Kontinuitäten und Brüche in der fotografischen Selbstdarstellung der Bundesrepublik

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Zwei etablierte Systeme von Kontinuität und Erneuerung

Die in den vorherigen Texten beschriebenen Kontinuitäts-Aspekte betrafen in erster Linie Vorgänge am Ende der 1940er und am Anfang bis zur Mitte der 1950er Jahre. Viele Entwicklungen der späteren 1950er bis in die 1960er Jahre hinein sind anderen Dynamiken gefolgt. Erst danach gab es – gerade aus dem Journalismus heraus – entscheidende Impulse zur theoretischen Reflexion eines eigenständigen, deutschen Bildjournalismus. Kaum waren diese Reflexionen – etwa durch die Arbeit von Karl Pawek oder Bertold Beiler – in der ästhetischen Theorie beider Länder anerkannt, setzten Prozesse der Internationalisierung und Mediatisierung der Fotografie ein.
Wo immer über die frühen Medien der Bundesrepublik geschrieben wird, findet eine Lokalisierung in Hannover, Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main statt – Bonn kommt als Medienstandort bis weit in die 1950er Jahre hinein nicht vor. Zwar tagte die High Commission der drei westlichen Besatzungsmächte auf dem Petersberg bei Bonn, doch war dadurch noch nicht unbedingt ein Hinweis auf Bonn als Regierungssitz gegeben; und die Bilder der dortigen Veranstaltungen waren ohnehin den Bildjournalisten dieser Mächte wie auch ihren Militärfotografen vorbehalten. Mit der Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt änderte sich – erst einmal gar nichts. Zu vorläufig erschienen diese Entscheidungen, zu offen war das Schicksal der gesamten Republik, allein Berlin war als Medienstandort nach der sowjetischen Blockade ausgeschieden. Die großen Redaktionen konzentrierten sich auf Hamburg und München, die Bildagenturen blieben – weil die amerikanische Agentur Associated Press (AP) dies so vormachte – in Frankfurt am Main; und wer Bilder von Bonner Politikern machen wollte (Frauen war fast keine mehr übrig geblieben), der fuhr eben in die Stadt und verschwand so schnell wie möglich wieder aus ihr weg, zumal es sehr lange dauerte, bis die umfassenden Kriegszerstörungen behoben waren. Ausländische Bildjournalisten waren so gut wie nicht dabei; noch war die Bundesrepublik kein etabliertes Mitglied der Staatengemeinschaft.

Schon mit dem Parlamentarischen Rat hatte sich eine Pressestelle in Bonn etabliert, die des US Information Service (USIS); sie wurde ab ihrer Einrichtung im Jahr 1948 von Otto Michael Artus geleitet, der für viele Jahre in Bonn als graue Eminenz der Bildproduktion fungierte. Er koordinierte die Einsätze amerikanischer und britischer Pressefotografen in Bonn und kooperierte mit den meisten Bildagenturen sowie Zeitungen und Zeitschriften. 1949 wurde das Bundespresseamt eingerichtet, das von Anfang an Bildmaterial verschiedener Fotografen aufkaufte; ab 1953 hatte dieses Amt – das unter verschiedenen Namen firmierte – auch eine Bildpressestelle, die mit einem eigenen Fotografen besetzt war. Der USIS und das Bundespresseamt waren sich während der ganzen 1950er Jahre in fördernder Konkurrenz verbunden; während ersterer zunehmend für die Attraktivität Bonns für ausländische Bildjournalisten sorgte, insbesondere auch während der ab 1952 zunehmenden Staatsbesuche, sah sich die zweite Institution als vorausschauendes Archiv, das seine Bestände regelmäßig dem Bundesarchiv weiterreichte. Mit dem Deutschlandvertrag und dem Luxemburger Abkommen des Jahres 1952 bewegte sich die junge Bundesrepublik intensiv auf eine souveräne Etablierung hin, und es war bereits abzusehen, dass Bonn nun doch für längere Zeit als Provisorium die Bundesregierung beherbergen würde. Mindestens die größeren Redaktionen der überregionalen Zeitungen und Zeitschriften richteten nun kleine Büros ein, in denen sich Korrespondenten und auch gelegentlich Fotografen aufhielten. Der wichtigste Bildjournalist, dessen Œuvre mit der Bonner Republik geradezu gleichgesetzt werden kann, war zwar selbst Bonner, machte sich aber erst im Jahre 1952 dort selbständig: Josef Heinrich Darchinger.

