Wer wem wann was in den 1990er Jahren versprach, und warum diese Frage bis heute relevant ist
Am 6. Dezember 2021, dem Tag vor der Videokonferenz zwischen den Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Joe Biden, hatte ich in einem Kommentar in der „tageszeitung“ (taz) unter der Überschrift „Beide Seiten müssen deeskalieren“ geschrieben:
„Entgegen dem im Westen weitverbreiteten Narrativ begann die Verschlechterung der Beziehungen nicht erst mit Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim im März 2014, sondern bereits mit der NATO-Osterweiterung, die ab 1996 vollzogen wurde. Es wurde das Versprechen gebrochen, das US-Außenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow Anfang Februar 1990 nachweislich gegeben hatten. Die Osterweiterung war ein schwerer historischer Fehler der Nato.“
Dieser Kommentar, insbesondere mein Satz über das nachweislich gegebene und gebrochene Versprechen, löste eine große Zahl von Kommentaren auf taz-online und anderswo aus, in denen das gegebene Versprechen – sei es aus Unkenntnis der Fakten oder wider besseres Wissen – bestritten und abgetan wurde als „Hirngespinst“ oder als „irgendein angebliches Geschwätz von Genscher“.
In einer ausführlichen Mail reagierte ein von mir sehr geschätzter Journalistenkollege und ehemaliger Chefredakteur der taz. Nachfolgend meine ausführliche Antwort.
Lieber T.
Danke für Deine ausführliche Mail zu meinem Kommentar in der taz vom 6.12.2021. Zunächst Du Deinen Fragen und Zweifeln, ob und in welcher Form es das von mir als „nachweislich“ beschriebene Versprechen gegeben hat.
Für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, daß – so wie ich es in meinem Kommentar geschrieben habe – US-Aussenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher bei ihren Moskauer Gesprächen mit Michail Gorbatschow und Eduard Schewardnadse am 8./9. und 10. Februar 1990 das Versprechen gegeben haben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Entsprechend haben sich damals auch andere Regierungsmitglieder und Diplomaten der USA, der Bundesrepublik Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens sowie der damalige NATO-Generalsekretär Wörner geäußert – sowohl gegenüber der Regierung in Moskau, wie gegenüber Regierungen ost/mitteleuropäischer Staaten wie Polen und der CSSR als auch öffentlich. Dafür gibt es zahlreiche Belege und Zeugen. Die wichtigsten:
1) Von der Geheimhaltung freigegebene Dokumente des National Security Archive der USA
Beschrieben in einem Artikel unter der Überschrift
„NATO-Expansion: Who promised what to Whom“
Teil 1: „What Gorbatschow heard western leaders say“
Teil 2: „What Yeltsin heard“
Dieser 2. Teil behandelt die Zeit der Jelzin-Regierung ab 1991. Aus den Dokumenten wird deutlich, wie Jelzin und seine Regierung von der damaligen US-Administrationen von George Bush und Bill Clinton im Unklaren gelassen oder gar vorsätzlich in die Irre geführt wurde über die damaligen Absichten mit Blick auf eine Erweiterung der NATO.
2) Von der Geheimhaltung freigegebene Dokumente des Auswärtigen Amtes in Bonn, zitiert in dem SPIEGEL-Artikel „Absurde Vorstellung“ vom 22.11.2009
3) Die Äußerungen Genschers in einem Vortrag in der Akademie Tutzing vom 31.Januar 1990
„Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht und einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“
Genschers Äußerung vor den Medien nach seinem Treffen mit US-Aussenminister James Baker am 2. Februar 1990 in Washington:
„Wir waren uns einig, daß nicht die Absicht besteht, daß NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir gar nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.“
Dokumentiert u.a. im „Weltspiegel“ des ARD-Fernsehens
4) Die Erinnerungen des ehemaligen US-Diplomaten William Burns, sowie die Erkenntnisse der US-Historikerin Mary Elise Sarotte. Beides zusammengefaßt in einer Bücherbesprechung von Klaus von Dohnanyi in der ZEIT vom 18. Juni 2019.
