von Adalbert Krims
Normalerweise sollte ich ja jetzt als Österreicher „stolz“ sein, wenn ein Deutscher uns so als „Vorbild“ anpreist. Leider sieht die Realität ein bisschen anders aus als die geschönte Version des Herrn Storz
Im möchte jetzt nicht im Detail auf die einzelnen Punkte eingehen. Aber ganz kurz: das „burgenländische Pflegemodell“ hat auch seine Schattenseiten – vor allem frauenpolitisch. Denn die Pflege zu Hause wird hauptsächlich von Frauen wahrgenommen, die nach dem burgenländischen Modell nun zwar eine Anstellung (mit Sozialversicherung) bekommen, aber je nach Pflegestufe nur eine Teilzeitbeschäftigung, wobei außerdem sämtliche anderen sozialrechtlichen Ansprüche oder Einkünfte gegengerechnet werden. Außerdem: Wenn Frauen in dieses Modell einsteigen und ihren Job aufgeben, stehen sie beim Tod des Pflegefalls ohne Job da! Entgegen den Angaben des Autors hat die SPÖ dieses Modell NICHT bundesweit übernommen – und auch die beiden anderen sozialdemokratisch regierten Länder (Wien und Kärnten) haben es bisher nicht übernommen.
Was die Rente betrifft, so ist sie in Österreich tatsächlich höher als in Deutschland. Aber nicht wegen einer sozialpolitischen „Innovation“, sondern aufgrund lange zurückliegender gesetzlicher Regelungen, die allerdings zunehmend unter Druck kommen. Übrigens haben Beamte und Selbstständige sowie Bauern ihre eigenen Rentenversicherungsanstalten mit unterschiedlich hohen staatlichen Zuschüssen. Es gibt also nicht „die staatliche Rentenkasse“. Auch die größte Rentenversicherung, die Pensionsversicherungsanstalt (bis vor knapp 20 Jahren noch nach Arbeitern und Angestellten getrennt), ist ebenfalls nicht „staatlich“, sondern in Selbstverwaltung der Sozialpartner, wobei die ÖVP-FPÖ-Regierung die Zusammensetzung der Entscheidungsgremien zugunsten der Arbeitgeber verändert haben.
Auch bezüglich Krankenversicherung stimmt es nicht, dass wir die „Allgemeine Bürgerversicherung“ haben. Es gibt zwar eine Pflichtversicherung, aber Beamte, Selbstständige etc. haben ihre eigenen Versicherungsanstalten mit unterschiedlich hohen Beiträgen und unterschiedlichen Leistungen. Allerdings kann man sich die Versicherung nicht „aussuchen“, sondern ist durch den beruflichen Status bei der zuständigen Versicherung pflichtversichert.
Am ehesten stimmen noch die Angaben über den Sozialen Wohnbau in Wien, wobei das eben nur für Wien und nicht für ganz Österreich gilt. Aber auch hier gibt es von konservativer und rechter Seite ständige Angriffe – und vor allem die Forderung nach Privatisierung von Gemeindewohnungen (durch ein Kaufrecht der Mieter). Bisher ist es der SPÖ im großen und ganzen gelungen, den Wiener sozialen Wohnbau weitgehend gegen solche Angriffe zu verteidigen. Allerdings sind auch in Wien die Mieten inzwischen von „leistbar“ weit entfernt, wobei es hier durch die Zahlung von Mietbeihilfen einen gewissen Ausgleich für Leute, die sich die Miete nicht leisten können.
Die Kritik von Adalbert Krims erlaubt mir zunächst, auf eine weitere politische Innovation in Österreich einzugehen, die ich in meinem angeblich schönfärberischem Text aus Platzgründen gar nicht erwähnt habe:
Ab diesem Jahren können mit einem Ticket für knapp 1000 Euro alle Busse und Bahnen in sechs der neun Bundesländer benutzt werden; die Stadt Wien selbst hat schon lange ein vorzügliches Nahverkehrssystem mit einem 365 Euro-Jahresticket. Österreich ist also noch innovativer als ich je gedacht habe, kleiner Scherz.
