von Ingo Dachwitz und Alexander Fanta / Otto-Brenner-Stiftung

Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt: Zusammenfassung und Ausblick

Diese Studie widmet sich dem Verhältnis zwi­schen deutschen Nachrichtenmedien und dem Technologie­-Konzern Google. Spätestens seit dem Jahr 2015 fördert das Unternehmen die Branche in Europa mit mehreren hundert Millionen Euro. Zugleich ist Google Technolo­gie-N und Geschäftspartner sowie wirtschaft­licher Konkurrent vieler Verlage. Dabei besteht ein klares Spannungsverhältnis zwischen den Rollen Googles als Förderer, Partner, Mitbewer­ber und Objekt der Berichterstattung. Zentrales Anliegen der Arbeit war es, die Auswirkungen dieses Beziehungsgeflechts auf die journalis­tische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Medien zu untersuchen.
Nachrichtenmedien als Investitionsobjekt

Die Medienförderung Googles steht im Kontext zweier verwandter Entwicklungen: der wirtschaftlichen Krise vieler Nachrichtenmedi­en sowie der immer größeren Rolle von Techno­logieunternehmen und ihren Gründer*innen für die Medienlandschaft. Die Studie zeichnet zunächst nach, wie Nachrichtenmedien in­zwischen zum beliebten Investitionsobjekt für die Technologiebranche geworden sind. Bei gleichzeitigem Einbruch der Erlöse aus dem Werbegeschäft droht diese Entwicklung das lange Jahre sorgsam ausbalancierte Gleich­gewicht der Nachrichtenbranche zwischen pu­blizistischen und wirtschaftlichen Interessen ins Wanken zu bringen. Beleuchtet wird die klei­ne Zahl an wissenschaftlichen Werken, die sich mit den Beziehungen von Presseverlagen und Plattformkonzernen wie Google und Facebook beschäftigen. Aus den einschlägigen Arbeiten lässt sich ableiten, dass es bislang an tragfä­higen Konzepten für die Abgrenzung zwischen der Redaktion und den Interessen von Geld­geberin*innen nach Vorbild der klassischen Trennung von Verlag und Redaktion fehlt.

Die vorliegende Untersuchung greift insge­samt auf unterschiedliche Quellen und Metho­den zurück, um Googles vielschichtige Bezie­hungen zu Nachrichtenmedien zu beleuchten. Die Arbeit stützt sich auf eine Datenanalyse von mehr als 600 von Google geförderten Medien­projekten in Europa und 25 Interviews mit deut­schen Verlagsverantwortlichen und Digitaljour­nalist*innen. Eine schriftliche Umfrage unter 22 deutschen Medienhäusern liefert ergän­zende Einblicke in deren Nutzung von Google­ Produkten im Alltag der Branche.

9.1 Die Ergebnisse im Überblick

Die erste Forschungsfrage galt dem Entste­hungskontext von Googles Medienförderpro­gramm. Die Studie zeigt: Der Aufstieg des Da­tenkonzerns zum Medienmäzen nahm seinen Anfang in Frankreich. Dort setzt Google 2013 auf politischen Druck hin einen 60-­Millionen­-Fonds für die Unterstützung von Innovations­projekten in Presseverlagen auf. Der franzö­sische Fonds ist Vorbild für die Digital News Initiative (DNI), die Google 2015 für ganz Euro­pa ausrief. Kernelement war der mit 150 Millio­nen Euro ausgestattete Digital News Innova­tion Fonds, mit dem Google von 2015 bis 2019 Innovationsprojekte in ganz Europa förderte. Eine politische Vorgeschichte der Förderun­gen beleuchtet, dass die Förderinitiativen Googles stets unter dem Eindruck steigenden politischen Drucks zustande kamen, der nach Darstellung von Google-­Verantwortlichen den Konzern „wachgerüttelt“ hatte. Eine zentrale Rolle spielte die Debatte um die Einführung von „Google-­Steuern“ und eines Leistungsschutz­rechts. Aus öffentlich verfügbaren Quellen, Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen sowie Gesprächen mit Branchenvertreter*innen und Google kann die vorliegende Studie nachzeich­nen, wie aus dem Fonds in Frankreich und der europäischen DNI ab 2018 ein globales Unter­fangen wird: die mit 300 Millionen Dollar aus­gestattete Google News Initiative (GNI).