Der geradezu schlagartige Übergang zu einer fotografischen Neuzeit in Bonn kann nun doch an einem Bild – d.h. an der überzeichneten Paraphrase einer Fotografie – festgemacht werden, das im Paul’schen Bildwerk zum 20. Jahrhundert verzeichnet ist. Paul Aigners Plakat zur Bundestagswahl des Jahres 1957, das den Kopf Konrad Adenauers mit dem Slogan „Keine Experimente“ vorführt, wird vom Kölner Multimediakünstler Chargesheimer in einer Fotografie nachgearbeitet, die den Kanzler in exakt derselben Pose aus demselben Winkel zeigt wie das Plakat, nur leicht von unten gesehen und in einem dunklen Chiaroscuro, das die Augen zu schwarzen Höhlen werden lässt. Eine Variante des Bildes wird im September 1957 zum Titelbild des Spiegel und dürfte die Lust der Deutschen zur gelegentlich so apostrophierten „Kaiserwahl“ Adenauers eher erhöht denn geschmälert haben. Es ist denn wohl auch der Überraschungserfolg dieser Aufnahme gewesen, die den sonst eher kamerascheuen Kanzler dazu brachte, sich von internationalen Fotografen ablichten zu lassen, die nun in größerer Zahl nach Bonn kamen.

Mit dem Beginn der 1960er Jahre schreitet die Professionalisierung der Visualisierung des Lebens in der Bundesrepublik zügig voran – auf zwei parallelen, aber gelegentlich ineinander verschränkten Wegen. Zum einen wird Bonn zunehmend zum Sitz großer und kleiner Agenturen, von Residenzen der ausländischen Nachrichtenbüros und Korrespondenzen; hier gehört es bald zum guten Ton eines international tätigen Fotoreporters, sich ein oder zwei Jahre in Bonn herumgetrieben zu haben – noch Jahrzehnte später sind die Anekdoten zur miserablen Versorgungssituation der lokalen Gastronomie zentraler Gegenstand der Erinnerungen. Zum anderen wird Otto Steinert als Hochschullehrer in der Folge seines Wechsels von Saarbrücken nach Essen 1959 seine fotografische Kunstlehre vollständig in Richtung einer Ausbildung zum Magazinjournalisten nach Vorbild der US-amerikanischen Zeitschriften Life und der Agentur Magnum ausrichten – und damit endgültig alle Verbindungen zur eigenen Vergangenheit aus dem nationalsozialistischen wie französischen Saarland kappen. In enger Abstimmung mit Rolf Gillhausen, der nach 1960 zum ersten wirklich bedeutenden Bildredakteur des stern wird, erarbeiten Studierende Steinerts ganze Bildstrecken – oft bereits als Examensarbeit – und publizieren diese Erstlingswerke im stern. Zu dieser Ausbildung gehörte immer auch eine aktive Teilhabe am Bonner Geschehen, von Essen aus leicht zu bewerkstelligen, und so finden sich eine ganze Reihe von Steinert-Schülern unter den Machern großer Bonner Bildstrecken der 1960er und 1970er Jahre.

In der Zwischenzeit etablierte sich auch der Blick von außen auf die Bonner Republik, und das schlug sich in Einladungen und Akkreditierungen für Bildjournalisten nieder, die Deutschland hatten früh verlassen müssen wie etwa Kurt Hutton oder Alfred Eisenstaedt. Das gleiche gilt für das Buch „Die Deutschen“ des Schweizer Magnum-Fotografen René Burri, das bei seinem ersten Erscheinen Mitte der 1960er Jahre geradezu symptomatisch als Abgesang auf das alte Deutschland der NS- und Nachkriegszeit gesehen werden kann, auch und ganz besonders in der Überzeichnung einer durchaus noch sichtbaren Spießigkeit. Doch gerade diese Bücher im althergebrachten, körnigen Schwarzweiß der Kleinbildfotografie und mit dem existentialistisch angehauchten Duktus der Reduktion aller Grauwerte zugunsten harter Kontraste machen auch deutlich, wie unzeitgemäß bereits dieser Blick war – ab 1967 war das farbige Fernsehen das visuelle Leitmedium, und der „Bericht aus Bonn“ kam nun in bester, weicher Studiobeleuchtung mit geschminkten, jüngeren Protagonisten ins Haus, nicht mehr mit Zigarre rauchenden alten Herren. Kaum dass der Bonner Bildjournalismus sich von der NS-Bildberichterstattung emanzipiert hatte, hatte er seine Funktion als emotionaler Wegweiser durch die bundesdeutsche, insbesondere die Bonner politische Identität wieder verloren. Die letzte große Agenturgründung in Bonn mag als Symptom der Entwicklungen um 1970 gelten: Sven Simon, Sohn des Verlegers Axel Springer und selbst ein exzellenter Bildjournalist, eröffnete 1969 in dieser Stadt seine Sportbildagentur, die bis zu ihrem Umzug nach Mülheim an der Ruhr 1995 in Bonn residierte – und mit der Bebilderung des politischen Bonns nie etwas zu tun hatte.

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Quelle: René Möhrle (Hg.), Umbrüche und Kontinuitäten in der deutschen Presse. Fallstudien zu Medienakteuren von 1945 bis heute, Gutenberg : Computus Druck Satz Verlag 2020, S.57-68, hier S.63-65.

Das Buch haben wir vor einem Jahr hier rezensiert.

Autor Rolf Sachsse war bis 2017 Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und lebt in Bonn.

Über Rolf Sachsse (Gastautor):

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