Kontinuitäten und Brüche in der fotografischen Selbstdarstellung der Bundesrepublik
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Fotografische Weltbilder in Ost und West
Wer die große Sammlung visueller Ikonen des 20. Jahrhunderts in Deutschland betrachtet, die Gerhard Paul seit 2008 herausgegeben hat, wird eine Leerstelle entdecken können: Auch wenn die erste Bildstrecke zur frisch gegründeten Bundesrepublik mit Fotografien aus Bonn aufwartet, so gibt es dort kein Bild, das den Gründungsakt symbolisiert – wie beispielsweise den Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl als Grundlage der DDR. Was zu sehen ist, passt zu Bonn und dem Bild dieser frühen Bundesrepublik, das sich durch die gesamte historische Darstellung aller Medien seit der deutschen Wiedervereinigung gefestigt hat: Da agieren Menschen eher sachlich, fast lustlos; die Verrichtungen sind allesamt erklärungsbedürftig; es ist eine trockene, ikonoklastische Demokratie, die da vermittelt wird. Ob nun Konrad Adenauer mit den Füßen auf demselben Teppich steht wie die Vertreter der drei Besatzungsmächte und damit ein winzig kleines diplomatisches Symbol markiert, ob die Unterzeichner des Grundgesetzes bei ihrer Aufgabe von Politikern oder von Saaldienern umzingelt werden – das sind alles nur Fußnoten der Geschichtsschreibung und auf Bildern marginal in Szene gesetzt. Selbst die nur notdürftig kaschierte Giraffe im Hauptsaal des Museums Koenig, in dem die ersten Sitzungen des Parlamentarischen Rats stattfanden, hat nicht zu ikonischem Status gefunden. So paradox es erscheinen mag: Die DDR ist in fotografischen Monumenten kontinuierlicher aus der Vergangenheit fortgeschritten als die Bundesrepublik, der das Pathos einer Fixierung auf Personenmarken nahezu vollständig abging.
Vergleicht man die Kulissen der staatlichen Inszenierungen auf den frühen Bildern der beiden Länder, so fällt auf, dass die Räume, in denen die DDR gegründet wurde, weiter sind als die, in denen das Entstehen der Bundesrepublik sichtbar wird. Berlin hat offensichtlich noch größere Säle, in denen eine Versammlung so inszeniert werden konnte, dass daraus ein staatsmännisch erscheinendes Bild bezogen wird, während die kleinen Räume der Bonner Politik sich als eng und dunkel erweisen. Dem entspricht zumeist auch die Blickrichtung: Pieck und Grotewohl, später auch Ulbricht lassen sich durchwegs von unten ablichten, während der Blick auf Adenauer und Erhard zumeist von oben fällt, was sie optisch so verkleinert, wie es einem noch nicht selbstbewussten Staat entsprechen mag.
Eine insgesamt noch zu schreibende Historiografie des deutschen Bildjournalismus markiert ein Forschungsdesiderat: Nachdem die Geschichte des deutschen Bildjournalismus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch eine Reihe von Publikationen einigermaßen exakt dargestellt worden ist; nachdem auch einige Publikationen zur Mediengeschichte der jungen Bundesrepublik erschienen sind, in denen die Pressefotografie durchaus eine wichtige Rolle spielt; nachdem schließlich die Fotogeschichte der Nachkriegszeit sowie die Illustration der wichtigsten Zeitschriften als auch die Bildwirtschaft selbst systematisch dargestellt worden sind, mag es ein wenig verwundern, dass es bislang kaum lohnend schien, sich den lokalen Szenen einer Verbildlichung der ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschland wie der DDR zu widmen. Allein Konrad Adenauer ist gelegentliches Thema gewesen, gelegentlich auch die Summe aller Kanzler*innen in verschiedenen Porträt-Sammlungen. Für die Bonner Republik scheint das Vorurteil von der muffigen Kleinstadt mit Treibhaus-Klima, das sich in den Nachkriegsromanen von Wolfgang Koeppen bis Heinrich Böll widerspiegelte, noch immer stärker als das Interesse an einem Thema, das die Identitätsstiftung einer insgesamt erfolgreichen Gesellschaftsstruktur in Bilder fasst.
Wer erwartet hatte, dass die Tradition der kommunistischen Arbeiterfotografie” im ersten deutschen Staat des real existierenden Sozialismus neuen Fuß fassen konnte, der wird sich beim Blick in DDR-Fotozeitschriften zunächst einmal enttäuscht sehen. Zaghafte Versuche einzelner Autor*innen, auf die Tradition der Arbeiterfotografie als bewahrenswerter Kontinuität hinzuweisen, legten eine Strukturschwäche in der Arbeiterfotografie der 1920er Jahre bloß, deren Fehlen formaler Eigenständigkeit. Wie Bilder der Arbeiterfotografie auszusehen hatten, konnte niemand beschreiben. So musste nach dem Zweiten Weltkrieg die Abgrenzung zu bundesrepublikanischen Vorgängen über politische Distanzierungen ablaufen, die selbst wenig mit Fotografie zu tun hatten. Es soll dabei aber nicht übersehen werden, dass eine bundesdeutsche Rezeptionsverweigerung von DDR-Bildleistungen in dieser Zeit einige wichtige Dokumentaristen der Nachkriegszeit übersah, etwa Richard Peter jun., Eugen Heilig oder Karl-Heinz Mai.