Google und die Medien haben ein Transparenzproblem

Die zweite Forschungsfrage dieser Studie adressierte die Verteilung der Mittel aus dem DNI-­Fonds und den Profiteur*innen in Deutsch­land. Die Datenanalyse der europäischen Pro­jektförderungen Googles zeigt zunächst, dass das Geld nicht gleichmäßig verteilt wurde, son­dern mehrere Schieflagen aufweist: der typi­sche Profiteur des DNI­-Fonds war ein etablierter, profitorientierter und westeuropäischer Verlag. Nicht­profitorientierte Medien und journalisti­sche Neugründungen standen nicht im Fokus der Förderungen. Europaweit gingen rund drei Viertel der Fördermillionen an kommerzielle Medien. Mit 21,5 Millionen Euro floss das meis­te Geld nach Deutschland. Nur vier der 28 ge­förderten Großprojekte mit einem Volumen von mehr als 300.000 Euro gingen hierzulande an Regionalverlage. Demgegenüber stehen die Großverlage Dieter von Holtzbrinck Medien, Funke Mediengruppe und Gruner & Jahr, die zwi­schen drei und zehn Millionen Euro erhielten. Genauer lässt sich die Summe nicht beziffern, weil weder Google noch die meisten Empfän­ger*innen Transparenz über die konkreten För­dersummen herstellen. Von den zehn größten Profiteur*innen in Deutschland ging allein der Spiegel transparent mit den Geldflüssen um. Er erhielt gut 1,5 Millionen Euro; auf einen ähn­lichen Betrag schätzen die Autoren die Summe, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung von Goo­gle erhielt. Insgesamt zeigt die Datenanalyse, dass Googles Förderung für die Medienbranche sich an bestehenden ökonomischen Strukturen orientiert und diese vermutlich sogar verstärkt: Wer hat, dem wird gegeben.

Dringende Finanzierungslücke im Journalismus

Die im Rahmen der Studie geführten Inter­views machen derweil deutlich, dass Googles Förderungen eine dringende Finanzierungslücke der Branche für Technologieentwicklung füllen. Vielfach betonen Verlagsverantwortliche, dass die DNI-­Mittel Voraussetzung für das Zustande­kommen ihrer Innovationsprojekte waren. Ein*e Medienmanager*in bescheinigt Googles Initia­tive einen „Aufholcharakter“, den die Medien dringend benötigt hätten. Ein*e Journalist*in beschreibt sie als „Entwicklungshilfe“.

Brandmauer wird brüchig

Die übergreifende (fünfte) Forschungs­frage, nach den Auswirkungen des Engage­ments von Google auf die journalistische Unab­hängigkeit, zeigt für die DNI­-Förderungen ein komplexes Bild: Aus den Gesprächen ergeben sich keine Anzeichen dafür, dass Google sein Förderprogramm missbraucht haben könnte, um direkten Einfluss auf die Berichterstattung von Medien in Deutschland zu nehmen. Den­noch werten befragte Journalist*innen die För­derung als Gefahr für die Unabhängigkeit ihres Standes. Die klassische Trennung zwischen Re­daktion und Verlag wird im Kontext von Tech­nologie-­Entwicklungsprojekten durchlässiger: Wer Innovationen entwickeln will, die dem Journalismus zugutekommen, tut dies häufig in enger Abstimmung mit der Redaktion. In einem Fall waren Journalist*innen, die über Google berichten, sogar federführend für ein von Goo­gle finanziertes Projekt zuständig. Mehrere Journalist*innen äußern darüber hinaus Sor­ge vor korrumpierender Nähe und möglicher Selbstzensur – gerade bei hoher oder wieder­holter Förderung durch Google.

Sorge vor korrumpierender Nähe

Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Er­gebnisse zu den von Google finanzierten Bran­chenveranstaltungen, Fellowships und Trai­nings, denen die dritte Forschungsfrage dieser Studie gewidmet war. Die Studie zeigt hier, wie Google durch seine Sponsorenschaft selbst zur Plattform für den Austausch der Branche wird und Nachwuchstalenten den Karrierestart er­möglicht. Kaum ein Branchen-­Event in Deutsch­land und Europa findet ohne Beteiligung des Datenkonzerns statt. Allein in Deutschland spon­serte das Unternehmen zudem 50 Fellowships: Ausbildungsaufenthalte für Nachwuchstalente bei Leitmedien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Spiegel und Zeit-Online. Google erhält damit nicht nur einen Platz am Tisch bei Branchendiskussionen, sondern prägt eine Generation angehender Medienleute.