…
Du verweist darauf, daß Horst Teltschik, der als außenpolitischer Chefberater von Kohl bei dessen Gespräch mit Gorbatschow am 10. Februar 1990 anwesend war, die damals gemachten Zusagen bestreitet. Warum sich Teltschik anders (und im Widerspruch zur Dokumentenlage) erinnert, weiß ich nicht. Ich kann nur spekulieren: Es gab damals die starke Konkurrenz über die federführende Zuständigkeit für die Außenpolitik zwischen Genschers AA und dem Kanzleramt..Möglicherweise war T. auch nicht einverstanden mit den Zusagen, die Kohl, Genscher und Baker in Moskau gemacht hatten. Oder aber er wurde – ebenso wie Kohl damals von US-Präsident George Bush – unter Druck gesetzt, von den gemachten Zusagen abzurücken.
5) Die diversen schriftlichen und mündlichen Äußerungen von Jack Matlock, der im Februar 1990 als damaliger US-Botschafter in Moskau bei Bakers Gesprächen mit Gorbatschow und Schewardnadse dabei war.
Aus den oben zitierten Dokumenten und Aussagen geht auch hervor, daß/warum
a) sich die im Februar 1990 gemachten Zusagen einer Nichterweiterung der NATO keineswegs nur auf das Territorium der DDR bezogen, sondern darüber hinaus auch auf die anderen osteuropäischen Staaten
b) Baker, Kohl und Genscher von ihren im Februar 1990 gemachten Zusagen später abgerückt sind
c) Gorbatschow bei den zwischen Mitte März / Mai 1990 bis 12. September 1990 geführten formalen 4+2 Verhandlungen über die Herbeiführung der deutschen Einheit nicht mehr auf den im Februar erhaltenen Zusagen bestand.
Zudem bezog sich seine spätere (2014), häufig zitierte Erklärung, es habe „kein Versprechen der NATO“ gegeben, ausdrücklich auf diese Phase der formalen Verhandlungen. Ein „Versprechen“ des gesamten NATO-Bündnisses hatte es tatsächlich nicht gegeben, allerdings politische Zusagen von Regierungsmitgliedern der vier gewichtigsten NATO-Mitgliedsstaaten
Ich käme auch ohne die unter 1-4 genannten Belege und Zeugen aus und bin seit 32 Jahren der Überzeugung, daß es die von mir beschriebenen Zusagen vom Februar 1990 gegeben hat. Denn
1) Bin ich am 11. Februar 1990 alleine mit zwei weiteren Journalisten und Genscher unmittelbar nach seiner (und Kohls) Rückkehr aus Moskau in seinem Regierungsflugzeug von Köln/Bonn zur KSZE-Außenministerkonferenz „Open Skies“ nach Ottawa geflogen. Genscher hat uns während des Fluges im Detail und hochbeglückt über seine Gespräche in Moskau berichtet, und dabei auch mehrfach ausdrücklich seine und Kohls Zusage betont, daß das Territorium der DDR zwar als künftiger Teil des vereinten Deutschlands politisch zur NATO gehören solle, aber ohne Truppen und militärische Strukturen der Allianz, und daß die NATO nicht um neue Mitglieder aus Osteuropa erweitert werden solle. Baker habe für die USA dieselbe Zusagen gemacht. Ich habe das damals für so selbstverständlich und auch richtig gehalten, daß ich diese Zusagen in meinem taz-Artikel über dieses Gespräch mit Genscher gar nicht erwähnt habe.
