Die Lage der Rohingya müsste gerade in diesen Tagen ein wichtiges Thema sein, in denen zu Recht oft und viel über den blutigen Militärputsch in Myanmar berichtet wird. Ist sie aber nicht
Ein Ausweis ist eine wunderbare Sache. Wie viele Rechte damit verbunden sind, stellt sich erst heraus, wenn jemandem oder gar einer ganzen Bevölkerungsgruppe das Dokument vorenthalten oder entzogen wird. Wie zum Beispiel den Rohingya.

Rohingya? Ich vermute, dass den meisten von Ihnen der Name etwas sagt – und Sie spontan dennoch nicht wissen, wo sie ihn unterbringen sollen. Das ist aufschlussreich. Denn eigentlich müsste die Lage der Rohingya gerade in diesen Tagen ein wichtiges Thema sein, in denen zu Recht oft und viel über den blutigen Militärputsch in Myanmar berichtet wird. Ist sie aber nicht. Was unter anderem daran liegt, dass viele von ihnen – nun ja, eben keinen Ausweis haben.

Die sind den meisten schon 1982 weggenommen worden, infolge eines damals neuen Staatsbürgerschaftsrechts, das Nationalität entlang ethnischer Linien definierte. Bis dahin waren die Rohingya eine muslimische Minderheit im überwiegend buddhistischen Birma, dem späteren Myanmar. Nein, die hätten gar nichts mit Birma zu tun, befand die damalige Militärregierung. Sie seien illegal aus Bangladesch eingewandert. Offiziell gehören sie somit nicht zu den insgesamt 135 einheimischen Bevölkerungsgruppen.

Der Versuch, ethnische oder religiöse Minderheiten auszugrenzen, ist nicht originell. Den gibt es oft, in Bürgerkriegsgebieten und in friedlichen Staaten. In Myanmar waren die Folgen dramatisch. Zwischen 2016 und 2018 führten Massaker, systematische Vergewaltigungen, die Zerstörung von Dörfern und andere Menschenrechtsverletzungen zu einer Massenflucht.

Hunderttausende Rohingya leben heute staatenlos in ausländischen Flüchtlingslagern. UNO-Organisationen bezeichnen das, was ihnen widerfahren ist, als Völkermord – kein Begriff, mit dem die Vereinten Nationen leichtfertig um sich werfen.

Ein Sonderproblem, man kann sich schließlich nicht in jedem Winkel der Welt auskennen? Das ist wahr, einerseits. Andererseits beschreibt genau das die Misere der Rohingya. „Solange Myan­mar von der Welt abgeschottet war, blieb das Problem verborgen“, analysiert Amal de Chickera für die britische Organisation HPN (Humanitarian Practice Network). „Als Myanmar sich öffnete, war das Narrativ ‚Demokratisierung‘ und ‚Transformation‘. Die Realität, in der die Rohingya lebten, war ein ärgerlich widersprüchliches Detail, das beiseitegewischt wurde.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Lage in Myanmar nach dem Militärputsch gehört zu den wenigen außenpolitischen Themen, die sogar in Coronazeiten noch auf Interesse stoßen. Eine aufrechte, tapfere Protestbewegung kämpft für Demokratie und für Aung San Suu Kyi, die entmachtete Friedensnobelpreisträgerin. Hier die Guten – da die Bösen: Das sind Erzählungen, die Öffentlichkeit und Medien lieben.

Die Erzählung ist ja nicht falsch. Aung San Suu Kyi ist eine bemerkenswerte Frau, und die Demonstranten auf den Straßen von Myanmar beweisen großen Mut. Wahr ist aber auch: Die Politikerin hat die Verbrechen an den Rohingya lange geduldet und gelegentlich sogar verteidigt oder geleugnet. Es sei dahingestellt, ob aus Furcht vor den Militärs, aufgrund stillschweigender Übereinstimmung mit ihnen oder aus Angst vor der öffentlichen Meinung, die den Rohingya mehrheitlich nicht wohlwollend gegenübersteht. Auch Demokraten können Minderheiten feindselig gesinnt sein. Leider.

Die Geschichte der Rohingya ist komplex. Im Machtgefüge gab es einst gute Gründe, sie als politische Kraft abzulehnen. Das sollte, das dürfte jedoch keine Rolle mehr spielen. Inzwischen sind sie nämlich Opfer eines Genozids. Für den sich viele nicht interessieren. Aber: War das nicht schon mehrfach so bei Völkermorden – bis sie dann vorbei waren? Doch, durchaus.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.