Darüber hinaus gibt es technologische und wirtschaftliche Verflechtungen der Medienhäu­ser mit Google, die in der vierten Forschungs­frage adressiert wurden. Gespräche mit den Verlagsverantwortlichen und Journalist*innen zeigen ein ambivalentes Verhältnis der Betei­ligten zu dem Datenkonzern. Die Ergebnisse der schriftlichen Umfrage machen deutlich, dass keines der befragten Medienhäuser gänzlich auf Produkte von Google verzichten kann. Der Konzern und seine Dienste spielen eine Rolle für die digitale Publikumsgewinnung, aber auch für die Arbeitsabläufe von Redaktionen und die Finanzierung der Medienhäuser durch Werbung. Von 22 durch die Studienautoren befragten Me­dien nutzen 18 Google-­Produkte wie Analytics zur Messung von Besuchsströmen. 15 Medien­häuser verwenden das Google-­Werbenetzwerk zur Monetarisierung ihrer Inhalte. Hingegen zeigen die Interviews, dass viele Pressever­lage dem Abonnementdienst Subscribe with Google skeptisch gegenüberstehen und eine Konkurrenz des Konzerns bei Rubrikenmärkten fürchten. Während Google Verlage als „Part­ner“ bezeichnet, was viele Interviewte kritisch sehen, pflegen sie eher den englischen Begriff des „Frenemy“ – eine Mischung aus Freund („friend“) und Widersacher („enemy“).

Bezüglich der Schutzmaßnahmen, die Nach­richtenmedien ergriffen haben oder ergreifen könnten, um Beeinträchtigungen der journa­listischen Unabhängigkeit durch die immer enger werdenden Beziehungen mit Google vor­zubeugen, sind die Ergebnisse eindeutig. Bis­her scheint die Branche kaum über Mittel und Wege nachzudenken, wie sie sich weiterhin vom freundlichen Förderer und Technologiepartner emanzipieren kann. Die betroffenen Verlage, Redaktionen und Einzelpersonen beschäftigen sich offenbar nur wenig mit möglichen Schutz­maßnahmen, sondern verlassen sich auf eta­blierte Konzepte wie die Trennung von Redak­tion und Verlag sowie bestehende Ethikricht­linien oder suchen ad hoc nach Lösungen.

Sechs Thesen

Im Folgenden und zum Abschluss der Unter­suchung werden sechs Thesen zum Verhältnis von Google und der Medienbranche als Fazit der Untersuchung dargelegt.

1. Googles Medienförderungen ist ein strategisches Instrument für die Zwecke des Konzerns. Auch wenn Googles vielgestaltige Medienför­derung in der Branche heute eine wenig hinter­fragte Normalität darstellt: Sieben Jahre nach der Gründung des ersten Unterstützungspro­gramms entzieht sich dieses Engagement für den Journalismus weiter gängigen Konzepten. Verantwortliche bei Google betonen, dass es sich nicht um ein Mittel zur Verankerung ihrer Produkte handelt. Zugleich will der Konzern aber nicht (nur) von Philanthropie sprechen. Was sind Googles Nachrichteninitiativen aber dann, wenn es sich weder um unmittelbaren Eigennutz noch um milde Gaben handelt?

Diese Studie zeigt den politischen Druck, un­ter dem Google die Idee der Medienförderung in Frankreich entwickelt hat. In den Worten der ver­antwortlichen Manager geht es darum, „Miss­verständnisse“ zwischen dem Konzern und der Medienbranche auszuräumen. Die Nachrich­teninitiativen tragen also klare Anzeichen einer groß angelegten Public­Relations-­Maßnahme.
Ob die Rechnung hinter dieser Scheck­buch­-Diplomatie immer aufgegangen ist, ist fraglich – die politische Schlacht um das Leis­tungsschutzrecht für Presseverlage in Europa hat der Konzern verloren. Doch die Befragungen im Rahmen dieser Studie zeigen, dass Google sich durch seine Förderungen und den Dialog mit der Branche Ansehen erwerben konnte.