„Die ‚Neue Berliner Illustrierte’ […] wurde nach ihrer Gründung jahrelang von Lily Becher als Chefredakteurin geleitet. Vor 1933 war sie Redakteurin und Chefredakteurin der ‚Arbeiter Illustrierten Zeitung’ […]. Erfahrungen des Illustrierten-Machens aus den zwanziger und dreißiger Jahren, Erfahrungen aus der Arbeiterfotografie flossen ein, wurden weiterentwickelt bis zu einem gewissen Grade […]“ Aus diesen Worten Ulrich Burcherts, die er 1981 in einer Schweizer Fotozeitschrift äußerte, lässt sich eine gewisse Verhaltenheit gegenüber einem Geschichtsbild herauslesen, das offizielle Grundlage der DDR-Fotohistoriografie war: Das sozialistische Menschenbild, die journalistische Basis aller fotografischen Kunst in der DDR stammt aus der Tradition der Arbeiterfotografie. Wo aber diese Tradition in diversen Schriften noch materialistisch, d.h. nach einer systematisierten Epistemologie historischen Denkens, begründet wurde, setzt Burchert die personale Kontinuität als Tatbestand dagegen, insbesondere in seiner Dissertation aus dem Jahr 2005. Dem entspricht ein kleiner Blick auf Publikationen über die Frühgeschichte der DDR-Fotografie.
Hier fallen Namen, die wenigstens am Rande dessen genannt wurden, was in den 1920er und frühen 1930er Jahren unter Arbeiterfotografie rubriziert wurde: Die drei Dresdner Fotografen Richard Petersen, Willi Roßner und Erich Höhne gehörten zu den ersten Bildjournalisten, die von der sowjetischen Besatzungsmacht Pressezulassungen und Materialzuteilungen für ihre Bilder erhielten. Eugen Heilig, Abraham Pisarek und Herbert Hensky starteten ihre Nachkriegskarrieren ebenfalls unter dem Signum einzelner Gruppen im Umfeld der Arbeiterfotografie. Für andere war die Arbeiterfotografie einfach Bestandteil der kommunistischen Vergangenheit, und damit waren sie im Bereich der sowjetischen Besatzungszone verwaltungstechnisch verwendungsfähig. Lilly Becher und Edwin Hoernle, ehemals Redakteure von AIZ und ‚Der Arbeiterfotograf’, übernahmen wichtige Aufgaben in Partei und Staatsgründung. Walter Ballhause und Kurt Beck wurden sehr schnell als Bürgermeister eingesetzt, weil sie als alte Kommunisten Garanten einer entsprechenden Verwaltungsstruktur waren. Erich Rinka und Ernst Thormann kamen auf diversen Umwegen in die Medienlandschaft der DDR hinein und besetzten bis in die 1970er Jahre hinein wichtige Posten der staatlichen Informationsindustrie. Die Liste lässt sich durchaus verlängern, aber sie zeigt im Prinzip nur dasselbe, was ähnliche Kontinuitäten in allen Nachkriegsstaaten betrifft: Wer unbelastet und mit irgendwie brauchbaren Fertigkeiten oder Fähigkeiten ausgestattet ist, kann in dieser Situation Karriere machen.
Doch selbst bei den Fotografen, die als ehemalige Arbeiterkorrespondenten in journalistische Berufe hinein migriert waren, hat sich dies in ihren Bildern kaum widergespiegelt. Es sind gute, ja eindrucksvolle Pressefotografien, die die neuen Journalisten für die beginnende DDR produzieren, nicht weniger, aber auch nicht mehr; was sie darstellen, sind die typischen Ereignisse eines sozialistischen Neuaufbaus, von politischem Händedruck über die Mai-Demonstration bis zu Bauarbeiten auf neuen und großen Straßen. Und: Zur Ausbildung junger Bildjournalisten mangelte es an Handbüchern wie technischen Leitfäden, also musste auf Standardwerke der bürgerlichen Presse zurückgegriffen werden, sogar auf die Arbeiten des NS-Propagandisten Willy Stiewe. Ein wichtiger Grund des Scheiterns früherer Arbeiterfotografie-Ideologien in der DDR ist ein praktischer: Wenn die alten Amateure gut waren, nahmen sie den neuen Werks- und Industriefotografen die Arbeit weg.
Für die Firmenleitung mochte es praktisch sein, anstehende Abbildungsaufgaben „mal eben“ durch Angehörige der Betriebsfotozirkel ausführen zu lassen, für die Mitglieder dieser Zirkel war es aber ein klarer Verstoss gegen die selbst auferlegten Statuten einer Amateur-Vereinigung. Immerhin war die Zentrale Kommission Fotografie im Kulturbund der DDR vom Zeitpunkt ihrer Gründung an Mitglied der Fédération Internationale de l’Art Photographique (FIAP), die wie Sportverbände genauestens darüber wachte, dass ihre Mitglieder Amateur-Status besaßen und behielten. Die Debatte über die Professionalisierung der Fotografie durch die Übernahme werblicher oder wenigstens dokumentarischer Aufgaben war von einem ideologischen Dilemma unterlegt, das die ganze Rezeption der Arbeiterfotografie im ersten Jahrzehnt der DDR prägte: Da die sozialistischen Betriebe ihre Arbeiter nicht ausbeuteten, konnte es keinen Anlass für eine Arbeiterfotografie alter Prägung geben, die eben diese Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalismus zeigen sollte.
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Quelle: René Möhrle (Hg.), Umbrüche und Kontinuitäten in der deutschen Presse. Fallstudien zu Medienakteuren von 1945 bis heute, Gutenberg : Computus Druck Satz Verlag 2020, S.57-68, hier S.61-63.
Das Buch haben wir vor einem Jahr hier rezensiert.
Autor Rolf Sachsse war bis 2017 Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und lebt in Bonn.
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