Plus eine Mediathekperle, passend zur Wahl
38% aller Wahlberechtigten sind über 60 Jahre alt. Ihr Anteil an den tatsächlich Wählenden dürfte die 40% weit übersteigen, denn sie gehen weit disziplinierter/pflichtbewusster hin als die Jungen unter 30, die, selbst wenn sie alle teilnehmen würden, unter 15% ausmachen. D.h. die Kanzler*innenmacher*innen sind wir Rentner*innen, und zwar vor allem die Rentnerinnen. Die Mädels leben länger als die Männer, stellen also unter den Alten eine überproportionale Mehrheit. Was-mit-Medien-Leute verstehen das nicht. Sie sind weit jünger und agieren selbstreferentiell. Von dem Draussen wissen sie wenig, keine Zeit.
38% – eine Partei, die das schaffen würde, würde sich selbst als Wahlsiegerin bejubeln. Die CDU/CSU hatte 2017 noch 32,9; 38% schaffte die CSU in Bayern noch. 1/38 umfassen die Wahl-O-Mat-Fragen zur Rentenpolitik. Selbst schlechte Kopfrechner*innen werden begreifen: da ist irgendwas verrutscht. Die eine Rentenfrage ist die, ob alle Berufsgruppen in die Rentenversicherung einzahlen sollen. Wer, ausser der betroffenen vermögenden Minderheit, würde das nicht mit Ja beantworten? Antwort: die in den letzten Jahrzehnten regierenden Parteien in Deutschland haben es – praktisch – alle nicht mit Ja beantwortet.
Während der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung sich – durchaus legitim – an den Wahlprogrammen orientiert, programmierte der DeinWal entlang des Abstimmungsverhaltens im Bundestag. Weitere Angebote hier bei Stefan Fries/DLF, mit Dank für die Übersicht.
Diese Onlineangebote entheben niemanden der eigenen Entscheidung. Sie sind ein Spiel. Ich spiele sie wie beim Flippern. Wenn die “Kugel” (= Frage) kommt, klicke ich sofort. Denn ich will das Ergebnis nicht durch langwierige taktische Erwägungen “verfälschen”, wünsche lieber ein “ehrliches” Ergebnis. Das ist selbstverständlich rational betrachtet Quatsch. Denn die Manipulation beginnt ja schon vor dem Spiel, bei der Programmierung.
Das “Wahl-O-Mat”-Spiel ergab zu meiner Beruhigung bei Einbeziehung der Option “alle Parteien” einen souveränen letzten Platz für die AfD. Vorletzte FDP, Drittletzte CDU/CSU. Meine Grünen landeten nur auf Platz 8 (83,6%), die SPD auf Platz 18. Das verbesserte sich geringfügig, wenn ich meine “Gewichtung” der Einzelfragen wegliess.
Anders bei DeinWal. Hier gewinnen bei mir Die Grünen klar vor den Linken, die SPD fällt weit zurück, sogar knapp hinter die FDP, vorletzte CDU/CSU, letzte AfD. Beim Abstimmungsverhalten rächte sich die Koalitionsdisziplin an der SPD. DeinWal enthielt ausserdem zahlreichere Öko-Fragen als der Wahl-O-Mat.
Spielen Sie ruhig mehrfach so impulsiv wie ich. Dann bekommen Sie wahrscheinlich täglich andere Ergebnisse. Wählen müssen Sie dann trotzdem selber. Ich tat es weise bereits vor der Wahl-O-Mat-Freischaltung im Wahlbüro im Beueler Rathaus. Immerhin, ungewöhnlich für eine Bundeseinrichtung: der Wahl-O-Mat-Server brach nicht zusammen. Die Digitalisierung schleicht voran!
Zurück zur Rente
Die ist keine Nebenfrage. Die Texte von Extradienst-Gastautor Matthias W. Birkwald wurden und werden viel gelesen. Dass die Kapital- und Versicherungslobby auf die “Rente ab 70” orientiert, ist noch weit sicherer als ein Bundeskanzler Scholz. Mir scheint, dass sie sich den schon wünschen. Hat nicht die rot-grüne Bundesregierung die grössten sozialen Einschnitte durchgesetzt? War es nicht Franz Müntefering, Wahlsiegermacher 1998, und heute morgen schon wieder im Radio, der die “Rente ab 67” durchgesetzt hat? Die Antwort der Rentner*innen: immer mehr gehen bereits mit 63 rein, so wie ich. Auch wer weniger als 45 Jahre, aber mehr als 35 eingezahlt hat, kann das verlustfrei: durch eine einmalige Einzahlung, die rentabler ist, als alles, was der Kapitalmarkt Kleinsparer*inne*n anbietet.
Hier gilt es für alle, die es betrifft, zügig zu handeln. Denn die nächsten Angriffe auf die Rente sind vermutlich unter keinem wahrscheinlicher, als einem sozialdemokratischen Bundeskanzler.
Und die Mediathekperle
Dem Ultimatum meines “kleinen Bruders” komme ich gerne nach. Gestern nacht hätte ich konditionell bis zum Schluss durchgehalten. Es fesselte und hielt wach. Doch wegen zahlreicher persönlicher Verpflichtungen, angenehmen, konnte ich heute nicht so lange schlafen. Ich habe mir also die letzte Folge als Thrill aufbewahrt.
Ich meine “Guilt”, einen Vierteiler von BBC Scotland, den ARTE gestern Abend absendete, Mediathek bis 1. Oktober. Die Story nimmt mit jeder Folge neue Umdrehungen auf. Wenn Sie versuchen, eine Sympathie-Figur zu finden, müssen sie wenig später feststellen, wie total Sie sich in der Figur geirrt haben. Ganz wie im richtigen Leben, mit Kanzlerkandidat*inn*en. Zufällig kenne ich ausgerechnet den gegenwärtigen Favoriten von den Dreien persönlich am besten. Es ist so wie in “Guilt”!

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net