Google-Förderungen ändern ihren Charakter

Ohnehin verändert Googles Journalismus­förderung mit ihrer Wandlung zur globalen Initiative seit 2018 ihren Charakter. Standen mit dem französischen und dem gesamteuro­päischen DNI-­Fonds noch Direktzahlungen an Presseverlage im Vordergrund, geht in der Goo­gle News Initiative mit 30 Millionen Dollar nur noch ein kleiner Teil des 300­Millionen­ Budgets an freie Innovationsprojekte von Nachrichten­medien. Die GNI ist deutlich unverhohlener als ihre Vorgängerinnen auf das Eigeninteresse Googles gemünzt, etwa bei der Finanzierung von neuen hochqualitativen YouTube-­Formaten und der Optimierung von Verlagsangeboten auf die Produkte und Dienste des Konzerns.

Für den Journalismus systemrelevant

Die Förderungen tragen dazu bei, Medien stärker an das Produkt-­Ökosystem Googles zu binden. Der Konzern spielt inzwischen in der Produktion, Distribution und Monetarisierung von Nachrichten eine bedeutende Rolle, was die Perspektive von Google als dominantem „Betriebssystem“ für den digitalen Journalis­mus eröffnet. Für digitale Medien ist Google längst systemrelevant. Zurecht zieht ein Be­fragter eine Parallele zum Konzept des Platt­formkapitalismus: Wer Infrastrukturen bereit­stellt, kann Einfluss nehmen – erst recht, wenn er irgendwann der einzige Anbieter sein sollte.

2. Das Google-Geld weckt bei Journalist*innen Sorgen vor korrumpierender Nähe.

Nicht nur, weil sie so schwer zu greifen ist, ist Googles neue Form der Medienförderung eine Gefahr für das Gleichgewicht aus publizistischen und wirtschaftlichen Interessen: Dass keines der geführten Interviews Anzeichen für erfolgreiche oder auch nur versuchte direkte redaktionelle Einflussnahme des Konzerns ent­hält, kann nicht lange beruhigen. Denn spur­los geht die hunderte Millionen Dollar schwere Umarmung an der Nachrichtenindustrie nicht vorbei: Befragte Journalist*innen äußern Sorge vor korrumpierender Nähe und Selbstzensur.

Gefahr von Selbstzensur steigt

Dies gilt insbesondere bei mehrmaliger oder besonders intensiver Förderung. Da das Unternehmen seine Finanzspritzen für die jour­nalistische Branche nach Abschluss der euro­päischen News Initiative 2019 nicht nur fortge­führt, sondern weltweit ausgerollt hat, kommt diesem Punkt eine besondere Bedeutung zu: Die Millionen des Datenkonzerns werden zu einem festen Element für die Finanzierung von technischem Fortschritt, auf das sich Medien­häuser in ihrer Entwicklungsplanung mehr und mehr verlassen. Die Gefahr der Selbstzensur, um einen wichtigen Förderpartner nicht zu verschrecken, dürfte perspektivisch steigen, je mehr sich Googles Förderung normalisiert und zu einem quasi­strukturellen Element der Fortschrittsfinanzierung wird.

Die ganze Klaviatur der Beziehungspflege

Erschwerend kommt hinzu, dass der Daten­konzern auch jenseits der Innovationsförderung auf der Klaviatur der Beziehungspflege spielt: Auch die durch Google ermöglichten Konfe­renzen, die kostenlosen Trainings für Journa­list*innen und die ausfinanzierten Fellowships aufstrebender Nachwuchstalente leisten einen Beitrag zur Darstellung von Google als wohlwol­lendem Mäzen des Journalismus, zugleich aber auch als mächtigem Verbündeten der Verlage.

3. Die Google-Förderungen stärken das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Medienhäusern.

Googles Projektförderungen stärken beste­hende ökonomische Strukturen der Medien­landschaft. Mehr als zwei Drittel der Mittel gehen an kommerzielle Verlage, vielfach handelt es sich um alte, etablierte Häuser in Westeuropa. In Deutschland konnten journa­listische Neugründungen und Regionalverla­ge kaum von den Finanzspritzen profitieren. Google entscheidet damit in der Frage mit, wer den Existenzkampf auf dem unter Druck stehenden Medienmarkt für sich entschei­den kann. Die Gelder helfen den Verlagen, im Innovationsrennen aufzuholen und Heraus­forderungen durch neue Mitbewerber*innen abzuwehren.