2) Hat mir auf der Pariser KSZE-Gipfelkonferenz vom 19.-21. November 1990 Jiri Dienstbier, der damalige Aussenminister der CSSR, ausführlich berichtet, daß die Regierung Kohl/Genscher der Regierung von Vaclav Havel von diesen Zusagen unterrichtet habe. Dienstbier (und nach seiner Darstellung damals auch Havel, der später seine Haltung änderte) setzte alle Hoffnung auf das von Gorbatschow vorgeschlagene „Gemeinsame Haus Europa“ im institutionellen Rahmen der KSZE, deren politische, finanzielle und logistische Stärkung in Paris in den Reden ausnahmslos aller 35 Staats-und Regierungschefs (Kohl: “Die KSZE muß das Herzstück der europäischen Architektur werden“) sowie im Abschlußdokument („Charta für ein neues Europa“) gefordert und versprochen wurde. “In einem solchen kollektiven Sicherheitssystem wären auch die ost- und mitteleuropäischen Staaten mit ihren historisch begründeten Bedrohungswahrnehmungen gegenüber dem großen Nachbarn gut aufgehoben“, meinte Dienstbier damals mir gegenüber.
In der öffentlichen Debatte ist heute immer wieder zu hören (u.a. von Wolfgang Ischinger, scheidender Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und von 1982-2008 in führenden Positionen im Auswärtigen Amt sowie als Botschafter in Washington und London tätig), die Sowjetunion/Russland habe der Aufnahme osteuropäischer Staaten in den 1990er Jahren „ausdrücklich zugestimmt“, bzw. diese Ausnahme sei mit der Regierung in Moskau „vereinbart worden“. Diese Behauptungen verweisen dann auf
-das 2+4-Abkommen über die Vereinigung Deutschlands vom 12. September 1990
und/oder
-die auf der Pariser KSZE-Gipfelkonferenz vom 19.-21 November 1990 verabschiedete „Charta für ein neues Europa“
und/oder
– die NATO-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997
Derlei Behauptungen sind zumindest unseriös. Denn tatsächlich findet sich in keinem dieser drei Abkommen eine „ausdrückliche Zustimmung“ Moskaus oder eine entsprechende „Vereinbarung“. Begriffe wie „NATO-Mitgliedschaft“, „NATO-Erweiterung“ o.ä kommen in diesen Abkommen überhaupt nicht vor.
Es gibt lediglich Formulierungen in zwei der drei Abkommen, die allenfalls die Interpretation zulassen, Moskau habe das Recht des Beitritts von Staaten zur NATO anerkannt.
In der Charta von Paris heißt es:
„Nun, da die Teilung Europas zu Ende geht, werden wir unter uneingeschränkter gegenseitiger Achtung der Entscheidungsfreiheit eine neue Qualität in unseren Sicherheitsbeziehungen anstreben. Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden….
Die beispiellose Reduzierung der Streitkräfte durch den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa wird – gemeinsam mit neuen Ansätzen für Sicherheit und Zusammenarbeit innerhalb des KSZE-Prozesses – unser Verständnis von Sicherheit in Europa verändern und unseren Beziehungen eine neue Dimension verleihen. In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“
In der NATO-Russland-Grundakte heißt es:
„Zur Verwirklichung der Ziele dieser Akte verpflichten sich die NATO und Russland gemeinsam dazu, ihre Beziehungen an folgenden Grundsätzen auszurichten:
Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selbst zu wählen“
Im Weiteren füge ich meine Kommentare in den Text Deiner Mail in fetter Kursivschrift ein:
Aber unabhängig davon, ob es ein Versprechen gegeben hat oder nicht, und worauf sich dieses Versprechen bezog, stellt sich doch die Frage, welchen Wert ein nicht schriftlich in einem Vertrag kodifiziertes Versprechen überhaupt hat. Drei Männer geben einem vierten Mann mündlich ein Versprechen und danach ist das Hindernis überwunden, ist die Sache geritzt und Deutschland kann wiedervereinigt werden.
