Morgen 14 h geht es in der Regionalliga West um “alles”: Essen und Münster fiebern, Bonn dämmert
Wen interessiert die langweilige Bundesliga? Seit der Pandemie und dem widerlichen Lobbyismus der Profi-Oligarchen nicht mehr viele. In der Vierten Liga spielen zwar auch schon lange keine “Amateure” mehr, aber dort sieht es noch nach gutem, ehrlichem Sport aus. Und vor allem bietet sie hautnahe Dramatik.
Das gilt vor allem in Essen. Das ist die grösste Stadt Deutschlands, die keinen Fussballverein in den ersten drei Ligen hat. 2010 beschenkte der Essener Stadtrat den Verein mit einem Stadionneubau. Ein tolles Porträt des alten Stadions hier von Andreas Rossmann/FAZ. Fussballerisch ahnungslos glaubte die Mehrheit der Herren (nur wenige Frauen mitgemeint) im Stadtrat, ein neues Stadion führe zu besserem Sport. Der Gegenbeweis wurde 12 weitere Jahre erbracht: Platzierungen zwischen 2 und 12, aber kein Aufstieg. Und der damalige SPD-OB wurde prompt abgewählt, wg. der auffälligen lokalen Korruption rund um den Stadionbau.
Der einzige Rekord, den RW Essen aufstellte, war die Zuschauerzahl in der 4. Liga (Saisondurchschnitt zwischen 6.200 und 10.700 pro Spiel). Selbst auswärts verbreitet eine hohe vierstellige Zahl mitreisender Fans bei den jeweiligen Gastgebern Angst und Schrecken. Und in der Tat nennen sich einige RWE-Ultras bewusst “Asoziale”, und setzen sich also selbst unter Druck, dem auch gerecht zu werden. Aber das ist ein Problem, mit dem der Verein und seine Fanmehrheit klarkommen müssen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es uns in Bonn 2022/23 nicht mehr betrifft.
RW Essen kann morgen aufsteigen. Dafür muss im Heimspiel gegen den Tabellenneunten RW Ahlen ein 2-Tore-Vorsprung gegen Preussen Münster verteidigt werden. Die Münsteraner, denen mein alter und guter politischer Freund Christoph Strässer als Präsident vorsitzt, müssen gegen die Zweite des FC Köln diesen Rückstand aufholen. Wer interessiert sich in so einer Konstellation noch für die Bundesliga?
Während der FC Köln seinen berühmtesten Helden, den 90-jährigen Weltmeister Hans Schäfer ins Grab gespielt hatte, bittet der 76-jährige Willi Lippens aus seinem mitten im Ruhrpott liegenden Landgasthof (bei meinem Vater um die Ecke) im WAZ-Interview (Paywall) um Gnade: “Gewinnen. Das ist der beste Tipp. Ich habe immer gesagt, kurz vorm Abnippeln wäre es gut, noch einmal einen Aufstieg zu erleben. Es wäre gut, auch fürs Herz.”
Der Bonner SC als 16. muss im Heimspiel gegen RW Oberhausen (4., lange Aufstiegsaspirant, und wie immer von der Pleite bedroht) nicht nur drei Punkte, sondern zusätzlich 6 Tore gegen Borussia Mönchengladbachs Zweite (auswärts in Dödeldorf) aufholen. Diese Saison werden zwar alle Gladbachfans sofort aus ihren Erinnerungen eliminieren wollen – aber dass es so weit kommt, das glaubt niemand mehr. Oder wer oder was hilft dabei nach?
Während in Essen 20.000 Menschen im Stadion mitfiebern, und ein Vielfaches in den Kneipen den Livestream verfolgen werden, ist in Bonn wie immer die spannende Frage, ob mal etwas mehr als 1.000 den Sportpark Nord besuchen. Wo in anderen Stadien Fankurven sind, wächst im Bonner Stadion Dornengestrüpp. So sind sie, die sozialen Unterschiede zwischen dem verarmten Ruhrpott und dem propperen Rheinland.
Achja, am Sonntag machen die auch alle ‘ne Wahl.
Ich weiß ja nicht, ob sie für unsern Oppa oder für Willi gespielt haben. Aber dass der #RWE selbst meinen ewigen Pessimismus überwunden hat, das feier ich heute mal. Und freu' mich tatsächlich wieder auf die Sportschau – in der nächsten Saison. Schade für Bonn.