Immer noch nicht – ist es ein Westfalen-Gen?
Das ZDF-Sportstudio habe ich mir gestern erspart. Gut so. Kurz vor dem Einschlafen erregen, das ist nicht gut. Der Herr Watzke, der immer so viel Wert auf eine Bodenständigkeit-Performance legt, muss ein Desaster auf der TV-Bühne hinterlassen haben. Das Gegreine von Fußballkonzernen – wer will das noch hören? Doch nur, wer keine anderen Sorgen hat.
Dortmunds ungeliebter Fußballlehrer Lucien Favre versteht mehr vom wahren Leben und sieht, was kommt. Lächerlich mutet es an, wenn die DFL-Konzerne beckmessern, an den Coronainfektionen ihrer Spieler seien die reisenden Nationalmannschaften schuld. Als wenn sie nicht selbst reisen, und zwar im Rahmen der von der schmerzfreien Uefa veranstalteten Kapitalverteilmaschine Champions League in die exakt identischen “Risikogebiete”.
Wer als Teammanager bei diesen Veranstaltungen am Spielfeldrand operiert, mit der ungewohnten Tatsache konfrontiert, dass jedes seiner Kommandos jetzt akustisch im gesamten Stadion und in den TV-Liveübertragungen gut zu vernehmen ist, merkt selbst, was für eine gespenstische Szene das ist.
Es sind die von diesen Fußballpaten geschmähten Ultras, die die Wirklichkeit kapieren. Sie wollen kein Teil dieser Blase sein, verzichten dankend auf selektive Einladungen auf die raren zuteilbaren Stadionsitzschalen (“Sitzen is* für’n Arsch!”). Sie kritisieren seit Jahrzehnten die aufgeblasene Entertainmentillusion, der wir in diesen Monaten und Jahren beim Platzen zusehen müssen.
Meine Vorhersage: angesichts der globalen Infektionsentwicklung (220.000 Tote in den USA, über 150.000 Tote in Brasilien, und das sind nur die offiziell Gezählten) wird kein relevanter internationaler Fußballwettbewerb zuende gespielt werden können. Fußball- und TV-Konzerne machen besser jetzt schon Krisenpläne, wenn sie überleben wollen. Vielen wird das nicht mehr gelingen.
Die Rummenigges und Watzkes – beide übrigens für ihre Dickköpfigkeit und gelegentlich langsames Denken berühmte Westfalen – begreifen offensichtlich nicht die Wirkung ihres Treibens auf das breite Publikum. Wie wollen sie Kindern und Jugendlichen glaubhaft “illegale Partys” untersagen, wenn die täglich in der Glotze das Fußballprofitreiben vorgespielt bekommen? Maske tragen, Abstand halten – haha, guck’ mal die! Waschen die sich etwa nach jedem Zweikampf die Hände? Es mag ja sein, dass 14-16-jährige begreifen, wie absurd und pervers das ist. Aber wie sollen es die 5-10-jährigen verstehen? Wie zu hören ist, sehen selbst viele Erwachsene nicht ein, warum ihnen verboten wird, was für halbwüchsige Millionäre Berufspflicht ist, damit der Kapitalthermomix weiterläuft.
Watzke u.a., gewiefte Unternehmer, führen nun gerne ihre “Verantwortung für die Arbeitsplätze” ins Feld. Schön, dass sie gelegentlich daran denken. Mein Biobistro-Wirt macht sich diese Gedanken auch; er muss bei niedrigen Temperaturen seine Lokaltür offenhalten, wg. der Lüftung! Ebenso kämpft das familiengeführte Restaurant um die Ecke. Ungefähr 1,3 Mio. Beschäftigte in der Kulturwirtschaft haben laut Prix Pantheon-Moderator Tobias Mann (im Video gleich am Anfang) ihren Ruin vor Augen. Für Sorgen um Tönnies (noch ein Westfale!), Watzke und Rummenigge haben die keine Kapazität mehr frei.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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