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Ist demokratischer Zentralismus besser?

Die Regierungsverantwortlichen in Bundestag und Bundesregierung sind mit ihren Ideen am Ende. Während Söder und Schwesig sich nun schon im Alleingang um den russischen Impfstoff Sputnik V bemühen und Jens Spahn auch zumindest laut darüber nachdenkt, geistert durch die CDU/CSU-Fraktion, was man sonst nur von Antiterrorgesetzgebungen kennt: sie wollen mehr Macht beim Bund konzentrieren. Man wolle, so heisst es nun, gesetzlich dem Bund mehr Kompetenzen in der Pandemiebekämpfung geben. Das ist eine Bankrotterklärung aller Exekutiven von Bund und Ländern. Das Infektionsschutzgesetz soll geändert werden und bei Inzidenzen über hundert einen zwingenden Katalog von Maßnahmen bundesweit vorschlagen. Das klingt toll, aber die Rechtsverletzung könnte im Detail stecken.

Mehr Zentralismus = klügere Entscheidungen?

Zunächst ist nichts dagegen zu sagen, dass mit der erneuten parlamentarischen Beratung ein Stückchen mehr Demokratie einzieht, und an Stelle der verfassungsrechtlich fragwürdigen Ministerpräsidentenkonferenzen tritt. Aber was soll eine bundesweite Regelung bitteschön an einer Krise ändern, die regional unterschiedlich auftritt? Wie verhältnismäßig ist es, wenn an meinem Wohnort derzeit eine Inzidenz von 64,2 herrscht, während in Hof 543,4 und in Greiz 478,4 sind? Wie verhältnismäßig ist dann eine nächtliche Ausgangssperre bei mir im Kreis? Ein solches Gesetz wird kaum  verfassungsrechtlichen Bestand haben, weil es gegen die Grundsätze von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit verstößt. Unangemessene Grundrechtseinschränkungen sind nicht hinnehmbar und auch keine Lösung, die Akzeptanz und Vertrauen stärkt. Und diese beiden Güter werden derzeit für die Bundesregierung immer rarer.

Parallelen zur Antiterror-Gesetzgebung

Was nicht erklärt wird, ist die Frage, wieso nun diese Gesetzesänderung zugunsten des Bundes irgendeinen positiven Effekt auf die derzeitige 3. Welle der Pandemie haben soll. Denn selbst wenn die Gesetzgebung im Eilverfahren – eine materielle Begründung dafür gibt es nicht – durchgepeitscht wird, ist auch dies eine Art “Gesetzgebung im Belagerungszustand”, der historisch aus der Gesetzgebung im “Deutschen Herbst” 1977 bekannt ist, und als üble Verletzung von Parlaments- und Bürgerrechten in die Geschichte einging. Auch damals wussten Parlamentarier bis zur Schlußabstimmung nicht recht, worüber sie im Einzelnen abstimmten, und erst Jahre später, zwischen 1980 und 82, wurden die schlimmsten Fehler dieser Gesetzgebung korrigiert. Auch bei der bevorstehenden Änderung sind die Rahmenbedingungen unklar, sollten die Abgeordneten der Regierung und der Opposition genau lesen, was da beschlossen werden soll. Mehr entscheiden werden sie danach nämlich nicht, denn das Paket soll wiederum die Bundesregierung ermächtigen, mit noch mehr Rechtsverordnungen am Parlament vorbei zu handeln. Der Bundesrat muss diesen aber – das mag den allzu forschen Drang des Bundes bremsen – jeweils zustimmen.

Die Zeit drängt – also erstmal nichts tun

Aber die Zeit drängt, schnell zu handeln: aufgrund der explodierenden Zahlen der Pandemie in der 3. Welle nach Ostern wird dieses parlamentarische Verfahren, das unter anderen Umständen eine Funktion erfüllen könnte, als Zeitspiel der Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit in die Geschichte eingehen. Die Virolog*inn*en wie Christian Drosten und Melanie Brinkmann beschwören derzeit die Politik, Maßnahmen zum Lockdown und zur Isolation durchzuführen, um den Infektionszahlen Herr zu werden – und es passiert erstmalig seit Monaten – nichts. Die übliche Ministerpräsidentenkonferenz für den 12.4. wurde von der Bundesregierung abgesagt – Merkels Anspruch auf Handlungsfähigkeit der Bundesregierung  wird damit ins Gegenteil verkehrt. Wenn nun nicht die Länder von sich aus handeln und zügig Lockdowns verhängen, werden wir in zwei Wochen vor der Situation stehen, dass in Intensivstationen die Triage notwendig wird.

