ton. “A’ Hund is’ scho'”, soll das auf bayrisch ungefähr heissen, und gilt auch viel weiter nördlich. So oder so, Herr Amthor wird uns also schon in Kürze erneut gehörig auf den Nerv gehen.
Für die meisten wird er eine Karikatur bleiben. Das tut aber einer CDU-Karriere keinen Abbruch. Die herrschende deutsche Partei will, wie alle da oben, auch Opfer sein, und mit Figuren wie Amthor kann sie habituellen Trotz aufführen, gegen all das, wo sie “schon immer dagegen” war. Rechte brauchen solche Lebenslügen; ohne sie könnten sie nicht existieren.
Der neue Stern der Linken wächst und blüht am andern Ufer des Atlantik. Alexandria Ocasio-Cortez kenne ich persönlich nicht. Aber dort hinzukommen, wo sie jetzt ist, als Abgeordnete für New York City im Capitol in Washington, dafür ist Schläue eine notwendige Bedingung. Hinreichend wird es, wenn Klugheit dazukommt. Leute, die es besser wissen als ich, New Yorker*innen, versichern mir, dass es so ist. Schlechte Presse für sie habe ich auch auf unserer Seite des Atlantik noch nicht wahrgenommen. Taz und FAZ sind gleichermassen beeindruckt. Die Jungle World beschreibt die Organisation, aus der AOC hervorgegangen ist, und der sie weiter angehört. Jacobin gehört zu den dieser Organisation nahestehenden – in den USA wichtig genommenen – Medien.
Diese Lady hat das Potenzial, in Kürze (in diesem Jahr ist sie noch zu jung für die US-Verfassung) eine progressive Präsidentin werden zu können. Kann das gelingen, oder werden die Widerstände der Mächtigen zu mächtig sein? Oder werden sie auch diese Figur tödlich umarmen, und an den Zwängen von Amt und System scheitern lassen? Ich halte Letzteres für das Wahrscheinlichste. Trotzdem wäre es frevelhaft, es nicht zu versuchen. Es geht um viel, sehr viel.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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