Unter Bezug u.a. auf Hannah Arendt hat Albrecht von Lucke ein weiteres flammendes Plädoyer abgeliefert. In “Die neue Protestwelle oder: Wer gehört zum Wir?” behandelt er die Corona-, die Antirassismus-Proteste, sowie die Randale überwiegend männlicher Jugendlicher in Stuttgart und Frankfurt. Der in der Überschrift einst von Hannah Arendt formulierte universalistische Anspruch müsse in der Anerkennung der “real existierenden deutschen Diversität” münden. Richtig.
In einem Seitenaspekt streift Lucke die einstigen “Halbstarken” der 50er und 60er Jahre, die heute teilweise wieder auferstehen, “die weder über hinreichend Wohnraum noch über einschlägige ‘Locations’ verfügten”. Ein Effekt zum einen der zugenommenen Privatisierung öffentlicher Räume, in erster Linie aber der heute erneut wieder grassierenden Wohnungsnot, insbesondere einkommensschwacher und kinderreicher Haushalte. Je schlechter es zuhause aussieht, umso schneller wird das Nest geflohen, und zwar von den Jungs, die das Delinquentenalter erreichen. Dass die Coronakrise auch diesen alten Effekt beschleunigt – geschenkt, längst eine Binsenweisheit.
Das Kind, die missratene neoliberale Wohnungspolitik, ist im Brunnen, schon in den Kohl-Jahren der 90er dort hinein geworfen worden – und was da heranwächst könnte sich als ausserordentlich “schwer erziehbar” entpuppen. Lucke scheint es zu ahnen. Peter Samal/Jungle World hat es tiefer analysiert: “Mieten kennen kein Corona”. Aus seiner Analyse geht klar hervor, dass keineswegs “Bauen, bauen, bauen” und die Überreste kaum existierender Marktwirtschaft die Lösung sind. Das Problem ist vielmehr der unbegrenzte Überschuss anlagesuchenden Kapitals in der Verfügungsgewalt Weniger, die die Preise (den Wert) von Grundbesitz, und dem, was da draufsteht, völlig unabhängig von “Angebot und Nachfrage” aufbläst, aufbläst, aufbläst. Es ist die Nichtproduzierbarkeit des knappen Gutes Grund und Boden, die nur diese eine Richtung kennt. Deswegen ist die Möglichkeit des privaten Besitzes dieses knappen Gutes eine fatale, systemische Fehlkonstruktion. In den anstehenden Wahlkämpfen (Kommunalwahl in 2 Wochen; Bundestagswahl in einem Jahr) sollten Sie die Kandidat*inn*en und Parteien dringend befragen, was und wie sie das ändern wollen.
Nur geringfügig fällt dabei positiv ins Gewicht, dass die feudalen Fraueneinsperrer, Todesstrafenverhänger und Kriegsverbrecher in den Golfstaaten nicht mehr unbegrenzt mit Kapital um sich schmeissen können. Die Realpolitiker in den Vereinigten Arabischen Emiraten z.B. (u.a. Eigentümer des Pep-Guardiola-Clubs und mutmasslichen Lionel-Messi-Erwerbers Manchester City) müssen sich Geld leihen, und dafür, im Gegensatz z.B. zur deutschen Bundesregierung, sogar Zinsen zahlen. Was dem globalen Grosskapital hier im Sektor Big Oil an Luft ausgeht, das baut sich leider bei kalifornischen und chinesischen Big-Data-Oligarchien weiter auf. Selbst Gas verspricht als Übergangsenergie noch exzellenten Superreichtum, dass es im östlichen Mittelmeer schnell Kriegsgrund werden kann. Das verspricht keine materialistischen Fundamente im Kapitalismus für das Recht aller, Rechte zu haben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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