Stümpern vor Ort nicht ausgeschlossen

Mag der Bund auch neue Kompetenzen aufbauen – derweil wird auch vor Ort in bisher unvermutetem Ausmaß gestümpert. Im Rhein-Siegkreis etwa, dessen Landrat Schurke (Name zu seinem eigenen Schutz geändert) vor einigen Tagen 200 Impfungen an Kritiker seiner Corona-Politik vergab, um diese mit privilegierten Impfungen zum Schweigen zu bringen, wurde die Impfreihenfolge nach Gutsherrenart geändert, Impfärzte benannt, die zum Teil im Urlaub waren, und die Liste der Ärzte praktisch nur einigen Insidern zugänglich gemacht. Ansonsten macht die Hotline Dienst nach Vorschrift, und der endet auch in der Pandemie Freitags um 15.00. Außerdem stellt dieser Kreis gerade mitten in der Krise seine Software um. Die derzeit gemeldeten Inzidenzzahlen von knapp über 60 seien, so ein Insider, totaler Fake, lägen wahrscheinlich doppelt so hoch. Und auch der angeblich zurückgegangene Anteil der britischen Variante bei den erkannten Infektionen sei ein Trend, der allen aktuellen wissenschaftlichen Erfahrungen bundes- und europaweit zuwiderlaufe. So ein Geschehnis gerade im Rhein-Siegkreis ist völlig unwahrscheinlich. Und der Rhein-Siegkreis ist nicht der einzige, der gerade mitten in der Krise seine Computer und Software umstellt. Berliner Zentralentscheidungen werden daran nichts ändern. Nicht einmal die Kommunalaufsicht ist diesem Treiben bisher in den Arm gefallen.

Corona und der Wahlkampf

Dass die bisherigen Ministerpräsidentenkonferenzen grottenschlechtes Politikhandwerk waren und mit den regelmäßigen Durchstechereien in wachsender Häufigkeit als Profilierungsbühne für CDU/CDU-Kanzlerkandidaten dienten, wurde auf diesem Blog bereits herausgearbeitet. Der Kollege Bannas hat in seinem heutigen Beitrag gezeigt, wie die MPK’s instrumentalisiert und zur Wahlkampfbühne gemacht wurden. Aber warum sollte das nach Änderung des Infektionsschutzgesetzes anders werden? Wird das etwa dem durch unkluge Impfkäufe beschädigten Ruf des Gesundheitsministers Spahn helfen? Soll der ständigen Kakophonie vor allem der CDU/CSU-Ministerpräsidenten, von Laschet bis Söder, von Hans bis Kretschmer, die mitten in der brenzligen Pandemieentwicklung nichts anderes zu tun haben, als immer neue “Öffnungsmodelle” vorzustellen, und zum Teil sogar in Betrieb zu nehmen, dadurch ein Riegel vorgeschoben werden? Oder sollen vielleicht die Grünen, die in den Umfragen derzeit Rekorde brechen und die durch einen umsichtigen und populären Ministerpräsidenten agieren, ein bisschen aus dem Diskurs genommen werden? Alles ist drin.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Dr. Hanspeter Knirsch

    Natürlich wird eine schlechte Politik nicht dadurch besser, dass sie zentral angeordnet wird. Aber die Sehnsucht nach der starken Hand wächst in dem Maße, wie die sichtbare Ratlosigkeit der politischen Akteure zunimmt.
    Präzisierungen im Infektionsschutzgesetz sind deshalb nicht a priori abzulehnen. Gefährlich wird es, wenn die roten Linien des Rechtsstaats über schritten werden. Dazu gehören die horizontale und vertikale Gewaltenteilung.

  2. Gernot G. Herrmann

    Lieber Roland,
    als überzeugter Föderalist teile ich Deine Analyse und erwarte von der Gesetzesnovelle nichts anderes als unbestimmte Rechtsbegriffe.
    Wie man allerding den MP von BW, der Abschiebungen nach Afghanistan veranlasst, Auslänischen Studierenden Studiengebühren aufbrummt und erbrennungsmotoren subventionieren lässt, als umsichtig bezeichnen kann, ist mir ein Rätsel.

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