Es war allerdings ein großer handwerklicher Fehler, daß sich Gorbatschow und Schewardnadse die im Februar 1990 gemachten Zusagen nicht schriftlich geben ließen. Ich kann mir das nur so erklären, daß insbesondere Gorbatschow in dieser historischen Stunde des Zusammenbruchs der 45 Jahre alten Blockkonfrontation und der damit verbundenen Erleichterung so überzeugt war von seiner positiven Alternative „Gemeinsames Haus Europa“ im Rahmen der KSZE, daß er annahm, die westlichen Akteure würden genauso denken/fühlen. Das kann man als naiv kritisieren. (Ich bekenne mich auch zu dieser Naivität. Bis zur Pariser KSZE-Konferenz im November 1990 hatte ich auch den Eindruck, daß die westlichen Regierungen tatsächlich zu dieser Option „Gemeinsames Haus Europa“ bereit waren). Und Gorbatschows Versäumnis, sich Zusagen schriftlich geben zu lassen, ist überhaupt kein Argument dagegen, daß diese Option die bessere gewesen wäre – und nach wie vor ist.
Mit welcher Legitimation können denn die drei westlichen Männer für die Nato ein bindendes Versprechen abgeben? Pacta sunt servanda.
Gewiss. Allerdings handelte es sich bei Baker, Kohl und Genscher ja nicht um irgendwen in der NATO, sondern um die Regierungsmitglieder der NATO-Führungsmacht USA und des gewichtigen Mitgliedes BRD. Es gab damals von den anderen NATO-Mitgliedern keinerlei Widerspruch gegen die von Baker, Kohl und Genscher gemachten Zusagen. Niemand drängte auf eine Ausweitung der NATO gen Osten. Ich bin sicher, die USA und die BRD hätten, wenn sie gewollt hätten, einen offiziellen Konsensbeschluß der NATO zum Verzicht auf eine Ostausdehnung herbeiführen können.
Aber weshalb sollten sich z.B. ein sozialdemokratischer Kanzler und eine grüne Außenministerin an ein möglicherweise vor 31 Jahren gegebenen mündliches Versprechen eines christdemokratischen Kanzlers gebunden fühlen? Und ein französischer Präsident? Das gebe ich unabhängig davon, wie man den Konflikt mit Russland entschärfen kann, zu bedenken.
Es geht nicht darum, ob sich jemand heute im formalen Sinn an eine vor 31 Jahren gegeben politische Zusage gebunden fühlt. Und welche Parteien damals in Bonn und heute in Berlin regieren, ist dabei irrelevant. Es geht darum, ob in Berlin, Washington, Paris, London und anderen Hauptstädten endlich die Einsicht wächst, daß die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland eben nicht erst mit den Gewaltkonflikten in der Ukraine ab 2014 begann, sondern daß die ab der 2. Hälfte der 90er Jahre vollzogene Osterweiterung der NATO und dann auch noch die Absichtserklärung des NATO-Gipfels 2008 zur Aufnahme der Ukraine und Georgiens eine wesentliche Vorgeschichte dieser Konflikte sind. Wer die fatale Dynamik der Konfrontationseskalation zwischen Moskau und dem Westen endlich beenden und umkehren will, muß diese Vorgeschichte mit berücksichtigen.
Im übrigen glaube ich auch, dass man Russland in eine europäische Friedensordnung einbeziehen muss. Aber dabei ist doch auch zu bedenken, dass die Nato – anders als der Irak in Kuweit oder Russland in der Krim (beides wäre ja völkerrechtlich eine Legitimation für eine internationale Intervention) – nicht die Souveränität eines andern Staates verletzt hat, sondern sie hat – gewiss aus machtpolitischen Gründen – Staaten in ihr Bündnis aufgenommen, die dies wollten.