Eine Orientierung des DNI-­Fonds an Ge­meinwohlzielen ist derweil nicht zu erkennen. Es werden eben gerade keine finanzschwä­cheren Medien oder gemeinwohlorientierter Journalismus gefördert. Auch die Schließung journalistischer Versorgungslücken in Mit­tel­ und Osteuropa mit dem Ziel einer ausge­glicheneren europäischen Öffentlichkeit wird nicht angestrebt. Im Gegenteil: Bestehende Ungleichheiten werden verstärkt.

Zwar erhalten auch einige Startups Geld von Google, doch stärkt der Datenkonzern vor allem seine früheren politischen Gegner. Damit leistet der Konzern insgesamt einen negativen Beitrag zur Entwicklung des Medienpluralis­mus in Europa, da er überwiegend zur Konsoli­dierung der Marktmacht etablierter Verlage beiträgt.

4. Die Medienbranche büßt durch Googles Fördergelder für Forschung und Kongresse die Fähigkeit zur eigenständigen Selbstreflexion ein.

Google unterstützt mit seinen eigenen Veran­staltungen wie Newsgeist und seinem Sponso­ring für zahlreiche Konferenzen viele wichtige Foren für den Austausch innerhalb der Bran­che. Wie Gesprächspartner*innen im Rahmen dieser Studie betonen, ist Google in einigen Fällen dafür verantwortlich, dass überhaupt ein regelmäßiger Austausch zwischen den Ver­lagen stattfindet. Zugleich fördert der Daten­konzern Ausbildungsorganisationen wie das European Journalism Centre und die Journalis­musforschung.

So verdienstvoll die Ziele der geförderten Institutionen auch sind, so schränkt der Mittel­bezug dennoch den Raum für eine kritische Debatte über die Rolle des Geldgebers in der Branche ein: Auch hier wird der Datenkonzern zur Plattform für Branchendiskurse und Com­munity­-Building. Doch wer mit am Tisch sitzt, wird seltener zum Thema des Gesprächs. Ein*e Journalist*in, die gerade noch mit Google auf einem Kongress über Innovation im Journalis­mus gesprochen hat, wird kaum im nächsten Schritt die Steuertricks des Unternehmens be­leuchten. Durch seine gezielte Förderung für Diskussionsräume im Rahmen von Kongres­sen, Nachwuchsförderung und akademischer Forschung beschneidet Google die Fähigkeit zur eigenständigen Selbstreflexion innerhalb der Branche.

5. Google versucht, zur dominanten technologischen Plattform für das Nachrichtenökosystem zu werden.

Google setzt der Unabhängigkeit der Nachrich­tenmedien bereits heute subtil Grenzen. Wie lang Überschriften in journalistischen Medien sind und wie lang die dazugehörigen Texte, das beeinflusst der Konzern bereits durch das von ihm geschaffene Anreizsystem der „Suchma­schinenoptimierung“. Welche journalistischen Texte auf welche Art von außerhalb der Nachrich­tenseiten auffindbar sind, entscheidet der Kon­zern durch Gestaltung seines Suchalgorithmus.

Google als Betriebssystem des Journalismus

Diese infrastrukturellen Abhängigkeiten verstärken sich in dem Maß, in dem Googles Produkte und Dienste zum „Betriebssystem des Journalismus“ werden. Wie in der vor­liegenden Studie gezeigt, kommt heute kein Verlag ohne Einsatz von Diensten wie Goog­le Analytics oder dem Google-­Werbenetzwerk aus. Google schafft ständig neue Werkzeuge für Verlage, etwa den Abonnementdienst Sub­scribe with Google. Damit erzeugt der Konzern Abhängigkeiten auch jenseits seiner dominan­ten Rolle im digitalen Werbemarkt.

Gefangene der Infrastruktur

Die Gefahr dieser „infrastrukturellen Ver­einnahmung“ wird aus der Geschichte der Nachrichtenmedien deutlich – wer über die Bedingungen für die Herstellung, Verbreitung und Vermarktung von Information bestimmt, hat die Hebel in der Hand, um Einfluss auf In­halte zu nehmen. Einen ersten Ausblick darauf eröffnen die in der Studie geschilderten Versu­che Googles, über seine Fördergelder Einfluss auf die politischen Positionen der Verlage bei Themen wie dem Urheberrecht zu nehmen. Mit zunehmender Dominanz im digitalen Nachrich­tengeschäft kann die politische Stimme Goo­gles nur lauter werden.

