Klimawissenschaftler*innen mussten es, mit wachsender Verzweiflung, längst zur Kenntnis nehmen. Manche Kapitalismuskritiker*inn*en wollen es dennoch immer noch nicht begreifen. Rechthaben oder gar Rechtbehalten hilft nicht nur nicht; es kann sogar selbstmörderisch wirken. Wer will das? Auf diese Überlegungen brachten mich zwei aktuelle Texte, denen ich gar nicht widersprechen mag: Horand Knaup/bruchstuecke “‘So haben wir das noch nie gesehen!’ DOCH” und Alexander Brentler/Jacobin “So sieht unsere Klimazukunft aus”.
Bei Knaup hat sich das Volk zu sehr verdummen lassen. Bei Brentler ist der Kapitalismus schuld. Richtig ist einerseits beides. Insbesondere bei Brentler schwingt mit, ohne, dass er es so geradeaus ausdrückt, dass Klimarettung ohne Überwindung des Kapitalismus eine Illusion ist. Na dann, gute Nacht allerseits.
Klimawissenschaftler*innen und Klimabewegung haben hinreichend klargemacht, dass die zur Verfügung stehende Zeit verrinnt. Nicht nächste Woche, sondern jetzt. Mehrere klimatische Kipp-Punkte wurden wissenschaftlich identifiziert. Ob der geschwächte “Jetstream” sich jemals wieder erholen kann – niemand kann das mit Sicherheit wissen. Gibt es Alternativen dazu, dennoch alles dafür zu tun, um es zu ermöglichen? Ich glaube nicht.
Über das “Wie?” muss nicht nur politischer Streit erlaubt sein. Er ist sogar unbedingt notwendig. Und zwar voraussetzungslos. Eine hinreichende Kapitalismus-Gegnerschaft kann nicht verlangt und abgewartet werden. Noch nicht einmal eine hinreichende Demokratisierung der zahlreichen Staaten und Länder, die es nicht sind.
Es kann nicht ohne die Mehrheit der arbeitenden und wählenden Menschen gehen; nicht ohne relevante Teile des Grosskapitals; noch nicht einmal ohne Despoten riesiger ökologischer Schlüsselländer, ob sie nun Xi Jinping, Narendra Modi oder Wladimir Putin heissen. Kleinere Despotenfiguren wie Erdogan oder Bolsonaro können und müssen ökonomisch genötigt werden. Das wäre noch die kleinste und bei entsprechendem politischen Willen machbarste Aufgabe.
Das anzugehen muss als Prozess verstanden werden. Ihm wohnen Widersprüche, Debatten, Konflikte inne, die eigene Dynamiken entwickeln können. Das ist nicht programmier- und berechenbar, sondern muss schlicht sofort gewagt werden. Wenn am Ende der Kapitalismus seine Macht aufgeben muss, oder sich weltweit Demokratien ausweiten, wären das schöne Nebeneffekte.
Das mit dem Hauptwiderspruch und den Nebenwidersprüchen müsste Genosse Brentler intellektuell parat haben. Wenn das Klima des Planeten Erde die Gattung Mensch platt macht, macht es den Klassenkampf zum Nebenwiderspruch. Das war schon (und ist!) bei der Frage “(Atom-)Krieg oder Frieden?” so. Was ist daran so schwer zu verstehen?
Selbstverständlich gäbe es klimapolitisch bessere, erfolgversprechendere Koalitionen als eine schwarz-grüne Bundesregierung am Ende dieses Jahres. “Richtiges” wählen kann aber nicht zur Voraussetzung erklärt werden. Egal welche Regierung: sie muss gesellschaftlich zu weit radikalerer und zügigerer Klimapolitik gezwungen werden. Egal wer, sie machen es nicht von alleine, nicht durch die Kraft “guter Argumente”, sondern nur unter Druck. Für den müssen Sie und ich arbeiten, und die andern auch. Es sind die Jungen, die schneller kapieren. Schade, dass sie hierzulande so wenige sind.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net