Gestern in der dünn besetzten Regionalbahn zur Rushhour auf dem Weg von Beuel nach Ehrenfeld. Draussen winterliche Dunkelheit. Durch die Fenster zu sehen: das zusammenbrechende Köln. Wo immer die Lichter von Fahrzeugen zu sehen waren, fuhren sie nicht, sondern standen. Die ganze Stadt ein einziger grosser Stau. Darüber schwebend die im Fahrradtempo zuckelnde Bahn, die mich in der warmen Gemütlichkeit der Atemschutzmaske zum Ziel schaukelte. Soll das so bleiben? Für mich kein Problem. Aber was passiert mit den Menschen in den Blechkisten im Stau? Werden sie zum Wrack wie ihr Fahrzeug und die deutsche Verkehrsinfrastruktur? Warum setzen sie sich Tag für Tag in diese Kiste und bilden immer aufs Neue diesen Stau?
Die Untersten unter ihnen sind die LKW-Fahrer*innen. Die machen das ja nicht freiwillig, sondern weil sie sich und vielleicht noch eine Familie ernähren wollen. Die einzige Sicherheit, die sie dabei haben, ist, dass sie ihre Gesundheit ruinieren – und über ihre Abgase die ihrer Mitmenschen dazu (1/3 der Verkehrsemissionen). Schon lange dürfen sie nicht mehr über die Leverkusener Brücke, “der BER” des NRW-Ministerpräsidenten, in dessen Amtszeit als Landesverkehrsminister das Desaster fiel. Ein einen Menschen tötende umfallende Lärmschutzwand kam dazu. Und nichts wird besser, im Gegenteil.
Der marodierende Neoliberalismus sorgt überall, wo er die herrschenden Klassen von sich überzeugte, für ein Verfallenlassen öffentlicher/staatlicher Infrastrukturen. Fachpersonal wurde wegrationalisiert. Baumafiosi machten sich einen Frühsport daraus, inkompetente öffentliche Verwaltungen über den Tisch zu ziehen. Neoliberale Politiker*innen liessen sich seit Jahrzehnten beim Eröffnen von Neubauten ablichten. Anschliessend liessen sie sie verfallen. “Instandhaltungsrücklage” kennt der private Häuslebauer, und auch die Bäuerin. Im Neoliberalismus ist das staatlicher Luxus, kann wegfallen. In Genua stürzte eine Autobahnbrücke ein. Im Sauerland nun beinahe. Und die im Sauerland ist kein Einzelfall, sondern kündigt eine Regel, wenn Sie so wollen, eine Brücken-Pandemie an. Allein bei der Deutschen Bahn sind es über 1.000.
Was wird dem Bundesfinanzminister dazu einfallen. Eine schwarze oder gelbe Null sicher nicht. Privatisierung? War das Ding in Genua nicht genau sowas ähnliches?
Dann lieber Langsamfahrstrecke mit der Regionalbahn, mit einem schönen Blick auf das Lichtermeer des Kölner Staus.
Und wenn Sie nun glauben, dass sei schon die Vollkatastophe: ist es nicht. Das eigentliche Gewitter kommt erst noch, ist schon unterwegs.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net