Alt, weiss und sehr altersweise: Pleitgen und Zander
Die hier zu würdigenden Herren stammen aus der Zeit, als ich mich noch am Westdeutschen Rundfunk gerieben habe. Der Eine, Fritz Pleitgen, war 1995-2007 der Boss, und hat in der Zeit “Modernisierungen” eingeleitet, wegen derer ich als Hörer von dem Sender abgefallen bin; bedeutender für die Nachwelt war sein vorheriges und parallel praktiziertes Leben als neugieriger Journalist.
Der Andere, Hans Conrad Zander, ist in diesem Blog bereits als Gastautor aufgetreten. Ihn habe ich in diesem WDR für mich entdeckt. Er ist mein Lieblings-Schweizer geworden, ein Exilant, geflohen nach Köln. In einem fulminanten Spätwerk hat er gestern die Schillersche Legende von der Entstehung der Schweiz, der mutmasslich grössten Geldwaschanlage der Welt, nach allen Regeln der Erzählkunst auseinandergenommen. Für ebendiesen WDR. Extradienst-Leser Klemens Roloff, ehemaliger Dominikaner wie Zander, weist mich zuverlässig auf Zanders WDR-Veröffentlichungen hin.
Pleitgen
Fritz Pleitgen hat seine Lebenserinnerungen fertig. Im Angesicht seiner Krebserkrankung muss es ihm irgendwann zur Qual geworden sein. Da haben wir, die Öffentlichkeit, noch mal Glück gehabt. Und er natürlich auch. Mit Fritz Pleitgen verbinde ich, ähnlich wie mit den leider längst verstorbenen Günter Gaus (1929-2004) und Peter Bender (1923-2008), die besten Jugenderinnerungen an Spitzenjournalisten. Sie haben, ohne zu fanatischen Missionaren zu mutieren, politisch aussergewöhnlich die Handwerkskunst ihres Berufes geprägt, wie sie heute fast ausgestorben ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den danach dominierenden restaurativen sich gegen das Lernen aus der Geschichte sträubenden Kräfte, nicht wenige Nazis darunter, und nicht wenige auch in den Sendern für die sie arbeiteten, kämpften sie für die beste Friedenspolitik, die Ost- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition (1969-1982) in ihrer Frühzeit unter Kanzler Brandt (bis ’74), die jemals von Deutschland ausgegangen war.
Ohne es als ihren Auftrag zu betrachten, haben solche Männer seinerzeit für die grösste Bundestagswahl dieser Republik gesorgt: die grösste jemals erreichte Wahlbeteiligung, und den grössten Wahlsieg der ältesten deutschen Partei, der SPD. Es war die Blütezeit der alten deutschen Medien: das Fernsehen wurde farbig, die Druckwerke aus Hamburg (Spiegel, Stern, Zeit) erlebten ihre publizistisch stärkste Zeit (auch dort gegen ehemalige Nazis durchzukämpfen), wie die gesamte Republik. Es wurden noch dicke Bretter gebohrt, sehr dicke.
Wilhelm von Sternburg, der Pleitgens Erinnerungen heute in der FR bespricht, war einer, der dabei mitgeholfen hat. In den 70er Jahren arbeitete er zeitweise als leitender Redakteur für die in Essen erscheinende NRZ. Ich erinnere mich noch genau, dass er mir als Diskussionsleiter einer “Kirche und Staat”-Podiumsdiskussion der Essener Jungdemokraten zum ersten und einzigem Mal begegnet war. Er verliess das Ruhrgebiet ungefähr gleichzeitig mit mir, und setzte seine Journalisten-Karriere beim Hessischen Rundfunk fort. Er ragte nie so weit heraus, wie meine o.g. journalistischen “Helden”, hatte aber immer einen anständigen politischen Kompass.
Es ist tragisch, dass all diese Charaktere biologisch zwingend ihre politische Prägekraft verlieren. Da ist viel beim Weitergeben an folgende Generationen versäumt worden.
Zander
Während heute die jungen Menschen zu einer kleinen, klimaradikalen Minderheit geworden sind, wurde die Schweiz durch einen Jugendaufstand delinquenter, talibanähnlicher Jugendbanden gegründet. Mit seinem jüngsten Werk hat Hans Conrad Zander seine eigentliche Bestimmung gefunden: den dummen Deutschen die Sache mit der Schweiz zu erklären. Wie fing alles an? Wie konnte es so weit kommen? Hierzulande dominiert die Legendenerzählung eines Schwaben, Friedrich Schiller, der die Schweiz nie gesehen hat; und selbst das wird aus schulischem Überdruss kaum richtig und kritisch gelesen.
Es war wohl eine Mischung von Clan- und Bandenkriminalität. Die Strassenräuber siegten über die staatlichen Sicherheitskräfte. Im WDR-Teaser-Text zu Zanders, wie immer auch sprechkünstlerisch epochemachenden, Beitrag heisst es: “So kam es zu den blutigsten Schlachten des hohen Mittelalters. Dass es einem reaktionären Bauernhaufen gelang, die glänzendsten Ritterheere des Reiches vernichtend zu schlagen, lag daran, dass sie einem überlegenen Feind ähnlich zusetzten wie heute die Taliban. Im Kampf um den Gotthard waren diese Bergbauern des 14. Jahrhunderts die eigentlichen Erfinder der ‘asymmetrischen Kriegsführung’.”
Wenn Sie lernen wollen, was Radio-Erzählkunst ist, etwas was ebenfalls mehr und mehr auszusterben droht, hören Sie Zander.
Mensch sei Dank! Habe Zander eben gehört… das war kein Zeitzeichen, das war ein Hörspiel! 😉