Die Linke wurde öffentlich bemerkt
Da fiel ich fast vom Sofa. Die sich anmassend “Die Linke” nennende Partei kam in der Tagesschau vor, und zwar schon an zweiter Stelle, vor irgendeiner anderen Partei. Unterwanderungs-Erfolg der “Roten Socken” in Hamburg? Nein, es ist bescheidener. Das geht schon damit los, dass aus den eigenen Reihen gegen einen “Putschversuch” gestänkert wird. Ja, dass “Die Linke” mit ihrem “Sofortprogramm” in etablierten Medien zur Kenntnis genommen wird, das geht wirklich ein bisschen weit. Oder was meinen Sie?
Es gibt auch abgewogene Analysen. Uli Hauck/ARD-Hauptstadtstudio legte bei tagesschau.de eine Analyse nach. Und Extradienst-Leser Johannes Kuhn lieferte bei der konkurrenzlos gründlichen “Hintergrund”-Reihe des DLF eine informative recherchierte Story ab.
Jede*r, die*der es wissen will, kann gegenwärtig klar sehen, dass die Gesamtkonstellation wie ein schöner Traum von Olaf Scholz aussieht. Er hätte (nach gegenwärtigem Umfragenstand) die meisten Koalitionsoptionen zur Wahl: Rot-Grün-Rot, Ampel (SPD-Grüne-FDP) oder “Deutschland” (SPD-CDU-FDP). Eine Sensation des Wahlabends wäre es, wenn es sogar an Bundestagsmandaten für Rot-Grün reichen würde. Nichts ist unmöglich.
Die Grünen finden sich in einer Situation, in der sie überall schon eingepreist sind.
Die CDU ist durch die Isolation der AfD entwaffnet. Ausser Jamaika (CDU-Grüne-FDP) ist da nichts.
Die FDP schweigt als stille Geniesserin, denn sie hat fast ähnlich viele Optionen wie Scholz, und will die Preise nicht verderben.
Die Linke ist über jede Erwähnung froh, und kann sich bei Laschet und Merkel herzlich bedanken.
Der Kanzlerkandidat der CDU sprach gestern davon “wenn nicht mehr die Union da ist”, ein seltsamer Gedanke für einen Mann mit seiner Aufgabe. Die mühselig mit ihm sympathisierende FAZ schreibt: “Jamaika oder Ampel oder Rot-Grün-Rot? Die Kanzlerkandidaten müssen Farbe bekennen. Sonst droht ihnen der Vorwurf der Wählertäuschung.” Die halten Olaf Scholz für dööfer als er ist. Die Verzweiflung scheint grenzenlos zu sein. An gleicher Stelle heisst es: “Union rutscht unter 20-Prozent-Marke” (sarichdoch) und “CDU-Wahlkampf – Es brodelt an der Basis. Die Stimmung an der CDU-Basis wird immer schlechter, selbst bei Laschets Unterstützern. Plakate mit seinem Konterfei werden oft nicht einmal aufgehängt, Flyer nicht verteilt.” (sicherheitshalber eingemauert).
Schade eigentlich, dass SPD, Grüne und Linke, und hier insbesondere die politikfähigen Linken innerhalb dieser Parteien, auf diese historische Chance so scheisse vorbereitet sind. Früher, als es in den Parteien noch Menschen gab, die zu strategischem Denken fähig waren, gab es (selbst ohne Internet und asoziale Medien) kommunikative Strukturen, die Orientierungen für diverse Koalitionsoptionen nicht nur vorgedacht, sondern auch besprochen haben. Es lag an den Personen, die das tun mussten. Sie taten es. Weil sie es konnten. Jetzt ist es denen in Berlin auch eingefallen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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