Die Älteren werden sich erinnern. Kurt Georg Kiesinger, Bundeskanzler der CDU, im Wahlkampf 1969: „Ich sage nur: China, China, China.“ Anti-Kommunismus schien ihm wahlkampftauglich – auch gegen die „Achtundsechziger“, die die „Mao-Bibel“ studierten, das rote Büchlein mit dem Titel „Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung“. Staatsbesuche waren verpönt. Erst 1972 – nach dem historischen Händedruck zwischen dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und Mao Tse-tung – nahm die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu China auf. 1975 reiste mit Helmut Schmidt erstmals ein Bundeskanzler nach Peking. Seine Begegnung mit dem alten Mao signalisierte die Chancen für die deutsche Industrie, wenn China, der so genannte „schlafende Riese“, erwacht sei. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, wo 1989 Tausende protestierender Studenten umgebracht wurden, war Helmut Kohl 1993 der erste westliche Regierungschef, der nach China reiste. Sogar jene Einheit der chinesischen „Volksbefreiungsarmee“, die an dem Massaker beteiligt war, besuchte Kohl. China-Politik war Kanzlersache.
Erzählung über Gerhard Schröders Reise 1999 nach China: Der Kanzler trug – wie von Amnesty International gewünscht – die Namen politischer Gefangener vor. Zhu Rongji, der chinesische Regierungschef, blieb nett – und wechselte das Thema. Die deutsche Industrie könne doch daran interessiert sein, den Auftrag eines Transrapid von Schanghai-Innenstadt zum neuen Flughafen zu erhalten. Sie war es – und wie. Jährlich reiste Schröder nach China, jeweils mit einer großen Wirtschaftsdelegation. Ein europäisches Waffenembargo gegen China lehnte er ab. Aus einem deutsch-chinesischen „Menschenrechtsdialog“ wurde ein „Rechtsstaatsdialog“, der sich um die Sicherheit deutscher Investitionen in China kümmerte. Menschenrechtliche Bedenken in Medien und beim grünen Koalitionspartner waren Schröder ein Ärgernis.
Bei Angela Merkels Reisen nach China gab es zwar Termine mit Oppositionellen. Doch auch Merkel reiste als Vertreterin deutscher Handelsinteressen – fasziniert vom rasanten Aufbau des Landes und damit von den Leistungen der chinesischen Führung. Gegen Donald Trumps Anti-China-Politik wollte Merkel Xi Jinping als Partner für liberalen Freihandel gewinnen. Die deutsche Wirtschaft war an ihrer Seite. Dass chinesische Unternehmen ihre Produkte kopierten, nahm sie in Kauf. Der Markt war immer noch groß genug.
Nun wieder alles auf Anfang, von wegen „gelber Gefahr“? Auch unter Joe Biden wird eine anti-chinesische Eindämmungspolitik betrieben. Zeitenwandel auch in Deutschland. Ausdruck der gewandelten Stimmung ist der Widerstand von sechs Bundesministerien – für Außen, Wirtschaft, Innen, Verteidigung, Finanzen und Verkehr – gegen die Linie des Kanzlers, China solle sich an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen beteiligen können. Je zwei davon geführt von SPD, Grünen und FDP. Olaf Scholz allein zu Hause? Sein Besuch Chinas wurde – wegen der dortigen Corona-Einschränkungen – auf einen „Tagesausflug“ ohne Übernachtungen herabgestuft. Deutsche Wirtschaftsführer fragten sich, ob sich die Begleitung lohnt.
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