Und dabei hat die NATO (zumindest mit Blick auf ihren Gipfelbeschluß zur Ukraine im Jahr 2008) die „legitimen Sicherheitsinteressen“ Russland nicht berücksichtigt. Als Pazifist habe ich mit diesem im Kalten Krieg geprägten Begriff immer sehr schwer getan, weil mit der Berufung auf „legitime Sicherheitsinteressen“ immer auch die Rüstung, Stationierung oder gar der Einsatz von Waffen und Soldaten gemeint waren. Aber wenn eine Seite in einem Konflikt „legitime Sicherheitsinteressen“ für sich reklamiert, dann muß sie diese auch der anderen Seite zugestehen. Natürlich hatten die osteuropäischen Staaten das souveräne Recht, Mitglied der NATO zu werden. Bei der Bekräftigung dieses Rechts wird in der öffentlichen Diskussion aber fast immer unterschlagen, daß es nach 1989 zumindest kurzfristig eine Alternative gab (KSZE, kollektives Sicherheitssystem mit Russland, siehe oben). Erst als in Warschau, Prag, Budapest und anderen osteuropäischen Hauptstädten klar wurde, daß die westlichen Regierungen diese Alternative nicht ernsthaft wollten, entstand der Sog zur NATO-Mitgliedschaft.
Mir kommen all diese Gedanken, weil ich auch gerade ein Essay von Charlotte Wiedemann (in der taz vom 15.12.) gelesen habe, die ich sehr schätze. Sie schreibt vom „antirussischen Kurs der Nato“, präziser wäre es vermutlich, man würde von einem „Kurs der Nato gegenüber Russland“ reden.
Ich schätze Charlotte auch sehr. Vielleicht wäre „Kurs der NATO gegenüber Russland“ tatsächlich präziser. Aber wer weiß, vielleicht hat sie ganz bewußt „antirussischer Kurs der NATO” geschrieben (wir müßten sie einfach mal fragen). Ich könnte diese Formulierung auf jeden Fall nachvollziehen.
Zurecht stellt sich doch die Frage, welchen Kurs man einschlagen soll gegenüber Putins Kurs, der darin besteht, die Ukraine – über die recht unverfrorene Annexion der Krim und die anhaltende Schürung eines Krieges im Donbass, der schon Tausende Tote gekostet hat – zu destabilisieren und die EU – im Verein rechter Populisten in Frankreich, Italien und Ungarn – zu spalten. Letzteres mag im übrigen durchaus verständlich und auch legitim sein, wenn man – wie Putin und anders als Jelzin und Gorbatschow – auf eine Blockkonfrontation alten Stils und nicht auf eine europäische Friedensordnung setzt.
Die Krim-Annexion war nicht nur unverfroren, sondern völkerrechtswidrig. Gerade wer die Völkerrechtsverstöße westlicher Staaten in den letzten 30 Jahren völlig zu Recht kritisiert, sollte mit Blick auf die Krim-Annexion keine anderen Maßstäbe anlegen (wie das in Teilen der Linken und der Friedensbewegung leider passiert). Und nichts, was ich zur erklärenden Vorgeschichte dieser Annexion seit der der NATO-Osterweiterung geschrieben habe, soll diese Annexion und auch das Schüren des Konflikts im Donbas in irgendeiner Weise rechtfertigen, verharmlosen oder relativieren. Der Versuch, die EU zu spalten – und das im Verein nicht nur mit rechten Populisten sondern auch mit rechtsextremen bis neonazistischen Parteien und Organisationen, wie z.B. der AfD mag aus einer Blocklogik alten Stils heraus zwar „verständlich” im analytischen Sinne sein, „legitim“ sind sie nicht.
Das Problem, das ich auch bei den 15 von mir moderierten Podiumsdiskussionen mit BundestagskandidatInnen aller Parteien mit Ausnahme der AfD im Vorfeld der Septemberwahl als sehr bedrückend empfunden habe: die KandidatInnen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen beließen es alle ohne Ausnahmen bei scharfer, weitgehend berechtigter (in einigen Fällen überzogener) Kritik an Putins Außen- und Innenpolitik. Niemand hatte irgendeinen konstruktiven Vorschlag für Schritte, um aus dieser Konfrontationslogik und Eskalation herauszukommen. Auch die VertreterInnen der Linken nicht.