Öffentliche Förderung als Alternative

6. Förderungen müssen offengelegt werden und es braucht Alternativen zum Google-Geld.

Die Studie zeigt, dass die Brandmauer zwi­schen Redaktion und Verlag bröckelt, weil bei Technologieprojekten Redaktion und Verlag zu­sammenarbeiten müssen. Damit sie unter den Bedingungen anhaltenden Innovationsdrucks und fortschreitender Technisierung des Redak­tionsgeschehens hält, braucht es neue Stan­dards und Mechanismen. Wie diese konkret ge­staltet sein könnten, sollte Gegenstand weiterer Forschung sein, zu der diese Arbeit anregen will.

Das mindeste wäre Transparenz

Eine klare Mindestanforderung, um auch nur den Anschein von Einflussnahme zu ver­meiden, ist völlige Transparenz über die Pro­jektförderungen sowohl durch Google als auch die Empfängermedien. Der Datenkonzern soll­te Zahlungen an Medien mit genauen Beträgen in einer Datenbank offenlegen; auch Medien sollten mit ihrem Mittelbezug und ihrer Ge­schäftsbeziehung mit Google offen umgehen. Nur so lässt sich überhaupt das volle Ausmaß der Plattform­-Verlage­-Beziehung verstehen.

Schlussendlich braucht es eine gesell­schaftliche Debatte: Was sagt es über die Situa­tion des Journalismus aus, wenn er die Hilfe eines Konzerns annehmen muss, der zugleich Geschäftspartner, Konkurrent und Objekt der Berichterstattung ist? Es erscheint ethisch ebenso fragwürdig, wie wenn Verlage mit der gleichen Argumentation ihre Technikentwick­lung von Autokonzernen, Ausbildungsaufent­halte von Sportverbänden oder Konferenzen von der Pharmaindustrie finanzieren lassen.

Google stößt mit seiner Förderung in eine klaffende Finanzierungslücke. Die Herausfor­derung für Nachrichtenmedien in einer demo­kratischen Gesellschaft besteht darin, Alterna­tiven mit weniger großem Gefährdungspoten­tial für ihre Unabhängigkeit zu finden. Deshalb ist es aus Sicht der Studienautoren wichtig, dass die europäische und deutsche Debatte um öffentlich­-rechtliche Innovationsförderung für Medien weitergeht.

Die vorliegende Studie hat explorativen Cha­rakter und bietet Anknüpfungspunkte für wei­tergehende Forschung. Eine für das Verständnis von Googles Rolle in der Branche wichtige Frage ist, wie sich die Rezeption des Konzerns in der medialen Berichterstattung in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Ebenfalls bedeutsam ist eine genauere Betrachtung der außereuropäi­schen Nachrichteninitiative, eine tiefergehen­de Beschäftigung mit der Nachwuchsförderung Googles sowie dem Einfluss des Konzerns auf die akademische Journalismusforschung. Rele­vanz für den Forschungsgegenstand hätte da­rüber hinaus eine systematische Untersuchung der technologischen und ökonomischen Ver­flechtungen zwischen den Nachrichtenmedien und Google, die etwa eine Einschätzung über das Ausmaß des finanziellen Anteils des Google­ Werbenetzwerkes an Firmenerlösen liefert. Nur eine genaue und schonungslose Aufarbeitung von Googles Engagement und Einfluss auf die Nachrichtenmedien wird es erlauben, systema­tische Schritte für den langfristigen Erhalt der Unabhängigkeit der Branche zu treffen.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Arbeitsheft 103 der Otto-Brenner-Stiftung “Medienmäzen Google”. Den vollen Wortlaut finden Sie hier.<
Update 4.11.: laut Christian BARTEls/Altpapier-Kolumne beim MDR haben weder “Spiegel, Zeit, FAZ, SZ und auch die dpa, die als mutmaßlich zehntgrößter deutscher Google-Spendenempfänger genannt wird”, über diese Studie berichtet.

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