Beueler-Extradienst

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Der letzte Kampf des Extraktivismus

Und: der neue Expansions-Markt heisst Diskurspolizei, und zwar private!

Es ist so offensichtlich, dass sich Spurenelemente davon zuletzt sogar in öffentliche Reden der Bundesaussenministerin eingeschlichen haben. Mit einer Renaissance der Blockkonfrontation lässt sich das Erdklima nicht retten. Dennoch wird sie von den meisten Mächtigen betrieben. Warum?

Während der (medialen Hochzeit der) Coronapandemie, die noch längst nicht zuende ist, sondern munter und unbeachtet vor sich hin mutiert und variiert, machte ich eine Beobachtung im Fussballbusiness. Alle Akteure (es betrifft in diesem Fall nur den Fussball der Herren) schlossen lieber voreilig als bedacht noch ein (letztes?) Mal fette Verträge ab, weil sie fürchteten, dass “es” irgendwann zuende ist.

Von der Wissenschaft, die es spätestens seit 1972 weiss, ist es dank politischer Jugend- und Kinderbewegungen ins Massenbewusstsein vorgedrungen. Die dominant kapitalistisch organisierte Menschheit baut mehr Rohstoffe ab, als entstehen (= Extraktivismus). Der Grundwiderspruch ist hier: es ist ein allzu fettes Geschäft, als dass seine Profiteure (nicht ausschliesslich, aber stark mehrheitlich Männer) darauf verzichten können (oder das zumindest glauben). Sie haben darum ein “objektives” Interesse an der Renaissance der Blockkonfrontation. Denn: wie von Zauberhand explodieren die Rohstoffpreise, insbesondere der verfemten Kohle, Öl und Gas, und sie machen – ein letztes Mal? – die fettesten Geschäfte ihres Lebens.

Die – ob nun demokratisch oder despotisch erwählte – politische Klasse ist komplett doof genug, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Doof nur, dass das Wetter vom Klima bestimmt wird, und immer noch nicht vom Kapital. Die Geschichte der Klimakrise zeigt auf diese Weise, dass Klimaschutz nicht nur, aber sehr wesentlich, eine Klassenfrage ist.

Wachstumsbusiness Diskurspolizei

Auf dieses Thema stiess ich durch einen Kommentar von Georg Diez/taz. Der Vorgang, den er beschreibt, war mir bisher komplett entgangen. Er erinnert mich ein wenig an den Fall, den Andreas Zumach mit der SZ auszufechten hatte. Das Phänomen, das sich hier wiederholt, ist die Pandemie der Diskursverengung, die vorzugsweise in Vorkriegszeiten auftritt.

In kapitalistischen bürgerlich-demokratischen Ländern entsteht daraus prompt ein neuer Geschäftszweig, nach dem alten FDP-Prinzip “privat vor Staat”. “Facebook”, obwohl ein privater Megakonzern, geriert sich wie ein Staat, ist ja auch längst reicher als die meisten Staaten, und engagierte vor einigen Jahren in Deutschland z.B. meine alten Bekannten von Correctiv, um in seinen Netzwerken für ein demonstrativ vermarktetes Minimum an Diskursordnung zu sorgen.

Roland Appels und meine alten Grünen-Bekannten beim ansehnlich angewachsenen Denkpanzer (“Thinktank”) “Zentrum Liberale Moderne”, denen wir als gelernte Liberale diese Selbsternennung massiv bestreiten, haben das zunächst an “leichten Opfern”, wie den nachdenkseiten oder der Bonner Professorin Ulrike Guérot geübt – mit Sicherheit, um diesen Geschäftszweig in Zukunft auszubauen. Sie profitieren dabei von selbsterfüllender Prophezeiung: Gegner, die publizistisch so an die Wand genagelt werden, können kaum anders als paranoid werden, verschlimmern ihren eigenen Zustand, und ihre Gegner können sagen: “Siehste!” Emanzipatorischer Schutz vor derlei Aggressionen existiert – zumindest in Deutschland – nicht mehr wirklich.

Wie komm ich drauf? Das beschriebene Beispiel wäre für sich genommen zu vernachlässigen. Seine Relevanz ist sehr begrenzt. Aber ich erwähnte schon die Vorkriegszeiten. Sowohl die Nato als auch die EU haben diskursive Kampfeinheiten gebildet, vorgeblich um den bösen Russen Einhalt zu gebieten – die in der Tat so wenig Waisenknaben sind, wie die Chinesen. Darum ist es sicher kaum emanzipatorisch, dass, wer das Vorgehen von Nato und EU demokratiefeindlich findet, daraus den Schluss zieht, dass alle ihre weltweiten Gegner zu den Guten gehören. Ein Blick in die innergesellschaftliche Wirklichkeit solcher “Guten” sollte in den meisten Fällen genügen.

Normal ist hingegen, dass wir, also Sie und ich, uns natürlich in unserer Gesellschaft und unserem Sprachraum besser auskennen, als in anderen. Und, im Rahmen unserer bürgerlichen Grundrechte, auch mehr Möglichkeiten haben, sie selbst zu beeinflussen. Ich habe z.B. gerade Nachbarn aus New York, die zwischen dort und Beuel pendeln. Wir teilen unser Wissen, unsere kulturellen Neigungen, unser Fussballwissen. Der Nordatlantik ist unser gemeinsamer gesellschaftlicher Raum.

Und nun schauen Sie mal hier, wie weit die da drüben am anderen Ufer schon sind. Erwähnte ich schon Ranglisten-Bullshit? Und, das kann selbstverständlich nur Zufall sein, ein Ex-CIA-Boss und ein Ex-Nato-Generalsekretär schmücken den Beirat. Ist das nun ein geschäftliches Vorbild? Die Grösse des Teams spricht dafür. Vorbild für Correctiv? Oder für die sog. “modernen Liberalen”? Und einen Rattenschwanz von was-mit-Medien-Menschen, die raus aus der Prekarität wollen?

Das wäre gut für psychologische Kriegsführung und betriebswirtschaftliches kapitalistisches Wachstum, etwa vergleichbar Rheinmetall, Heckler&Koch oder Uniper. Für Demokratie und Klimaschutz wäre es eher schlecht. Und das sehr.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. A.Holberg

    Der Autor schreibt: Darum ist es sicher kaum emanzipatorisch, dass, wer das Vorgehen von Nato und EU demokratiefeindlich findet, daraus den Schluss zieht, dass alle ihre weltweiten Gegner zu den Guten gehören. Ein Blick in die innergesellschaftliche Wirklichkeit solcher “Guten” sollte in den meisten Fällen genügen.”. Meine Frage: sind “gut” und “böse” brauchbare Kategorien für das Verstehen des Funktionierens von Klassengesellschaften und folglich von Politik? Sollte man nicht besser darüber nachdenken, wie weit die Verfolgung von Interessen der jeweiligen herrschenden Klasse für die jeweiligen Untertanen erträglich oder gar relativ nützlich sind oder aber nicht. Recht hat der Autor natürlich, wenn er den Schluss “der Feind meines Feindes ist mein Freund” für einen Kurzschluss hält

    • Martin Böttger

      Sie verstehen richtig.

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