Verbreitet sind Vorwürfe, der Ost-West-Gas-Handel der 10er-Jahre habe Putins Überfall auf die Ukraine, also auch Butscha erst möglich gemacht. Eine bekannt klingende Ursache-Wirkung-Konstruktion? Heiner Geißler, CDU-Generalsekretär, ehedem im Bundestag: „Der Pazifismus der 30er-Jahre – der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben – dieser Pazifismus der 30er-Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“ 1983 war das, als die Anti-Nachrüstungsbewegung ihren Höhepunkt hatte. Groß war die Empörung der Friedensbewegung und ihres Umfeldes.

Die Ostermarschierer gehörten dazu. In früheren Jahren, die demnächst vielleicht als die „gute alte Zeit“ gelten, waren die Ostertage nachrichtenarm und politikfrei. Meldungen, die Friedensbewegung habe ihre „traditionellen Ostermärsche“ aufgenommen, fortgesetzt oder beendet, signalisierten, dass sonst nichts Aufregendes passiert sei. Stets wurde für Abrüstung und den Abzug von Atomraketen aus Deutschland und gegen Kriege demonstriert – meist solche, an denen die Vereinigten Staaten beteiligt waren. Ihre Tradition reicht auf 1959 zurück, als in der westdeutschen Bundesrepublik unter dem Motto „Kampf dem Atomtod“ mehr als 100 000 Menschen demonstrierten – unter allen (un-)möglichen polizeilichen Auflagen; bei Querung einer Bundesstraße mussten Transparente eingerollt werden. Später lebte das wieder auf: gegen den Nato-Doppelbeschluss. Olaf Scholz war mit dabei.

„Die Ostermärsche werden in diesem Jahr im Zeichen des russischen Krieges gegen die Ukraine sowie der drastischen Erhöhung der Militärausgaben in Deutschland stehen. Sowohl Krieg, egal wo, als auch Aufrüstung – die Friedensbewegung lehnt beides ab!“, haben die Organisatoren der Ostermärsche 2022 mitgeteilt. „Die schrecklichen Bilder des seit Ende Februar wütenden Krieges Russlands gegen die Ukraine machen fassungslos – insbesondere die neuesten Berichte und Bilder aus Butscha.“ Gehofft wird, „dass sich die Verantwortlichen dieser Taten eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen“. Ein „sofortiger Waffenstillstand“ und „langfristig Frieden für die Menschen in der Ukraine“ werden verlangt. Das Außerdem klingt so: „Ein weiteres zentrales Thema der diesjährigen Ostermärsche wird die von der Bundesregierung angekündigte massive Aufrüstung der Bundeswehr sein. Diese Hochrüstung hilft den Menschen in der Ukraine nicht.“

Dagegen nahm der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) jetzt in der FAZ Stellung: „Mehr denn je ist mir die Ambivalenz des Pazifismus bewusst geworden. Mehr denn je zweifele ich, ob die eigene Friedfertigkeit ausreicht gegen die Aggressivität eines anderen, der bereits zur Tat geschritten ist.“ Und: „Es waren die Schwäche und Uneinigkeit des Westens und die Schutzlosigkeit der Ukraine, die von Putin als Aggressionsermunterung (miss-)verstanden werden konnten, werden mussten!“ Hat Geißler doch Recht behalten? Einst wirkten die Ostermarschierer als Vorfeldorganisation der Grünen. Heute nicht mehr.

Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.