Gastronom*inn*en von Plattformen gequält
Die Altstadt von Beirut war schon vor der Explosionskatastrophe weitgehend “niedergelegt” worden. Vom ehemaligen Regierungschef Rafiq Hariri und seinem folgsamen Erben Saad. Seine Baufirma Solidere entwickelte er zu einem zweifelhaften Zwitter zwischen Baukonzern und staatlicher Ordnungsbehörde, auf diese Weise das Vakuum ausnutzend, das der ebenfalls von ihm geführte Staat langjährig hinterlässt. Pragmatisch, wie ein erfolgreicher Bauunternehmer zu sein hat, arbeiteten die Hariris sähr gärne mit arabischen Grosskapitalanlegern zusammen, die mit Anlagen bei Solidere, wie in der Baubranche üblich, attraktive Renditen erzielen konnten. Dass es dabei gelegentlich zu Meinungsverschiedenheiten kam, die in der zeitweiligen Entführung und Festsetzung Hariris in Riad mündete, hat die Weltöffentlichkeit gut unterhalten – und war gleichzeitig eine klare Ansage der Familie Saud.
Inwieweit diese Profiteure – die weibliche Form scheint mir hier unnötig – nun Opfer der Explosionskatastrophe sind, oder diese Rolle clever auf das Proletariat der Stadt abschieben, das wäre eine brisante noch näher zu untersuchende Frage, für die ich leider über unzureichende Recherchemöglichkeiten verfüge. Aber vielleicht findet sich ja jemand, irgendwo wo noch Pressefreiheit herrscht. Ich ahne da nur was …
Normal, aber was ist noch normal, hätte nahegelegen, dass alle reichen arabischen Brüder und Schwestern nun Beirut zu Hilfe eilen. Denn immerhin reisten sie alle immer wieder gerne dorthin, um all den Sünden zu frönen, die sie ihrem Volk zuhause verbieten. Beirut war immer ein Kommunikationszentrum zwischen West und Nahost, nicht nur was das Sündigen, sondern auch was das Geldwaschen, -transferieren und -flüchten betrifft. Je nach politischer und sozialer Lage kann das aber auch immer nach Zypern verlagert werden. Das durfte ich schon in den 80er Jahren bei einen Kurzbesuch in Nikosias Luxushotels, bezahlt vom damals noch “sozialistisch” finanzierten Internationalen Studentenbund (damaliger Sitz: Prag) beobachten.
Stattdessen werden sie nun lauern, ob irgendwann eine Sonderkonjunktur zum Wiederaufbau lockt. Dann werden sie gewiss zur Stelle sein. Sie haben es auch nötig. Denn das Ölgeschäft stirbt schneller, als sie es vorausgesehen haben. Sicher, es ist ein Abstieg von einem “märchenhaft” hohen Kapitalgipfel. Aber dabei kann es immer wieder zu riesigen Gletscherabbrüchen kommen, klimatische Folgen des eigenen Geschäftsmodells. Es droht also eine neue riesige Fluchtwelle – Kapitalflucht. Ein Zielgebiet: der hiesige “sichere” Immobilien”markt”. Diese Welle wird viele weitere Mieter*innen wohnungslos machen. Es sei denn, demokratische Politik würde in diesen “Markt” eingreifen. Wenn Sie sie irgendwo sehen, sagen Sie mir bitte Bescheid.
Seuche Onlineplattformen bringt Gastronom*inn*en um Existenz und Verstand
Ich kann es nicht verlinken, weil die FAZ es vermauert hat, möchte es aber wegen seiner grossen Bedeutung an dieser Stelle erwähnen. Jakob Strobel Y Serra hat für das FAZ-Feuilleton die Onlineplattform “Tripdavisor” an die Wand genagelt. Sie ist ein spektakuläres Beispiel für die Verbindung publizistischer und ökonomischer Macht mit maximalem Verzicht auf inhaltliche und redaktionelle Qualität oder gar den Einsatz richtiger Arbeit durch richtige Menschen. Stattdessen generieren Algorithmen einen wilden Marktplatz für Manipulation und mafiöse Erpressung. Und eine Riesenmehrheit von Nutzer*inne*n glaubt daran. Das ist ziemlich exakt das Geschäftsmodell, das die Katholische Kirche im Mittelalter verfolgt hat. Zur Erinnerung: darauf folgte die “Reformation” von den Evangelischen, mit dem Dreissigjährigen Krieg (1618-1648). Schön war das nicht. Hoffen wir also, dass Geschichte sich nicht wiederholt.
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