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Wäre ich Irans Opposition

Spinnen ist nicht nur erlaubt, sondern nötig

Vorbemerkung: ich habe keinen Praxis-Kontakt. Meine persönliche Beziehung besteht aus privater Freundschaft zu iranischem Exilant*inn*en, die schon sehr lange von dort fort sind. Die meisten, weil sie mussten. Und diese meisten aus meinem Freund*inn*enkreis haben ihren Weg im Exil gemacht. Sie sind engagiert, persönlich erfolgreich, und alle besorgt um Freund*inn*e*n und Verwandte.

In der hiesigen Publizistik gibt es ebenfalls viele Engagierte und Erfolgreiche mit iranischem Migrationshintergrund. Zwei prominente, in deren politisches Urteil ich viel Vertrauen setze, sind die Kölner*in Katajun Amirpur und Navid Kermani, der sogar schon mal als Bundespräsidentenkandidat im Gespräch war. Die Mehrheit ihrer Kolleg*inn*en äussert sich enttäuscht bis verbittert darüber, wie “wenig” engagiert sich die Demokratien und Demokrat*inn*en in ihren Exilländern bzw. neuen Heimatländern zeigen. Mag sein, sie vergleichen es mit der Ukraine? Ob das ein guter Vergleich ist, wage ich anzuzweifeln. Aber ich will nicht abschweifen.

Iraner*innen, die glauben, eine demokratische Revolution im Iran könne entscheidend von Deutschland, oder der EU, oder den USA oder wem auch immer geprägt und unterstützt werden, irren. Die Last einer solchen Revolution liegt auf ihnen selbst. Und dabei viel stärker auf den Schultern derer, die noch bzw. weiterhin im Iran leben. Charlotte Wiedemann schrieb dazu vor wenigen Monaten: “Das Fehlen jeglicher Systemalternative ist beängstigend.” Sie hat selbst sehr gute iranische Freund*inn*e*n, hat das Land selbst bereist, und urteilt keineswegs nur vom Schreibtisch aus.

Wie könnte eine “Systemalternative” denn entstehen? Bei der Arbeit an einer Antwort kann die iranische Exilopposition durchaus wirksam werden. Indem sie eine Exilregierung konstituiert. Das ist aber einfacher theoretisiert als gemacht. Denn um erfolgreich sein zu können, müssten sehr grosse Hürden überwunden werden.

1. Politische breites Bündnis

Die meisten iranischen Exilgruppen haben über Sektenstatus nicht hinausgefunden. Sie sind trainiert auf Effekte der kapitalistischen Aufmerksamkeitsökonomie, nicht wenige lassen sich von unseriösen Gestalten (z.B. John Bolton) kapitalkräftig und einflussstark unterstützen – von sehr, sehr schlechten Berater*inne*n. Die Exilcommunity müsste sich von solchen schädlichen Einflüssen emanzipieren, Bündnisfähigkeit entwickeln, und Widerstandsstrukturen aufbauen, die ihnen Einfluss in die iranische inländische Oppositionsbewegung geben, den sie weitgehend verloren haben. Iranische Oppositionelle sind kosmopolitisch hochgebildet und -begabt: sie assimilieren sich perfekt im neuen Exil-/Heimatland, womit sie aber – unbeabsichtigt, aber nachhaltig – alltagskulturelle Verbindungen in den Iran zu verlieren drohen.

Die Exil-Community braucht also einen neuen, nichtkapitalistischen Gemeinsinn, aus dem erst eine wirksame politische Bündnisfähigkeit entstehen kann. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Emanzipation (= Befreiung von Abhängigkeiten) und politischer Stärke. Es ist sinn- und hilflos andere zu kritisieren, dass sie zuwenig mithelfen. Die werden immer und überall die Mehrheit sein – ausser im Iran.

2. Internationale Unterstützung durch diverse Regimes

Dieses Problem ist noch weit grösser, als das Vorgenannte. Wer sich instrumentalisieren lässt von den mannigfachen geo- und regionalpolitischen Interessen, hat schon verloren. Aber ohne eine politisch-diplomatische Unterstützung nicht nur der Atommächte, aller die mit dem Atomabkommen involviert sind, ist kein Land zu gewinen. Das sind schon sehr viele, mit derzeit antagonistischen Interessen. Damit nicht genug. Auch alle Nachbarländer des Iran müssen konsultiert werden. Und zu den Nachbarländern sind in diesem Fall alle Anrainer des Persischen Golfs hinzuzuzählen – alles steinreiche Feudaldiktaturen, aber umso mehr um diesen ihren Reichtum fürchtend. Sie alle müssen eine Exilregierung, die echte systemalternative Chancen haben soll, unterstützen.

Ich weiss, dass das unrealistisch bis unmöglich anmutet. Für die Überwindung solcher unüberwindlichen Probleme wurden einst von der Menschheit Politik und Diplomatie erfunden. Update nachmittags: was ich unter “Politik und Diplomatie” verstehe, lesen Sie am Beispiel des Ukrainekrieges aktuell bei Wolfgang Lieb/telepolis: Wo sind die Friedensstifter? – Die Mehrheit der Deutschen ist für einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg. Wichtig wäre eine friedenspolitische Perspektive.” Es geht hier um fachliche Tätigkeiten, die unter dem zeitgenössischen Diktat der o.g. Aufmerksamkeitsökonomie auszusterben drohen.

Es gibt viele Weltregionen, in und an denen studiert werden kann, was dabei herauskommt. Syrien, Libyen, Sudan, Somalia, Irak – sie sind dem Iran beängstigend nahe. Wer will das?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Martin schreibt:Es gibt viele Weltregionen, in und an denen studiert werden kann, was dabei herauskommt. Syrien, Libyen, Sudan, Somalia, Irak – sie sind dem Iran beängstigend nahe. Wer will das?

    Wer das will? – Frau Baerbock und die US-Regierung und US-Finanzhaie wollen das. Und sie tun alles dafür. Schafft viele Syrien, Libyen, Sudan, Somalia, Irak. Das nennt sich übrigens feministische Außenpolitik. Die Leitlinien für die nicht mehr deutsche Außenpolitik kommen direkt aus den USA. Sie brauchen nicht mal übersetzt zu werden, wo doch inzwischen auch US-Bürger direkt in der Administration sitzen.

    • Martin Böttger

      Wenn das so eindeutig-widerspruchsfrei aussähe, könnten wir aufhören. Und die Iraner*innen auch. Die, die Du benennst, gibt es wirklich. Aber solange es Menschen gibt, gibt es auch Widerstand dagegen.

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