Zu Deiner Frage, welchen Kurs man einschlagen soll gegenüber Putins Kurs:
Dazu siehe bitte meinen Artikel „Russland, die Ukraine und der Westen – Wege aus der Eskalation kurzfristig und auf längere Sicht“
Herzliche Grüße
Andreas Z.
Hier bietet ein sorgfältig recherchierender und einfühlsam argumentierender, allerdings den Frieden liebender, also pazifistisch orientierter Journalist all seine Fähigkeiten auf, um einer historisch-politischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.
Seine Bemühungen werden gleichwohl ins Leere laufen – das ist in der aktuellen Debatte, die von einer unfreien, von Kapitalinteressen geleiteten Presse dominiert wird, nicht anders zu erwarten.
Russland, die ehemalige Sowjetunion und auch das sogenannte Putin-Regime, hätten Besseres verdient. Die große Schuld, die Deutschland sich durch seinen verbrecherischen Krieg gegen Polen und die damalige Sowjetunion aufgeladen hat, sollte auch heute Anlass zu einem fundamentalen Umdenken, zu einer wirklichen Friedenspolitik sein. Wer tritt für ein solches Umdenken ein, wer erzwingt eine solche Politik?
Monitor 2017 schon: https://www.youtube.com/watch?v=-iJNtff6HTU
herzlich bedanken wir uns für die sehr gute und verständliche Aufklärung der Situation und die Hintergründe. Wir sind sehr froh darüber, dass es Euch gibt. Als als Leute, die fast ihr ganzes Leben in der DDR erlebten ,können wir die Euphorie der Wende gut verstehen. Wir hoffen von ganzem Herzen, dass es noch viel mehr Menschen gibt, die für friedliches Miteinander eintreten. Wir wünschen Euch Segen und gutes Gelingen!
Das Meisterstück der Aufklärung, das Andreas Zumach in der Causa Nato-Osterweiterung erarbeitet hat, wirft u.a. auf die Frage auf, ob sich jene Journalisten, die das “westliche Narrativ” nachplappern, noch ihrem Berufsethos verpflichtet sehen. Viele, die die Wahrheit kennen, weil sie – wie Zumach – u.a. mit beteiligten Politikern gesprochen haben, und nun das Gegenteil in die Welt setzen, verraten ihren Auftrag. Es wäre gut, wenn der eine oder andere – angeregt durch die verantwortungsvolle Veröffentlichung des Beueler Extra-Dienstes – seine Beteiligung an der Desinformation aufgeben würde.
@klemens roloff
Bezüglich der Rolle der Presse:
Also, Naja. Auch wenn mir die Tagesschau oftmal auch viel zu pauschal und oberflächlich ist, finde ich es schwierig, die als Beispiel einer “unfreien, von Kapitalinteressen geleiteten Presse” zu sehen. Was die nicht öffentlich-rechtlich betriebene Presse angeht (also quasi alle): ich glaube, die war in den gesamten letzten 150 Jahren von Kapitalinteressen geprägt. Selbst der Wandsbecker Mercurius hat schon Boulevard-Schlagzeilen verwendet, damit der Rubel rollt. Bzw. die Reichsmark, Rubel würde hier die falschen Assoziationen wecken.
Die “Freiheit der Presse” bezieht sich, meine ich, nicht auf die Freiheit von Lohnzetteln, Honorarvereinbarungen und Arbeitnehmerrechten, sondern auf die Abwesenheit von staatlicher Zensur (die ich jedesmal, wenn ich “die Aktuelle”, die “Neue Welt” oder die BILD sehe, doch ganz ganz ganz kurz für sinnvoll halte). Und da sind wir, denke ich, noch im der grünen Bereich.
Was ich sagen will: werter “klemens roloff”, bitte nochmal die Formulierung ihrer Medienkritik überdenken (und auch gleich ne Spende an die ila, kontext o.ä.), danke.
