von Susanne Willems
Der im Januar 2021 in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag setzt der EU Grenzen in der Atombewaffnung, weil Österreich Vertragsstaat ist. Die Atomkriegspolitik der NATO einzuschränken, war Aufgabe derjenigen, die die Koalitionsvereinbarung verhandelt haben. Wäre es so abwegig, sich vorzustellen, Christian Lindner und Alexander Graf Lambsdorff hätten sich in Erinnerung an Guido Westerwelle dessen Initiative als Außenminister vor zwölf Jahren zu eigen und den Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland zum Regierungsprogramm gemacht? Die Karten lagen gut für einen Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe: Saskia Esken, Annalena Baerbock, Omid Nouripour und Reinhard Bütikofer hatten wie Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth, Sven Giegold, Anton Hofreiter und Konstantin von Notz zur Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrags erklärt: „Als Abgeordnete geloben wir, auf die Unterzeichnung und die Ratifizierung dieses bahnbrechenden Vertrages durch unsere jeweiligen Staaten hinzuwirken, da wir die Abschaffung von Atomwaffen als hohes, globales öffentliches Gut begreifen und als einen wesentlichen Schritt zur Förderung der Sicherheit und des Wohls aller Völker.“

Was blieb von den persönlichen Bekenntnissen im Koalitionsvertrag übrig?
Was von der ICAN-Parlamentariererklärung spiegelt sich in der Koalitionsvereinbarung für die kommenden vier Jahre: Nicht mehr als eine Zusage, im Licht des Jahrzehnte fortgesetzten Scheiterns jeglicher Abrüstung im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags im März 2022 in Wien teilzunehmen. Gefordert hatten die ICAN-Partner in einem Offenen Brief zu den Koalitionsverhandlungen am 5. Oktober 2021 dies allerdings als ersten Schritt zum Vertragsbeitritt, was hingegen die Koalitionsvereinbarung offen läßt. Dennoch begrüßen mit ICAN mehrere Organisationen der Friedensbewegung die immerhin erklärte Bereitschaft, diesen Beobachterstatus anzunehmen. Einen friedenspolitischen Impuls versprechen sich manche auch von dem Bekenntnis zu einer „feministischen Außenpolitik“. Ginge es dabei nur um führende Positionen von Frauen im derzeitigen System, wäre der Effekt gleich Null oder schlimmer; ginge es um die Bindung aller Außen- und Sicherheitspolitik an die Interessen der Mehrheit der Weltbevölkerung und deren Sorge, ihre Kinder vor Hunger, Unterernährung, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Krieg zu bewahren, hielte das Bekenntnis eine Meßlatte für künftige Regierungspolitik bereit.

Neue Atombomber, bewaffnete Drohnen und Vernichtung von Steuergeldern
Die friedenspolitische Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ hat die Verpflichtung der Koalition zur gesetzlichen Regelung des Rüstungsexports begrüßt und verlangt, Haftung und Schadensersatz bei illegalem Waffenhandel für Verbände und Opfer einklagbar zu machen. Ansonsten verspricht die Koalitionsvereinbarung der Friedensbewegung nichts: Es bleibt bei der deutschen Teilhabe an der NATO-Politik der Drohung mit Atomkrieg, neue Trägerflugzeuge für die in Büchel lagernden US-Atomwaffen werden angeschafft, das atomare Rüsten geht weiter. Drohnen werden bewaffnet, Auslandseinsätze der Bundeswehr werden fortgesetzt, und insgesamt soll die unproduktive Verschwendung von öffentlichen Mitteln für Rüstung auf mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts gesteigert werden. Eine Höchstgrenze im Rahmen von drei Prozent des BIP ist nur der Entwicklungszusammenarbeit mit 0,7% gesetzt, neben derzeit einem Viertel davon für Diplomatie.

Mit neuen Feindbildern weit weg von Entspannungspolitik
Die schärfste Kritik aus der Friedensbewegung erntet die Koalitionsvereinbarung für ihre Feinderklärung gegen Rußland und China, und richtigerweise auch für die gegen Belorus und namentlich dessen gewählten Präsidenten. Weder eine ‚Grenzverwischung‘ zwischen Krieg und Frieden noch die Lüge ‚Krieg ist Frieden‘ kann Deutschland befähigen, die Charta der Vereinten Nationen zu verwirklichen.
Der Ausgangspunkt der Koalitionsvereinbarung im Kapitel VII zu Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt, das die Europapolitik, die Fragen der Integration, Migration und Flucht und die Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik behandelt, ist falsch und befördert Überheblichkeit: als viertstärkste Volkswirtschaft in der Welt und größtes Land in der Europäischen Union soll Deutschland agieren, obgleich das Bruttoinlandsprodukt nur ein Indikator des ungerecht verteilten Zugangs zu den Reichtümern der Erde ist. Will diese Bundesregierung es dabei belassen, bleibt ihr nur die Lebensweise in Deutschland, den Wohlstand, die Freiheit und den Frieden in einem durch Stacheldraht, Mauern und Meere des Todes abgeschotteten Unionseuropa und durch militärische Interventionen in osteuropäischen, asiatischen und afrikanischen Ländern zu verteidigen. Reichtum zu teilen, wäre die friedensstiftendere Alternative.
Die Autorin ist Historikerin und lebt in Berlin. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “Tendenz”, Info der Radikaldemokratischen Stiftung, mit freundlicher Genehmigung durch ihren Vorsitzenden Roland Appel.

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