Die Lange Nacht des DLF bleibt das Nonplusultra guten Radioschaffens. Ich nenne sie immer den Mercedes unter den Radioformaten. Das heisst, Sie müssen es sich auch leisten können: drei Stunden zuhören. Wenn Sie es dann getan haben, werden Sie (meistens) feststellen: es hat sich gelohnt, das war eine gute Investition. So ging es mir heute Nacht mit Corinne Orlowskis “Die literarische Welt der italienischen Renaissance – Aufbruch ins goldene Zeitalter”. Sie können das auch tagsüber hören; oder heute Abend um 23.05 h (bis 2 h) im DLF (Kölner Programm).
Die Pointe hören Sie gleich am Anfang. Europa hat sich die Renaissance schöngesoffen, wie es das gewöhnlich mt Italien und seinem schmackhaften Wein, von Grappa ganz zu schweigen, tut. Was wir heute als Renaissance zu kennen meinen, waren – typisch für Geschichtsschreibung durch die Herrschenden – Vergnügungen der herrschenden Klassen. Italien, wie wir es kennen, gab es damals so wenig wie Deutschland. Beide “Nationen” waren politisch motivierte Erfindungen des 19. Jahrhunderts (das gleiche Jahrhundert, in dem auch die “Liebe” erfunden wurde, aber das nur nebenbei). Wie in Deutschland herrschte in Italien feudalistische Kleinstaaterei (von der Grösse heutiger Städte), mit einzelnen Republiken dazwischen. Diese Zwergstaaten standen in produktiver von Ehrgeiz und Machtdurst getriebener Konkurrenz zueinander. Diese führten zu den künstlerische Hinterlassenschaften, heute “soft power” genannt, an denen wir uns noch in unserer Gegenwart laben. Ein besonderer Genuss für mich in dieser DLF-Langen-Nacht waren die musikalischen Einspielungen. Aus der Renaissance könnte die real existierende kapitalistische Musikindustrie gerne eine Modewelle recyclen. Mich würden sie damit kriegen.
Die 90%-Mehrheit der damaligen in Italien lebenden Völker hatte so miese Lebensverhältnisse, wie sie heute aus Failed States wie Somalia, Libyen und Syrien bekannt sind. Marodierende Terroristenbanden und Söldnermilizen, Hungersnöte, Epidemien, Kindersterblichkeit, das ganze Programm. Hat nur keine*r aufgeschrieben. A propos: das Buch, ein unheimliches, gefährliches neues Medium, das imstande ist, Menschen in den Wahnsinn zu treiben, weil sie zu viel über die Welt erfahren, das begann damals sein Unwesen zu treiben.
Entwickelter als in Europa ging es in Asien zu, in Arabien und in Ostasien. Nach einer wenige Jahrhunderte kurzen Phase des europäischen Imperialismus kehrt Ostasien nun an die Spitze der Weltmächte zurück, mit schwindelig machender Geschwindigkeit. Die FAZ-China-Korrespondentin Friederike Böge weist auf ein aufklärerisches Buch zur “Belt and Road Initiative (BRI)” (hierzulande umgangssprachlich “Neue Seidenstrasse”) hin: Jonathan E. Hillman: „The Emperor’s New Road“. China and the Project of the Century.
Dazu passt auch diese bei der FAZ erschienene dpa-Meldung. Sie weist darauf hin, dass eine eigenständige Chinapolitik der EU durch die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten offenbar schon ausgebremst wurde. Versetzen Sie sich mal in die chinesische Führung. Aus deren Perspektive müssen “die Europäer” wieder verrückt geworden sein. Sind das überhaupt noch vertrauenswürdige Geschäftspartner?
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