Der diesjährige Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa ist überschattet vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der russische Einmarsch ist ein gravierender Bruch des Völkerrechts und eine neue Qualität von Gewaltanwendung in einer seit langem sich aufschaukelnden Konfliktspirale. Wie alle Kriege führt auch er zu schrecklichem Leid und riskiert darüber hinaus einen Kontrollverlust mit unabsehbaren Folgen.

Die Welt sieht sich nun wenige Schritte von einem Weltkrieg entfernt. Denn im Ukraine-Krieg vermischt sich ein aus dem chaotischen Zerfall der Sowjetunion entstandener Regionalkonflikt mit der geopolitischen Konfrontation um die Weltordnung: auf der einen Seite die Protagonisten einer multipolaren Welt, in erster Linie China und Russland, aber auch Indien, Südafrika und andere Länder des globalen Südens – auf der Gegenseite der von den USA angeführte Westen, der an seiner 500-jährigen Hegemonie über den „Rest der Welt“ festhalten will.

Die geopolitische Auseinandersetzung hat bereits vor über 20 Jahren mit der NATO-Osterweiterung und der Aushöhlung des Völkerrechts – insbesondere durch die völkerrechtswidrigen Angriffskriege gegen Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen – begonnen. Sie wurde mit Wirtschaftskrieg, Sanktionen und Wettrüsten inzwischen auch auf China ausgeweitet. Die geopolitische Konfrontation ist auch der Grund, warum Indien, Indonesien, Südafrika, Mexiko und viele andere Länder des globalen Südens und selbst Israel es ablehnen, jetzt Kriegspartei zu werden. Denn der Menschheit steht eine sehr gefährliche Epoche bevor. Klimakrise, Hungerkatastrophen und andere globale Probleme können nur durch internationale Kooperation abgewendet werden.

Deshalb ist es gerade jetzt mehr denn je notwendig, die Logik der Waffengewalt und die Spirale aus Morden, Zerstörung und Hass zu durchbrechen!

Deeskalation und Kompromissfrieden statt Eskalation und Abnutzungskrieg

Jeder Tag Krieg bedeutet mehr Hass, mehr Tote, mehr Zerstörung und mehr Kriegsverbrechen. Krieg wird mit Waffen geführt. Waffenlieferungen verlängern jedoch den Krieg. Das ist allerdings die Absicht der USA, die sich von einem langen Abnutzungskrieg die geopolitische Schwächung Russlands versprechen. Die Opfer in der Ukraine spielen in diesem Kalkül ebenso wenig eine Rolle wie das Risiko einer weiteren Eskalation bis hin zur direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland. Inzwischen haben sich auch die EU, die Bundesregierung und weite Teile des politischen Spektrums und der medialen Öffentlichkeit bei uns dem angepasst. Deutschland ist de facto Kriegspartei.

Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen, Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen. Wem es wirklich um Menschlichkeit und Empathie mit den Kriegsopfern geht, für den kann die einzig vernünftige und moralisch akzeptable Alternative zu Waffenlieferungen und Abnutzungskrieg nur ein Kompromissfrieden sein. Maximalpositionen können keinen Frieden bringen. Jede Seite muss Zugeständnisse machen.

Eckpunkte eines solchen Kompromissfriedens könnten sein: Waffenstillstand, Abzug aller russischen Truppen, entmilitarisierte Zonen in und um den Donbass, von neutralen Truppen überwacht, und nach einiger Zeit ein Referendum unter internationaler Aufsicht, sowie Neutralität der Ukraine statt NATO- Mitgliedschaft, Ende des Wirtschaftskriegs, sowie die Akzeptanz des Prinzips der ungeteilten Sicherheit, d.h. dass keine Seite ihre Sicherheit auf Kosten der anderen erhöht.

Kriege, Elend und Hungerkatastrophe

Eine direkte Folge des Ukrainekrieges ist eine dramatische Hungerkrise, die durch weltweite Verteuerung von Lebensmitteln, den Wegfall kritischer Lebensmittelexporte aus der Ukraine, ausbleibende Düngemittelexporte Russlands und die Sanktionen des Westens drastisch verschärft wird. Weltweit sind viele Menschen auf deren Lebensmittelexporte angewiesen, gerade in Kriegsgebieten wie in Afghanistan und im Jemen.

Dabei war bereits 2020 etwa eine Milliarde Menschen von Hunger bedroht. Gerade im Jemen spitzt sich die durch den Krieg ausgelöste „größte humanitäre Katastrophe“ weiter zu, wie es UNO- Generalsekretär Guterres formulierte; 19 Millionen Menschen droht der Hungertod. Die Kriegsparteien Katar und Saudi-Arabien haben die Rückendeckung der USA und werden mit deutschen Waffen beliefert.

Das NATO-Mitglied Türkei verstärkt seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die kurdischen Gebiete im Irak und in Syrien, mit schweren deutschen Waffen, Rückendeckung Deutschlands, der USA und NATO, Russlands und lokaler Schirmherren.

Wohin Kriege führen zeigt sich auch einmal mehr in Afghanistan. Die radikalisierten Taliban nehmen systematisch Razzien u.a. an ehemaligen Ortskräften vor. Die Lebensmittelversorgung des Landes ist hochgradig von Importen abhängig. Durch Dürren und Trockenheit, aber auch durch Einfrieren der afghanischen Währungsreserven durch IWF und USA, können sich die meisten Menschen die verteuerten Lebensmittel nicht mehr leisten.

Gegen die Aufrüstungspläne und das 100 Mrd. Programm

Im Eiltempo wurden nun 100 Milliarden “Soforthilfe” für Waffen und ein Vorstoß unternommen, 2% des BIP für Rüstung zu verschwenden. Damit werden vor allem Rüstungsprojekte durchgedrückt, die schon weit vor em Ukrainekrieg in den Startlöchern standen und das Geschäft mit dem Morden vorantreiben. So kassiert die Waffenindustrie Rekordgewinne und der Rüstungswettlauf wird angeheizt.

Dabei brauchen wir dringender denn je Investition in Gesundheit und Soziales, Katastrophenschutz, Bildung, bezahlbaren Wohnraum, Unterkünfte für Obdachlose und Geflüchtete, Energiewende und Agrarwende, Kampf gegen den Welthunger. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge sind jedes Jahr 14 Milliarden Euro zusätzlich an Spenden nötig, um den weltweiten Hunger bis 2030 wirkungsvoll eindämmen zu können.

Krieg ist keine Lösung, im Gegenteil, er ruft diese Krisen erst hervor bzw. verschlimmert sie durch Leid, Tod und Zerstörung. Es gibt 100 Milliarden bessere Ideen, als Hochrüstung und Militarisierung!

Wir erleben auch, wie am Gedenktag des 8. Mai die Kriegspropaganda auf allen Seiten gravierende Geschichtsklitterung betreibt: die Ukraine stilisiert NS-Kollaborateure und Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges zu Nationalhelden, während Russland seinen Angriffskrieg mit der Befreiung vom Nationalsozialismus gleichsetzt.

Wir leben in sehr gefährlichen und chaotischen Zeiten. Wenn der Weg der Waffengewalt nicht verlassen wird, wird die Welt in eine dramatische Situation geraten.

Daher besteht die Hauptaufgabe emanzipatorischer Friedenspolitik darin, Verhandlungen zu beginnen, Kompromisse zu finden und durch Entspannung, friedliche Koexistenz und Abrüstung die wirklichen Probleme der Menschheit anzupacken.

Die Homepage der Attac-Arbeitsgruppe “Globalisierung und Krieg” finden Sie hier.

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