Wobei es natürlich offensichtlich ist, dass Stellenabbau und Paywallisierung im Pressewesen nicht nur bei Lokalzeitungen das publizistische Niveau zum Kummersaufen in den Keller schicken.
Allerdings ist die klamme Presse nicht das einzige Problem. Wenn an deutschen Hochschulen die Studiengänge zu Landeskunde zusammengespart und abgeschafft werden, dann gibt es einfach mal niemand mit Expertise. Okay, Russisch ist etwas verbreiteter, greift bei der Ukraine-Krise also weniger. Aber wieviele deutsche Auslandskorresponden*tinnen können mit Menschen aus z.B. Myanmar in deren Muttersprache reden?
Grundsätzlich halte ich aber, um den Bogen aus der Kommentarsektion wieder zum Artikel zu spannen, Versprechen unter Männern vielleicht als Grundlage für eine Ausflugsplanung tragfähig – aber für völkerrechtlich relevante Entscheidungen hätte ich dann doch lieber öffentlich vorliegende, formell ratifizierte und gerichtlich überprüfbare Beschlüsse der Parlamente&Regierungen…
In der Kommentierung des Beitrags von Andreas Zumach, der am 19. Januar 2022 in diesem Blog erschien und seither der in diesem Jahr bislang meistgelesene Beitrag im Beueler Extradienst ist, hat Herr/Frau Samisdata mich zum Bedenken meiner Position „bezüglich der Rolle der Presse“ aufgefordert. Ich glaubte, es sei nicht nötig, mich auf diese Aufforderung einzulassen. Denn es schien mir offensichtlich und keiner weiteren Beweisführung wert, dass die Presse in Deutschland – gerade im Hinblick auf Russland und Nato – „unfrei“ und „von Kapitalinteressen geleitet“ sei.
Vielleicht, sehr geehrte Herr bzw. Frau Samisdata, ist Ihnen das nach zwei Monaten Krieg um die Ukraine inzwischen auch klar geworden. Denn ist es nicht erstaunlich: In kürzester Zeit wird ein bislang allenfalls in der Ukraine bekannter ehemaliger TV-Darsteller zur weltweit gefeierten olivgrün gewandeten Lichtgestalt und Wladimir Putin zum Wiedergänger Adolf Hitlers. Und nicht ein Hauch von Widerspruch regt sich gegen die aus allen Kanälen tönende Botschaft, dass die Nato selbstverständlich „nur“ ein Verteidigungsbündnis sei. Da hat selbst ein meisterliches Stück Aufklärung aus der Feder eines Andreas Zumach keine Chance.
Auch Roland Appel hat sich in „Der Westen und die Meinungsfreiheit“ vom 23. April 2022 mit dem Thema befasst. A. Holberg hat dazu angemerkt: In jeder Klassengesellschaft werden in erster Linie jene Interessen verteidigt, die von der ökonomisch und politisch stärksten Fraktion als die wichtigsten angesehen werden. „Die Pressefreiheit wird gewährt, solange das nicht in Frage gestellt wird.“ Das leuchtet ein – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man/frau auch der Ansicht sind, unsere Republik müsse als Klassengesellschaft gesehen werden.
Sehr treffend fand ich auch die aktuelle Begründung der Holberg-These: „Da Russland (und natürlich auch China) als ernsthafte Konkurrenten für das US-dominierte Kapital betrachtet werden, sind einem Figuren wie Navalny ebenso recht wie das vermeintlich demokratische Kiewer Regime, das seine Bevölkerung für diese Interessen im Krieg verheizt, während Assange behandelt wird wie ein Mafioso, der das Gebot der Omertá verletzt hat.“
Durch die jüngsten Ausführungen der Assange-Anwältin Jennifer Robinson, die eine weitere Zuschrift zitiert, findet diese Auffassung eine eindrückliche Bestätigung:
https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/assange-anwaeltin-wir-schlafwandeln-in-eine-zeit-ohne-freiheitsrechte-li.223910