Es gibt sie noch, die furchtbaren Juristen, die es möglich machten, dass sich Nationalsozialisten unter der juristischen Robe den Anschein von Recht geben konnten, der im “Volksgerichtshof” Roland Freislers eskalierte. Sein Wegbereiter war Carl Schmitt, Verfassungsrechtler der furchtbaren Art, der Völkermord, Rassegesetze und Kriegsverbrechen rechtfertigte, wenn sie nur formal rechtmäßig beschlossen wurden. Von dieser Sorte furchtbarer Juristen scheint es wieder welche zu geben, sie sitzen im Verwaltungsgericht Chemnitz, jener Stadt, in der am 26.8.2018 am hellichten Tag Menschenjagden durch Rechtsextremisten stattgefunden haben. Sie urteilten gestern am Verwaltungsgericht, dass die Mordaufrufe der Neonazis hängen bleiben dürfen, wenn sie sich nur 100 m von Grünen Wahlplakaten entfernt befinden. Sie machen sich damit eine ganz primitive Finte der Neonazis zu eigen – doch wie dumm können sich Juristen ernsthaft stellen?
Beim Plakat des “Dritten Weg” handelt es sich nach vernünftiger Verkehrsauffassung eindeutig um einen Mordaufruf. Die Spielchen um Großschreibung “Hängt die Grünen” und der winzigen Schrift, in der man so tut, als ginge es nur darum, die eigenen Plakate aufzuhängen, ist lächerlich. – eben eine der üblichen Finten der Rechtsextremisten des 3. Weg.
Geschichtslose Idioten unter der Robe?
Dass diese Plakate überhaupt noch hängen, verdanken die Neonazis zunächst der Begründung der Zwickauer Staatsanwaltschaft: Man wisse ja nicht, ob die Aufforderung auf Wähler der Grünen bezogen seien oder auf Politiker. Der erste Skandal der eigenwilligen Auslegung des Rechts, nach der sich angeblich Politiker*innen mehr gefallen lassen müssen, als einfache Bürgerinnen und Bürger. Mit dieser Argumentation wurde Renate Künast abgespeist, als sie sich gegen brutale, sexistische und beleidigende Angriffe gerichtlich zu Wehr setzte. Haben diese Juristen vielleicht nicht mitbekommen, dass 2018 der CDU-Politiker Walter Lübcke von Neonazis ermordet wurde, dass 2015 die Kölner OB Henriette Reker von einem rechtsextremistischen Täter lebensgefährlich verletzt wurde, dass auch Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena 2017 nur knapp einen Mordanschlag überlebte? Wes Geistes Kind müssen Juristen sein, die offensichtlich nicht wissen, dass genau diese Einstellung in der Weimarer Republik die Morde an Kurt Eisner, bayerischer Ministerpräsident (1918), Finanzminister Matthias Erzberger (1921) Außenminister Walter Rathenau (1922) und Anschläge auf Phillip Scheidemann (1922), sowie die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch rechtsextremistische Freikorps erst ermöglichten und verharmlosten? 354 Morde wurden in Weimar von Rechtsextremisten begangen, 22 von Linksextremisten. Geistige Brandstiftung von rechts hat eine blutige Tradition.
Im Verfassungsschutzbericht nachzulesen
Eine der gefährlichsten und gewaltbereiten Neonazi-Parteien der Gegenwart, der sogenannte “Dritte Weg” plakatiert seit Wochen “Hängt die Grünen” und schreibt dann kleingedruckt darunter: “Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt.” Die Parteifarbe ist olivgrün, der “dritte Weg” ist bekannt für derartige Aufrufe zum Lynchmord. Im Europawahlkampf 2019 hängte die NPD-Abspaltung Plakate mit “Reserviert für Volksverräter” auf. Im Verfassungsschutzbericht NRW 2019 heisst es dazu: “Es ist bewusst zweideutig, ob damit gemeint war, die politischen Gegner an Laternen und Bäumen aufzuhängen, an denen die Plakate befestigt waren, oder die politischen Gegner nur zu inhaftieren, weil im Hintergrund des Plakates einige Gitterstäbe abgebildet waren. Unstreitig ist, dass es der Partei dabei um die Einschüchterung des politischen Gegners geht.” Das Gericht kann sich also nicht auf Unwissenheit berufen, was die rechtsextreme Gefahr angeht und insbesondere seine offensichtliche Ignoranz des Aspekts der politischen Einschüchterung lässt bezüglich der Rechtsstaatlichkeit im Jahre 2021 tief blicken.
Auf den rechten Auge blind
Die deutsche Geschichte und insbesondere die des dritten Reichs ist eine Geschichte furchtbarer Juristen. Nicht nur Carl Schmitt, der die Rassegesetze der Nazis für rechtmäßig erklärte und tausende von nazionalsozialistischen Winkeladvokaten, die rein formales Recht zur materiellen Durchsetzung von Unrecht, Menschenrechtsverletzung und Barbarei mißbrauchten, haben dem Recht Schaden zugefügt. In der Rechtspflege der Bundesrepublik Deutschland wurde die Lehre gezogen und in der Juristerei der Blick auf die materielle Auslegung des Rechts gelegt – auch wenn mancher Jurist der Nazis im Apparat tätig war, wie der ehemalige Marinerichter Hans Filbinger, der baden-württembergischer Ministerpräsident werden konnte, obwohl er zwischen 1943 und 1945 noch in den letzten Tagen der Nazi-Diktatur, vier Todesurteile gefällt hatte. Wer angesichts der zynischen Doppelzüngigkeit von Plakaten des “Dritten Weges” zur naiven Schlussfolgerung kommt, hier sei ja unklar, was gemeint wäre, ob es sich nicht doch um eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschützte Meinungsäußerung einer Partei handeln könne, muss entweder auf dem rechten Auge blind und von außerordentlicher intellektueller Unauffälligkeit geprägt sein oder geschwisterlich im Geiste der Neonazis urteilen. Beides ist wohl in Chemnitz nicht auszuschließen.
Keine Provinzposse
Nun will die Stadt Zwickau dieses Urteil nicht weiter hinnehmen – dies ist ein gutes Zeichen und macht Hoffnung, dass der Osten Deutschlands noch nicht vollständig in braunem Sumpf zu versinken droht. Auch die Grünen, die angekündigt haben, so viele Plakate aufhängen zu wollen, dass die Neonazis keinen 100m-Abstand finden werden, um ihren infamen Mordaufruf umzuhängen, machen Mut. Wie dem auch sei, handelt es sich bei diesen Vorkommnissen um das Skandalurteil, ein Symptom des Verfalls politischer Kultur seit 2015, wie einer besonderen Form der formaljuristischen Denkweise, die die materiellen Folgen und Konsequenzen des Chemnitzer Richterspruchs völlig ausblendet und sich damit nahtlos in die Urteilspraxis furchtbarer Juristen aus der Zeit des Nationalsozialismus einreiht. Bei aller Achtung vor richterlicher Unabhängigkeit gehört die Urteilspraxis dieser Kammer ebenso untersucht, wie die Mechanismen und Gremien, die in diesem Bundesland Richterinnen und Richter auswählen und ernennen. Das Urteil aber darf so nicht stehenbleiben und deshalb ist es richtig, dass die Stadt Zwickau angekündigt hat, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Es wäre falsch die Affäre als Provinzposse abzutun – es geht hier im Kern um die Funktion des demokratischen Rechtsstaats in den neuen Bundesländern.
Wie Richter unseren Rechtsstaat zugrunde richten
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