Zum deutschen Medien-Darwinismus im digitalisierten Turbokapitalismus
Omikron ist überall und kommt näher, in meinem Fall jedenfalls. Ein halbes Dutzend guter Bekannter hatte oder hat es. Es ist kein Vergnügen, aber zum Glück in allen mir persönlich bekannten Fällen nicht tödlich. In Bonn ist bemerkenswert, dass die 7-Tage-Inzidenz den Bundestrends entsprechend langsam sinkt, die Krankenhauseinweisungen (über 160) aber nicht mehr weit vom Höchstwert des vorigen Winters (über 200) entfernt sind. Oberbürgermeisterin Dörner ist jetzt auch “positiv”. Bei Menschen mit (kleinen) Kindern ist es wohl eher überraschend, wenn es sie nicht erwischt. Allen Betroffenen, insbesondere den derzeit 26 auf Bonner Intensivstationen, sowie ihren gestressten Pflegekräften: gute Besserung!
Die ist auch all den kränkelnden und kranken demokratischen Medien zu wünschen, die sich mehr schlecht als recht in der kapitalistischen Marktwirtschaft zu behaupten versuchen. Widersinnig: je kränker sie sind, umso mehr wünschen sie die öffentlich finanzierten Medien zum Teufel. Wenn schon, dann sollen sie mituntergehen. Andere fangen mit dieser “Logik” Kriege an …
Thomas Knüwer/indiskretionehrensache.de macht sich alle Jahre wieder richtig denkende und schreibende Mühe, um es den Verlagen und Sendern mit einem Grossaufgebot an persönlichem gutem Unternehmensberater-Willen zu erklären: “Warum Paid Content Verlage (so) nicht retten wird”. Eine Klassenposition, wie ich sie für mich als lebenslanger abhängig Beschäftigter beanspruche, liegt Knüwer fern. Er ist einfach nur durch und durch sachlich konstruktiv – und analytisch hart und ehrlich.
Was macht eigentlich der “Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger” (BDZV) so den ganze Tag, wenn er sich nicht gerade um seinen publizistisch amoklaufenden Vorsitzenden kümmern muss? Ich zeige sofort auf, weil ich sicher bin es zu wissen: er schreibt seinen Lobbyvertreter*inne*n in Regierungen und Parlamenten Gesetzentwürfe, auf dass seine Mitglieder sich nicht unnötig Gedanken machen müssen. Diese Gesetzentwürfe werden dann beschlossen.
Mediale Adipositas
Und dann kommt es so, wie es, bei Knüwer beschrieben, gekommen ist. Intellekt, Muskeln und Gelenke sind so fett, faul und gefrässig geworden, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Mediale Adipositas. Fast alle deutschen Verlegerfamilien verwalten Milliardenvermögen. Insbesondere die, die ihre Verlage noch rechtzeitig verkauft haben. Der BDZV-Vorsitzende Döpfner hat z.B. alles, was in seinem Verlag keine Gewinne mehr versprach, teuer an die “Funke-Mediengruppe” verkauft. Nachdem dort eine nur mittelalte Frau die Führung übernahm und festgestellt hat, was ihre greisen Familienoberhäupter angerichtet haben, hat es ihm dort eine tief verbundene Feindschaft eingetragen … Aber das kann Ihnen und mir egal sein (es sei denn, Sie haben in der Nähe dieses Krieges Ihren eigenen Arbeitsplatz).
Wenn der BDZV sich mit Wichtigem beschäftigt hätte, dann gäbe es heute ein deutschlandweites, oder besser deutschsprachiges, die Schweiz und Österreich einschliessendes, kundenorientiertes Micropaymentsystem, so marktumfassend, wie es der Grossvertrieb gedruckter Zeitungen mal war. Aber das hätte ja jahrelangen Streit gegeben, wer wieviel davon abkriegt. Ganz anders als jetzt?
Den Krieg gegen die öffentlichen Medien werden die privaten Konzerne dann gewinnen, wenn sie finster entschlossen sind, die Demokratie hierzulande komplett in Schutt und Asche zu legen. Zuzutrauen ist ihnen das, insbesondere den andere Verlage fressenden grösseren Tieren. Der Springerkonzern wird überleben, weil er “rechtzeitig” in Digitalmedien investiert und seinen Müll bei “Funke” verkauft hat. Auch Bertelsmann muss nicht sterben, selbst wenn es sich in RTL umbenennt und mit Berlusconi fusioniert. Grossverlag als Geldwaschmaschine – warum nicht? Die Anderen wird es über kurz oder lang erwischen, als einen der Letzten, wg. des grossen Anteils konservativer Bildungsbürger*innen, auch den Bonner Generalanzeiger, der derzeit der Rheinischen Post gehört, und der z.B. zu 80% aus eingemauertem Paid Content besteht.
Wenn es dem BDZV gelingt, die öffentlichen Medien politisch mit in den Abgrund zu zerren, CDU, FDP, AfD und bewusstlose Lobbyismusteile anderer Parteien stehen für diese Henkersaufgabe bereit, wird es um die hiesigen Überreste an Demokratie geschehen sein.
Die Alternative wäre die Verteidigung und Verbesserung öffentlicher Medien aller Art, Genossenschafts- und Stiftungsmodelle. Und wenn es der BDZV nicht schafft, initiiert vielleicht irgendjemand anderes ein marktmächtiges Mikropaymentsystem. Ich weiss auch nicht, wer. Mein Problem ist es nicht und wird es nicht mehr.
Lesen Sie ergänzend bei Stefan Krempl/heise-online: “ARD & ZDF vs. Netflix & Co.: ‘Wir sind nicht in Schockstarre’ – Mit individueller Ansprache und der digitalen Pflege von Marken wie den ‘Tatort’ rüsten sich die Öffentlich-Rechtlichen für die non-lineare Welt.” Wirklich weit im Denken sind die auch nicht, eher weit hinterher.
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