Ansonsten bestätigt Krims den Inhalt meines Textes:
Die Renten in Österreich sind im Durchschnitt gravierend höher als In Deutschland.
In Österreich, vor allem in Wien, ist der Anteil der sozialgebundenen Wohnungen ebenfalls ungleich höher als in Deutschland; wer weiß, dass in Wien knapp 20 Prozent aller Österreicher wohnen, kann sich vorstellen, wie sich die dortige Konzentration des sozialen Wohnungsbaus positiv auf die Wohnungssituation in ganz Österreich auswirkt; davon kann Deutschland nur träumen.
Und die Krankenversicherung ist, ebenfalls im Gegensatz zu Deutschland, für alle Erwerbstätigen, auch für Beamte und Selbstständige, als Pflichtversicherung organisiert.
Nun ist Krims als vermutlich geschulter Grantler in die Tiefen des österreichischen Sozialstaates hinabgestiegen und hat dort noch einige Nachteile gefunden. Ob er recht hat, weiß ich nicht. Das war nicht mein Thema. Diese Details ändern auch nichts an den zentralen Befunden, siehe oben.
Was seine Einlassungen zum neuen Pflegemodell anbetrifft: Das hat selbstverständlich auch Nachteile. Krims sieht jedoch nur die Nachteile. Und mag die großen Vorteile nicht sehen. Ich sehe in der Abwägung mehr Vorteile. Ich denke, wer so analysiert wie Krims, wird nie neue Wege sehen.
Zum Schluß noch ein Korrekturversuch: Ich habe geschrieben, die SPÖ begrüße das Modell und fordere eine Übernahme auf Bundesebene. Ich habe nie geschrieben, was Krims unterstellt, dass sie das Modell übernehme — kann sie gar nicht, da sie im Bund in der Opposition ist. Krims hält mir vor, die Bundesländer Wien und Kärnten hätten das Modell doch gar nicht übernommen, was ich nie geschrieben habe, alles sehr merkwürdig.
Mit anderen Worten: Krims sollte die Texte, die er kritisiert, vorher lesen. Und vielleicht etwas milder und wohlwollender auf die politischen Innovationen seines Landes schauen.
Wer sachlich fundierte Kritik als “Granteln” bezeichnet, mit dem ist es schwer, inhaltlich zu diskutieren. Aber es ist halt eine beliebte Taktik, den Kritiker zu attackieren, wenn man den Inhalt der Kritik nicht widerlegen kann (er schreibt ja selbst, dass er nicht weiß, ob meine Kritik richtig ist).
Übrigens wurde das 1000-Euro-Ticket für 6 der 9 Bundesländer (allerdings entfällt auf die 3 fehlenden Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland der größte Teil des österreichischen Nahverkehrs) von der derzeitigen türkis-grünen Bundesregierung unter Sebastian Kurz eingeführt – und von der oppositionellen SPÖ heftig kritisiert: https://www.spoe.at/2021/08/18/1-2-3-ticket-ist-nur-ein-fleckerlteppich/
Vermittlungsversuch: es ist wohl eine Frage der Perspektive. Von Deutschland aus gesehen sind diese Dinge in Österreich besser geregelt. Von Österreich aus gesehen nicht ausreichend gut. Österreichische Kritik kann uns helfen, es noch besser zu machen … Wenn wir dafür in Deutschland einen entsprechenden politischen Willen herstellen.
Lieber Martin, Bitte keine Vermittlungsversuche. Streit ist doch schön! Aber Du, Martin, triffst natürlich einen zentralen Punkt: Es kommt auf die Perspektive an. Herzliche Grüße nach Österreich und Bonn.
Ich würde sagen: Streit ist ambivalent. Je nachdem 😉