Als geborener Kölner und karnevalsgewohnt habe ich zum “Großen Zapfenstreich” eher das Verhältnis der Kölner zu den “Roten Funken”, den historischen Stadtsoldaten. Die sollen, so geht die Sage aus dem Mund von Kabarettist Jürgen Becker, beim Angriff der Franzosen im 18.Jahrhundert auf der Kölner Stadtmauer gerufen haben “Wie kutt Ihr dann scheeße, sidd Ihr nit, dat he Lück stonn??!” [Wie könnt Ihr denn schießen – seht Ihr nicht, dass hier Leute stehen?]. Wir Kölner machen, wo immer es geht, Militarismus lächerlich. Aber Angela Merkels “Zapfenstreich” zur Ehre ihrer Amtszeit fand ich bemerkenswert – kulturell stellvertretend für ihre Regierungszeit.

16 – in Worten: Sechzehn Jahre Merkel und ein ganz gravierender Unterschied zu Helmut Kohl: Sie geht, ohne weitere Ambitionen, sie gibt das Amt demokratisch in andere Hände, und vielleicht ist es überinterpretiert, aber sie wünschte ihrem “lieben Olaf Scholz” allzeit eine glückliche Hand als Nachfolger – was für ein krasser Unterschied zu ihren Vorgängern Kohl oder Schröder! Haben die außer sich selbst irgendjemandem etwas gewünscht?

Auch ihr kurzes Plädoyer gegen Extremismus im Zusammenhang mit der Pandemie zeigte, dass sie bis zum letzten Tag ihre Verantwortung als oberste Diensteisterin der Republik ernst nimmt. Mit “Freude im Herzen” habe sie immer ihre Aufgabe angegangen, bekennt sie in ihrer kurzen, schlichten, aber auf ihre Art gehaltvollen Rede. Und sie wird sicher weder in Ermittlungen wegen Parteispenden verwickelt werden, noch nach Aufsichtsratsmandaten streben. Wir werden sie in der Uckermark an der Supermarktkasse treffen und vielleicht wird sie, wie sie 2011 mal angekündigt hat, Flüchtlingskindern vorlesen.

Der Dritte von rechts

Wenn der rechte Flügel der CDU es nicht schon jahrelang geahnt hätte: Merkel war die ganze Zeit ein Punk im bürgerlichen Schlafrock. Georg Maaßen lag also mit seiner Vermutung, dass die Kanzlerin in Wirklichkeit ein FDJ-U-Boot von Erich Honecker war, ebenso daneben, wie mit seinem Glauben, er würde in den Bundestag gewählt. Wer sonst wünscht sich Nina Hagens “Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael” – ein Titel, der Arrangement und Spielkunst eines Blasorchesters wie dem der Bundeswehr an die Grenzen des Machbaren führt? Nicht weniger anspruchsvoll Hildegard Knefs “Für mich solls rote Rosen regnen” – Frau Merkel, Sie haben sie verdient, hunderte, obwohl ich Sie nie gewählt hätte und habe.

Und dann war da noch der dritte Soldat von rechts in der Ehrenkompanie – ein schwarzer Deutscher – ganz normal in der Bundeswehr und doch ein Zeichen, dass – erinnern wir uns an die erste Transgender-Kommandeurin – sich in ihrer Regierungszeit etwas ganz grundsätzliches geändert hat, ändern konnte. Weil SIE es erkannt hat, nicht, weil ihre Partei ihr gefolgt wäre. Atomausstieg, Homo-Ehe: bis heute in der Union nicht wirklich angekommen. Ein Trauerspiel der Rückwärtsgewandtheit, was Merz und Co. da gerade aufführen.

Merkel war aktuell – Kramp-Karrenbauer kam zu spät

Sie war der CDU mindestens ein Jahrzehnt voraus. Es ist kein Zufall, dass Angela Merkel mit ihrer engsten politischen Vertrauten außerhalb des Amts diese letzte Veranstaltung ihrer Amtszeit verbrachte: AKK galt lange als die Kronprinzessin, die Wunschnachfolgerin, die es auch in den Parteivorsitz schaffte, dann aber an den verantwortungslosen Machtallüren ostdeutscher CDU-Provinzpolitiker scheiterte, die sie als Westgewächs der CDU nicht erkannt und falsch eingeschätzt hatte.

Auch in der begleitenden Diskussion des ZDF zum Zapfenstreich kam auf, Merkel habe sich nicht um eine “Nachfolge” bemüht. Das ist falsch. Richtig ist, dass die CDU sich nicht von Merkel mitgenommen fühlt. Die Partei, die ein Durchschnittsalter von 60 Jahren der Mitglieder hat, und die AKK nur halbherzig wählte, träumt immer noch vom reichen Nikolaus mit dem großen Sack. Der heisst Friedrich Merz, wird keine Geschenke verteilen, sondern  Vorteile vorspiegeln, Breite der Partei simulieren und an seinem (Riesen-)Ego basteln. AKK passte da nicht rein, deswegen musste sie scheitern.

CDU steigt weiter ab

Die Kandidatenrallye am 1.12. war bescheiden und peinlich. Umwelt, Umwelttechnologie, Frauen, Teilhabe, soziale Gerechtigkeit – alles was die drei Fossile aus dem Jurassic Parc der  CDU zu bieten haben, ist von der Ampelkoalition längst übertroffen und überholt, aufgenommen und wird gelöst. Wie im Fußball – wenn Du die falschen Spieler hast, landest Du schnell in der dritten Liga. Eine Zeitenwende ist längst im Gang. Die Ampelkoalition hat das erkannt und wird das umsetzen.

Eine neue kulturelle Veränderung steht bevor. Die eiern nicht mehr rum mit “drei Modellversuchen für Cannabis-Abgabe” – die haben beschlossen, das wird in staatlich lizenzierten Geschäften legal verkauft – basta. Die schaffen den § 219a StGB einfach ab, weil er ein Anachronismus der Anhänger klerikaler Heuchler wie den Schwurbelkardinälen Rainer Maria Woelki und seinem Kumpel Franz-Peter Tebarz-van Elst ist. Für diese Popen hat sich die CDU stark gemacht. Das wissen die Menschen und es wird länger als vier oder acht Jahre dauern, dass sich die vorgeblich “christlichen” Parteien von diesem moralischen Desaster erholen.

Danke Angela Merkel.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net